Erstellt am: 28. 7. 2015 - 16:49 Uhr
The daily Blumenau. Tuesday Edition, 28-07-15.
#fußballjournal15
The daily blumenau hat im Oktober 2013 die Journal-Reihe (die es davor auch 2003, '05, '07, 2009 und 2011 gab) abgelöst. Und bietet Einträge zu diesen Themenfeldern.
Siehe dazu auch:
Monday Edition, 27-07-15: Erste Auffälligkeiten zum Saisonstart.
Wednesday Edition, 22-07-15: Exportdefizit. Oder: Das Prinzip Ausbildungsverein verstehen lernen.
Tuesday Edition, 21-07-15: Wo der Fußball herkommt, wo der Fußball hin will. Zur Auftakt-Präsentation der neuen Bundesliga-Saison.
Friday Edition, 17-07-15: Saisonstart mit schwerem Los und schwindenden Fünfjahresplan-Hoffnungen.
Thursday Edition, 16-07-15: Fall in ein tiefes Loch hinein: Österreich verzichtet auf Nachwuchs-Pflege für die 19- und 20-Jährigen, die in den letzten Wochen noch Endrunden bestritten hatten.
Es geht ihm also gut, dem österreichischen Fußball
Er wird sich zum ersten Male seit überhaupt für eine EM-Endrunde qualifizieren (bei der Heim-Euro '08 war man gesetzt, beim bislang einzigen Titel gab's noch keine Quali).
Er ist die Nummer 15 der Welt, die Nummer 10 in Europa.
Er hat eine WM-Qualifikations-Gruppe ohne übermächtigen Gegner zugelost bekommen.
Er hat die alten Strukturprobleme des Verbands seit der Ära Ruttensteiner/Koller gut im Griff.
Er ist dabei, die scheinbar unlösbaren Strukturprobleme seiner Profifußball-Liga (Stichworte: Infrastruktur, Image, Sicherheit) zu ordnen.
Er darf mit zwei Vereinen an der Champions League-Qualifikation teilnehmen und schickt fünf Klubs, also die halbe Bundesliga nach Europa aus.
Er hat ein Team zur U20-WM in Neuseeland, eines zur U19-EM in Griechenland und eines zur U17-Euro in Bulgarien entsandt, war also bei drei von vier Nachwuchs-Turnieren dieses Jahres dabei und bildete damit die zweite europäische Macht hinter Deutschland.
Er hat ein Ausbildungs-System, von den Akademien bis hin zu speziellen Förderprogrammen, das bei anderen Verbänden Neid erregt.
Er ist die Nummer 16 innerhalb der 53 europäischen Ligen.
Er hat eben einen Erstliga-Saison-Betrieb gestartet, der ökonomisch gut dasteht und auch sportlich einiges verspricht.
Er hat eben einen Zweitliga-Saison-Betrieb gestartet, der der interessanteste der Geschichte zu werden droht.
Es geht ihm also gut, dem österreichischen Fußball.
Er hat sich über die letzten vier bis zehn Jahre systematisch von einer drittklassigen, in Herrenbauern-Strukturen verhafteten, in Maßstäben des vorigen Jahrtausends denkenden und im alten Machismo und hinterwäldlerlischen Dünkel verhafteten Genre-Betrieb in ein Äquivalent eines mittelständischen Betriebs innerhalb eines globalen Fußball-Ökosystems entwickelt.
Er ist ein Player geworden, ein kleiner, in einiger Hinsicht aber feiner.
Er ist nicht mehr der grindige Greißler vergangener, unseliger Tage.
Über diese Entwicklung freuen sich alle, denen der Fußball jenseits der aufgesetzten Marketing-Phrase am Herzen liegt. Auch viele kritische Geister, die in den letzten Jahrzehnten unter den alten Vorzeichen leiden mussten. Ihnen hat der merkliche Umbruch ein freudiges Lächeln hingezaubert, wo früher ein ohnmächtiges Ächzen daheim war.
Das führt zu einem interessantem Phänomen.
Wenn man, wie ich, die immer noch existenten Schwächen und Fehlleistungen, die Sackgassen und potentiellen Gefahren beschreibt, denen sich das Konstrukt österreichischer Fußball immer noch gegenübersieht (denn die Teufel lauern in den Details), dann kommen just von dieser Seite bremsende Einwürfe. So, als wäre der jüngste Entwicklungs-Schritt schon das Maß vieler Dinge, viel mehr als erreichbar scheint und deshalb unter Naturschutz zu stellen.
Rein menschlich verstehe ich das.
Wenn man nach jahrzehntelangem Marsch durch die ebenen feindlichen Wüsten endlich das erste grüne Tal, beginnende Vegetation oder gar den einen oder anderen Bergsee erreicht, dann will man innehalten und genießen.
Rein sportlich, oder besser: rein medial kann man gar keinen größeren Fehler machen als sich zufrieden sacken zu lassen.
Denn: Österreichs Fußball hat auf allen möglichen Ebenen zugleich ein arbeitsfähiges Level erreicht, also das Basislager erreicht, von wo aus ein Aufstieg, eine Stabilisierung, eine Festigung möglich ist, um sich im oberen Drittel des europäischen Fußballs festzusetzen.
Und: Wenn jetzt nicht mit der gleichen Verve, dem selben Tempo und einer noch weiter gesteigerten Ernsthaftigkeit nachgelegt wird, ist das sofortige Absacken ins Mittelmaß die erste Konsequenz.
Denn fast alles, was jetzt normal und selbstverständlich wirkt, steht auf noch allzu tönernen Füßen.
Beispiele?
Wenn der ÖFB Marcel Koller nachbesetzen muss (und das kann schon nach der Euro, wenn der Schweizer ein Angebot bekommt, das er nicht ablehnen kann, der Fall sein) und dann dem Backlash-Druck der hausgemachten Seilschaften nachgibt und einen heimischen Ex-Teamkicker installiert, ist ein Rückfall in die Constantini-Ära möglich. Gerade gegen scheinbar leichte Gegner; und trotz größer werdender Spielernamen. Die Kurven der türkischen oder der serbischen Nationalmannschaften sollten zu denken geben.
Oder: wenn nicht nur die auf dem Papier halbwegs gut klingenden Infrastruktur-Standards gelockert werden, sondern (Stichwort: Linzer Stadion) auch in anderen Bereichen die Anschluss-Fähigkeit an internationale Standards aufgeweicht wird, dann ist der öffentlichkeitswirksame Versuch, vom Image der Dorfliga wegzukommen, gescheitert.
Und: wenn die katastrophalsten Sündenfälle der Vergangenheit (Haiders Kärntner Clubs, Hochstaffls Tirol-Verschrottung, Kartnigs und Svetits Grazer Zerstörungswut) für damals Beteiligte nur partiell folgenlos bleiben, ist auch ein Rückfall in alte Herrenhof-Zeiten möglich. Frank Stronach ist eh grad wieder politmüde.
Denn: Wenn sich die Bundesliga nicht endlich ermannt und den Lippenbekenntnissen zum Thema Ausbildungs- und Export-Liga auch Taten folgen lässt (in aktuellen Transfer-Fenster steht ein fast zweistelliges Minus, kein Liga-Akteur konnte siebenstellig verkauft werden), wird sie sich ökonomisch nicht selbst erhalten können.
Und: die für heimische Verhältnisse großstädtische Besetzung der zweiten Liga (in Deutschland täten sie drüber lachen, aber bitte) täuscht aktuell leider über deren unwirtschaftliche Aufstellung hinweg. Und selbstverständlich stößt auch das Format der Bundesliga Jahr für Jahr an seine Grenzen. So redundant es auch erscheinen mag: die Suche nach einer besseren Formatierung des Profi-Fußballs tut Not. Und jede Saison, in der sich die Zuständigen davor drücken (denn, klar, das ist ein unglaublich mühsames Unterfangen), ist eine verlorene Saison und ein verlorenes Jahr im dringend nötigen Umbau.
Oder: wenn die österreichischen Klubs in der heurigen EC-Saison wieder so auslassen (Ausnahme: Salzburg) wie letztes Jahr, dann ist der Absturz auf Platz 18 (und in weiterer Folge ins Bodenlose) garantiert. Und wenn die Verantwortlichen für die mäßigen UEFA-Koeffizienten, sobald man sie auf diese Tatsache angesprochen hat, reagieren, als hätte man ihnen Eierdiebstahl unterstellt, ist das kein gutes Zeichen für deren Bewusstseinslage.
Und: wenn der ÖFB den bevorstehenden Abgang von General Manager-Oldie Gigi Ludwig nicht endlich dazu nutzt, eine bislang verpeilte, ineffiziente Merchandising zu einer kleinen Gelddruck-Maschine umzubauen, dann wird seine Handlungs-Fähigkeit weiter eingeengt bleiben müssen.
Und: wenn der ÖFB in seiner Ausbildungs-Offensive ganze Jahrgänge ausspart werden sich die Erfolge der Jung-Nationalmannschaften nicht in die Liga transferieren können und die wirklich guten Yougsters weiter im Ausland (oder beim wie ein deutscher Verein denkenden Red Bull Salzburg) ausgebildet werden.
Wobei "Erfolg" für Endrundenteilnahme steht. Ein Vorstoß in ein Viertelfinale gelang 2015 nicht. Und genau das wäre ein echtes Ziel. Das man dann halt auch aussprechen müsste.
Genau da setzt die vorhin beschriebene plötzlich Denksperre ein.
Es mauern nicht mehr nur die professionellen Abwiegler, also jene, die von der Durchschnittlichkeit der Gegenwart profitieren und an Investitionen jeglicher Art kein Interesse haben: Es sind auch die vormaligen Antreiber, die mit dem Erreichten gerade so zufrieden sind, dass sie jegliche Kritik auch als Angriff gegen sie selbst verstehen.
Es genügt aber nicht das Hier und Jetzt in den Zwischenspeicher zu ziehen und darauf zu hoffen, das es damit Endgültigkeit und Ewigkeit erfährt. Der Fußball, auch der, den eine ganze Nation so produziert, ist zu fluid, um automatisch in Richtung Peak Performance fließen zu können. Die Bedingungen, unter denen er entsteht, sind fragil wie ein Öko-System, alles hat Einfluss auf alles Andere. Und eine Klima-Veränderung um ein paar Grad kann die Polkappen abschmelzen lassen. Alles, was jetzt gut dasteht, kann mit ein paar Handstrichen wieder in Richtung Sackgasse taumeln.
Es geht ihm also gut, dem österreichischen Fußball.
Damit das aber so bleibt und noch besser wird, und es von einer verwundert augenreibenden Augenblicks-Feststellung zu einem tatsächlich selbstverständlichen Dauerzustand wird, ist mehr nötig als (eh auch schönes) genießerisches Innehalten. Nämlich ständiges Dranbleiben und Arbeit an allen wunden Punkten.