Erstellt am: 26. 7. 2015 - 15:55 Uhr
Der Voodoo des Lakeside
FM4 Festivalradio
Alles rund um Festivals im In- und Ausland. Und alle Termine gibts hier.
Die Vibes beim Acoustic Lakeside Festival am Sonnegger See sind auch im zehnten Jubiläumsjahr so entspannt und zen dass ich es gerne als das Yoga Retreat unter den heimischen Festivals bezeichnen möchte. Anstatt des Sonnengrußes machen die Besucher und Besucherinnen hier jedoch Meditation auf der Luftmatratze und Lockerungsübungen im Wiesengras.
Namensgetreu liegt der Fokus beim Acoustic Lakeside auf akustischen Performances - letztlich ist es aber den Bands überlassen ob sie plugged in oder unplugged spielen wollen. Für besondere akustische Bemühungen gibt’s dafür im Festivalguide Punkte in Form von kleinen Singvogerln neben dem Bandnamen.
Ezra Furman
Den Warm-Up Gig am Donnerstag Abend bestreitet Ezra Furman, die Grande Dame des Schrägrock, freilich elektrisch, im dampfenden Partyzelt, in dem es am folgenden Morgen beim FM4 Sandkiste Fußballturnier genauso schwitzig weitergeht. Acht Teams treten an, am Ende verteidigen die International Dornbach Sox erfolgreich ihren Vorjahrestitel und ich habe mich zum ersten und letzten Mal als Sportkommentatorin versucht und bleibe besser bei der Musik.
Raus also ins Freie, wo indessen der Londoner Musiker Charlie Cunningham sein leuchtendes Songwriting-Gespür zur Schau stellt, bei ebenso leuchtendem Sonnenschein. Der Auftritt von Dear Reader hingegen kurze Zeit später fällt nach gerademal einem halben Song buchstäblich ins Wasser. Das kommt von oben, in Strömen und der Wolkenbruch dauert genauso lang wie die veranschlagte Spielzeit von Cherilyn MacNeil und Band. Das Publikum kommt trotzdem auf seine Kosten - denn Dear Reader spielen als der Regen nachlässt kurzerhand in der Wiese vor der Bühne einige Nummern und setzen ihr Set dann während einer Umbaupause unten am Lagerfeuer fort.
Bei Polkov scheint wieder die Sonne und tut so als ob nichts gewesen wäre. Das Grazer Sextett spielt beschaulichen und durchwegs ausbaufähigen Indiefolk, mit im Gepäck ein soeben spontan veröffentlichter Pfeif-Along-Song „Ho und gatto (si chiama Vendetta)“ mit Indie-Sommerhit-Potenzial. Und als der gerade noch unverdächtig klimpernde Pianist dann die Tasten gegen das Mikro tauscht und vom Verstärker runter eine wahnwitzige Uptempo Nummer schmettert ist der kurze Wettereinbruch schon gar nicht mehr wahr.
Polkov & Soak
Soak, die 18-jährige Nordirin ist als Newcomer-Ausnahmetalent in aller Munde und ein frühes Highlight des frisch angebrochenen Abends. Eine kleine Person die die Last der Welt in ihrer Gitarre zu tragen scheint und mit großer, glasklarer und zugleich angstfragiler Stimme das lebhaft quatschende Publikum förmlich zur Stille zwingt. Erfreulich für den sich am Gelände rumtreibenden Frank Spilker, der tags darauf eine Lesung halten wird und zuvor schon leisen Unmut über die laute Menge geäußert hat.
Erhebende, zelebratorische Rocksounds schlagen dann Augustines aus New York an. Sie sind die Band der Oohs and Aahs, der Call-and-Response-Chöre und ihre Songs scheinen ausschließlich aus Refrains und Dauer-Build-Ups zu bestehen. Die Menge ist am Kochen - bis es mit einem Schlag dunkel wird. Totaler Stromausfall. Huch. Was tun? Augustines fragen nicht lange sondern schmeißen sich kurzerhand mit ihren Instrumenten in die Menge und machen unplugged weiter. Sie sind die Retter des Festivaltages, und als solche bringen sie ihr Set nach Rückkehr des Stroms furios und glorios zu Ende.
Augustines
Wolkenbruch und Stromausfall - es scheint als wären hier höhere Mächte am Werk die das Festival in seine akustischen Grenzen zwingen wollen. Von wegen Yoga Retreat. „Das ist ein Festival mit Voodoo-Power“, meinen Augustines nach ihrem Gig. Agreed.
Während die zwei schwedischen Blondschöpfe Friska Viljor, traditionell ganz in Weiß gekleidet, ihr Set beginnen, erzählt mir Will Oldham aka Bonnie Prince Billy im Interview von seinen Aversionen gegen die Festivalkultur: „Festival culture is its own monetary world, its unrelated to music. Festivals are big babysitting sessions - give them the bouncy balls, drugs, alcohol and make the music really loud and then the parents don’t have to worry where their kids are.” Nun gut, Optimismus war noch nie das Steckenpferd des kauzigen Südstaaten-Americana-Königs, das beweist er seit vielen Jahren mit seinen tiefeinsamen Meisterstücken. Bei der Wahl der Setlist geht er mit seiner Band eklektisch vor: Eine Liste aus spielbaren Songs wird erstellt, dann schreibt jeder der Reihe nach ein Stück darauf auf einen Zettel. An diesem Abend liefert Bonnie Prince Billy passend zur heiteren Stimmung beschwingtere Versionen seiner Stücke und fordert alle auf, der nebenstehenden Person in der Menge einen fetten Knutschfleck zu verpassen. Als vorübergehend bleibende Erinnerung an den Abend - und Gesprächsstoff für den nächsten Festivaltag.
Friska Viljor & Bonnie Prince Billy
My place of clear water
Am Samstag scheint der ominöse Voodoozauber des Vortages seine Wirkung kurzzeitig verloren zu haben. Der Strom fließt, das anziehende Gewitter hat kehrt gemacht, es ist warm und der See und die Liegeflächen rundherum sind dicht bepackt mit Festivalurlaubern.
Aurora ist ähnlich wie Soak am Vortag eine strahlende Erscheinung auf der Festivalbühne. Nicht nur wegen des Namens der jungen Norwegerin drängen sich klischeehafte Beschreibungen auf: Sie verbreitet einen Hauch nordischer Naturmystik mit ihren Songs, dargebracht in feenhaftem Gewand und mit elfenhafter Stimme. Anstatt ganzer Band hat sie lediglich einen Kollegen mitgebracht der sie an der Gitarre begleitet.“ Thank you, you are very nice“, zeigt sich Aurora sichtlich überrascht über die Zuneigung die ihr das Publikum entgegen bringt.
Aurora
Nowhere Train fahren ein. Die heimische All Star Kombo hat wie immer Spaß miteinander und mit dem Publikum und rollt ihren Country-Schunkel-Zug zielsicher in die untergehende Sonne. Nächster Stopp: Olympique. Die Mozartstädter kriegen fünf Singvogerl im Festivalguide für pure akustische Extraanfertigung, spielen dann aber doch halbelektrisch. Olympique haben ein ergebenes, textsicheres Publikum und meistern die Herausforderung, ihre druckvollen Rocknummern in ein reduziertes Setting zu übersetzen, einwandfrei. Nur ein, zwei Ausbrüche aus dem Midtempobereich hätte ich mir gewünscht.
Olympique & Nowhere Train
Lisa Hannigan ist schon seit gestern da und bezaubert vom Charme des Acoustic Lakeside. Im Interview vor dem Konzert rezitiert die irische Musikerin aus ihrem Lieblingsgedicht des irischen Poeten Seamus Heaney: „My place of clear water, the first hill in the world, where springs washed into the shiny grass”. Der Sonnegger See sei für sie dieser Platz des klaren Wassers heute, meint Lisa lächelnd. Dann liefert sie mit ihren behutsamen und feinsinnig gefertigten Stücken einige der für mich berührendsten Momente des Festivals.
Tempowechsel bei AnnenMayKantereit. Die Durchstarter und Publikumslieblinge aus Köln spielen voll elektrisch und prompt meldet sich der Voodoo wieder mit einem kurzen heftigen Schauer zurück. „Guten Abend ihr wunderschönen Menschen im Nieselregen!“, schreit Sänger Henning May in die von der Nässe noch wenig beeindruckte Menge. Alle wollen jetzt AnnenMayKantereit hören, bei den tanzwütigen Bluesrocknummern abgehen und bei den nachdenklichen Stücken schwelgen. Der Anfangszwanziger singt mit seiner Reibeisenstimme von der Welt als ob er schon seit sechzig Jahren auf ihr wäre und ich denke drüber nach wie Tom Waits als deutscher Twen ausgesehen hätte.
Lisa Hannigan & AnnenMayKantereit
Ein großer Fan des Festivals ist übrigens Art Brut Sänger Eddie Argos. Im Partyzelt performen Art Brut gerade eine wie mir zugetragen wird schräg-unterhaltsame Akustiksession. Eddie ist schon etwas geschafft, kein Wunder, der Gute ist ja schon seit Donnerstag hier und wird vielseitig eingesetzt - als FM4 Sandkiste-Kommentator, Spoken-Word-Performer und nun singenderweise. A hard worker who fell in love with the lakeside.
Nun hat es sich eingeregnet. Das können selbst Nada Surf, die das mit dem Akustisch-Spielen karmatechnisch sehr streng nehmen, nicht mehr ändern. Zwei Gitarren, Bass und eine Cajon, mehr gibt’s nicht auf der Bühne und mehr braucht das auf ein Quartett erweiterte Trio auch nicht. Es ist Nada Surfs dritter Besuch in den zehn Jahren des Acoustic Lakeside. „I’m gonna start dating this audience“ meint Drummer Ira. Das Publikum hat sich mittlerweile wirklich mehrere Medaillen für die Ausdauer im Regen verdient - die Band verteilt dafür einige Biere und lässt im Set keinen Mitsing-Hit aus. Als rotzige Antwort auf die rundherum einschlagenden Blitze und als Geburtstagsständchen an das Festival heißt es zum Abschluss „Fuck it, I’m gonna have a party“.
Art Brut & Nada Surf
Geschenke gibt’s auch noch für das Festival: Lakeside-Lover Eddie Argos von Art Brut will die vielen Jägermeister, die er im Laufe der Jahre im Partyzelt konsumiert hat, ersetzen und Dear Reader wird mal eine Tonne Regenjacken vorbeischicken. Die Besucher und Besucherinnen wünschen dem Acoustic Lakeside noch mindestens zehn bis hundert weitere Jahre, weniger Regen und Wespen, Luftballons, eine größere Wasserrutsche und einen Plüschvogel. Und unisono: Auf dass es weiterhin ein dermaßen charmantes kleines Festival bleiben möge. Dem möchte ich mich herzlichst anschließen. Happy birthday, Acoustic Lakeside.