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Philipp L'heritier

Ocean of Sound: Rauschen im Rechner, konkrete Beats, Kraut- und Rübenfolk, von Computerwelt nach Funky Town.

26. 7. 2015 - 14:38

Alter Ego gefällt mir

Der Song zum Sonntag: Kurt Vile - "Pretty Pimpin"

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  • Auch der geschätzte Wissenschafts- und Popjournalist Thomas Kramar macht sich in der Presse am Sonntag zum jeweils selben Song seine Gedanken

Ich ist ein anderer. Der aus Philadelphia stammende Musiker Kurt Vile huldigt mit seiner neuer Single der Künstlichkeit in der Kunst im Sinne von Arthur Rimbaud - wenn vielleicht auch nur unbewusst. Der Entkoppelung der erzählenden Figur von der real existierenden Person.

Um die Güte der Kunst festzustellen, sind Echtheit, Erdverbundenheit und Authentizität vor allem im Segment "Singer/Songwritertum" nach wie vor gern ins Feld geführte Wesenszüge. Da ist es nur erhellend, wenn Kurt Vile sich aus der Welt ausklinkt, mit der Verwischung der Identitäten spielt und die Verwirrung feiert.

Kurt Vile

Kurt Vile

Im September erscheint unter dem Titel "b'lieve i'm goin' down…" sein sechstes Album, in der Vorabsingle "Pretty Pimpin" fragt sich Vile, wer er denn eigentlich sei. Ist es wichtig? Was will dieser blöde Alltag ausgerechnet von mir?

Der Song beginnt mit einem altbekannten Motiv, das in Variation schon für humorige Spruch-T-Shirts hergehalten haben mag: Kurt Vile erwacht und erkennt die komische Figur nicht wieder, die ihm da aus dem Spiegel entgegengeblickt. Was zunächst bloß nach den Effekten von Zerstörung durch Alkohol klingt, führt weiter in die Befremdung. Vile erzählt, wie er einem Unbekannten die Zähne putzt, die sich aber doch wie die eigenen anfühlen.

Später entscheidet er sich dafür, diesem "stupid clown", der da das Waschbecken blockiert, nicht die Haare zu kämmen - das sei auch für ihn selbst nicht so der Style. "Pretty Pimpin" ist aber keine Phantasy. "Oh, silly me, that's just me", erkennt Vile sich in diesem seltsamen Gegenüber zwischendurch ganz selbstverständlich immer wieder selbst. Konfusion, Danebenstehen und eine bewusste Entscheidung dazu, aus der Spur zu schlittern und abzudriften.

Dass Kurt Vile der Ruf vorauseilt, diversen Rauchwaren nicht abgeneigt zu sein, sei hier ausdrücklich nur als Fußnote erwähnt - auch Nüchternen sind derlei Sensationen nicht fremd: "I couldn’t tell you what the hell it was supposed to mean / But it was a Monday, no a Tuesday, no Wednesday, Thursday, Friday."

Diese Außerkörpererfahrung - oder auch bloß ihre Vorgaukelung, die Wunschvorstellung davon - nutzt Kurt Vile zur Selbstbespiegelung, spricht in der dritten Person von sich, einem jungen Mann, der doch bloß das gute, wilde Leben leben will: "All he ever wanted was to be someone in life that was just like / All I want is to just have fun / Live my life like a son of a gun".

Dabei ist der Song nie von Angst und Paranoia geprägt, die Identitätskrise ist willkommen und flauschig, im Refrain kommt es dann endgültig zur gewitzten, gut arroganten Überhöhung. Dieser Mann im Spiegel trägt gar Kurt Viles Klamotten, so der Künstler selbst, aber, hey, ziemlich cool sieht der Typ damit schon aus: "I gotta say pretty pimpin'". Sich selbst hinterfragen und dabei nicht vergessen, sich ab und zu ein bisschen gut vorzukommen. Einschlafen, wegbrechen, aufwachen, eine bessere, sinnlichere Realität erfinden.