Erstellt am: 26. 7. 2015 - 10:02 Uhr
Kleiner Mann - was nun?
Sorry, aber mit dem heurigen Blockbustersommer werde ich nicht warm. Ob "Jurassic World", dieses zugegeben flott gemachte, aber doch im biedersten Spielberg-Stil konfektionierte Riesenechsen-Epos oder "Terminator Genysis", der sich als brachialer, aber uninspirierter Beitrag zur nicht endenden Retromania entpuppte: Echtes Kinoglück sieht anders aus.
"Ant-Man" fügt sich nun nahtlos in die Reihe dieser alles andere als dringlichen Sommerkino-Spektakel. Dabei bin ich dem Marvel-Universum grundsätzlich ebenso wohlgesonnen wie überlebensgroßen Dinosauriern oder Arnold Schwarzenegger im Maschinenmodus. Aber wenn der überambitionierte "Avengers: Age Of Ultron" zuletzt schon stellenweise schwächelte, dann geht dem Comickino-Wunder jetzt ein wenig die Luft aus. Erstmals bei einem Marvelfilm ertappte ich mich öfter bei einer der frevelhaftesten Taten, die man in einem dunklen Kinosaal begehen kann: Ich blickte auf die Uhr.
Marvel
Verunglücktes B-Movie-Tribut
Dabei schlägt "Ant-Man" eigentlich grundsätzlich einen interessanten Weg ein. Statt in die Superhelden-Falle des Schneller-Höher-Weiter zu tappen, also mit noch mehr endlosen Verwüstungsszenarien und bis zum Anschlag hochgepimpter Action, geht es der Film ewas zurückhaltender an. Die Geschichte des Ex-Ganoven Scott Lang (Paul Rudd), der von einem genialen Wissenschaftler (Michael Douglas spielt die Marvel-Ikone Hank Pym) rekrutiert wird, um als kleinster Superheld aller Zeiten einen finsteren Konzernchef aufzuhalten, ist beinahe als amüsantes B-Movie angelegt, zumindest für Marvel-Produktionsverhältnisse.
Ganz offensichtlich versucht Regisseur Peyton Reed legendären Schundfilm-Klassikern wie "The Incredible Shrinking Man" aus den Fünfziger Jahren Tribut zu zollen. Aber die Szenen, in denen der zunächst tollpatschige Gauner auf Ameisengröße geschrumpft wird, haben kaum trashigen Charme und fesseln nur kurz. Zu steril sieht die im Computer gebaute Umgebung aus, durch die Scott Lang sprintet, vor allem die animierten Insekten, mit denen er kommuniziert, wirken alles andere als überzeugend.
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Neustart nach kreativen Differenzen
Aber die zweitklassigen Effekte sind nicht das wirkliche Problem des Films. Das hat - Nerds wissen es schon - ein Jahr vor dem Dreh begonnen. Da verließ der eigentliche Regisseur Edgar Wright wegen der berühmten "kreativen Differenzen" das Projekt. Und das, obwohl der Brite, dem wir göttliche Komödien wie "Shaun Of The Dead" oder "The Worlds End" verdanken, beinahe eine Dekade lang an "Ant-Man" vorgearbeitet hat. Man munkelt, dass Wrights Vision den Marvel-Fädenziehern entschieden zu bizarr und schrullig war. Der von ihm gecastete Comedystar Paul Rudd blieb dann aber, wie die anderen Akteure, schweren Herzens beim Neustart an Bord.
In der ersten Phase des Marvel Comic Universe setzte Oberboss Kevin Feige noch genau auf solche unverwechselbaren Regiecharaktere. Der eigentlich aus dem Indiebereich kommende Jon Favreau durfte, zusammen mit dem damals fast schon ausrangierten Exjunkie Robert Downey Jr., einen Iron-Man kreieren, der in seiner Sleaziness auch Batman brav aussehen ließ. Shakespeare-Spezialist Kenneth Brannagh näherte sich dem Donnergott Thor. Und Ultrageek Joss Whedon bekam die Ehre, die Avengers erstmals zusammenzuführen.
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Linientreue Erfüllungsgehilfen
Mittlerweile, nachdem ein Marvelepos nach dem anderen das Boxoffice stürmte, schwimmt der Comickonzern auf einer Erfolgswelle, die zu einer Strategieänderung führte. Anstatt, wie bei "Avengers: Age Of Ultron", mit einem Vordenker wie Joss Whedon anstrengende Streitereien zu führen, setzt man auf Linientreue, auf brave Erfüllungsgehilfen und solide Handwerker. Auftritt Peyton Reed, dessen Name man sich nicht merken muss oder auch Jon Watts, der 2017 den Schlüsselhelden Spider-Man zum bereits dritten Mal neu erfinden darf.
Bereits im nächsten Jahr darf der Netzschwinger, der in einer einmaligen Hollywood-Aktion von Sony Pictures an Marvel zurücklizensiert wurde, seinen Auftritt an der Seite der halben Avengers absolvieren. In "Captain America: Civil War" steht wieder Gigantomanie auf der Tagesordnung, Black Widow, Hawkeye, Ant-Man und viele andere gesellen sich an der Seite des Stars & Stripes-Titelhelden, Iron-Man mutiert gar zur Nemesis. Das klingt einerseits schrecklich überladen, lässt aber auch wieder die Drama-Glocken vor Vorfreude klingeln.
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Genau das fehlt nämlich, neben Edgar Wrights Handschrift, auch dem eher belanglosen Ameisenmännchen: Aufwühlende Emotion. Der Ruddster, der in anarchischen Komödien aus dem Judd-Apatow-Umfeld brillierte, spielt den denkbar fadesten Ex-Ganoven. Ein furchtbar guter Mensch ist dieser Scott Lang, weit entfernt von den Sinnkrisen, die Bruce Banner, Natasha Romanoff oder auch Peter Parker durchlaufen. Alles ist leider durchschnittlich an diesem Film - auch sein Held, selbst wenn er auf dem Rücken von Ameisen reitet.