Erstellt am: 27. 7. 2015 - 10:36 Uhr
Out of the Woods
Wächst man im Großbritannien der Zehner Jahre heran und fasst mutigerweise den Entschluss, eine der laufend aufpoppenden Newcomerbands zu gründen, hat man mit allerlei Widrigkeiten, gar Widerstand, zu rechnen. Doch ist es nicht allzu sehr die Gegenwehr des Publikums, sondern die Verweigerung diverser Kritikerkreise, die klagend von ihren Logenplätzen herausschreien, sie mögen bitte keinen immer gleichklingenden Indiepop mehr ertragen. Da regnet es Vorwürfe, süffisant belächelt wird das vermeintlich naive Gitarrengezupfe zu geschniegelter Melodie, der halbherzige Pathos, das musikalische Erbe der Neunziger Jahre.
Gengahr
So hat es auch das Londoner Quartett Gengahr einigermaßen schwer. Hat und hatte. Das Debütalbum wurde kürzlich veröffentlicht, die Kritiker scharrten, wenn auch mit angelegtem Beißkorb, in den Startlöchern. Aber: hier folgt ein Plädoyer gegen diesen Zustand. Haters should definitely not hate. Gengahrs Felix, Danny, John und Hugh sind immerhin inmitten genau dieser Schlammschlacht musikalisch sozialisiert und sensibilisiert worden und wissen, wie der Hase rund um die Britpop-Thronfolge läuft.
Naiv ist Sänger und Initiator des Bandprojekts Felix Bushe jedenfalls nicht. So verträumt der Titel, so strukturiert der Prozess des Songwritings, der Aufnahme, der Produktion. Lyrics und Melodien fließen nach mehr oder weniger strengem Vorsatz nicht nur aus seiner Feder, sondern entstehen als Gemeinschaftsprojekt. Anderenfalls würde, so die Conclusio vorangegangener Versuche, ein zu einheitliches Album entstehen, das gar sehr nach der Pfeife eines einzelnen Künstlers tanzte. Dass Gitarrist John Victor - ein junger, aber nichtsdestoweniger begnadeter Virtuose auf seinem Gebiet - schon als der nächste Graham Coxon gehandelt wird, spricht ebenso Bände. Die Band hat auf diese musikalischen Fertigkeiten eben lange hingearbeitet, die Musik, die die vier Londoner Jungs machen, entsteht nicht erst seit vorgestern.
Good mornin'/ been here for a while / Watchin'/ I hope u don't mind klingt es in der ersten Single, Powder. Schon dieses erstveröffentlichte Stück verweist darauf, was am Album umfassend ausproduziert wird: Eine dahingezupfte Melodie, die sich schnell steigert, loskracht, um sich schließlich in ausgefranster Rockgitarre nonchalant beinah schon auszukotzen. Das pochende Schlagzeug treibt an, der Nachhall der Stimme hängt gleichzeitig eine Art melancholischen Schleier über das Stück wie auch über das gesamte Album.
In Schul- bzw. Collegetagen wurde das Bandprojekt gestartet, man tüftelte, tourte. Demos wurden vor gut einem Jahr aufgenommen, ein halbes Jahr später stand auch schon der Slot am legendären Glastonbury Festival fest. Veröffentlicht wurde trotzdem noch längere Zeit nichts, weil Gengahr sich einfach hundertprozentig sicher sein wollten, welche Songs wertvoll genug sind, um auch auf einer LP bestehen zu können. Eben einer LP, die dann den Kritikern regelrecht zum gierigen Fraß vorgeworfen werden kann. Dass die Jury dann aber aus einem regelrechten Menü an musikalischen Diversitäten wählen darf, wird schnell augenscheinlich. Kein Gemüsebeet, sondern Gemüsebeete.
Auf Referenzen aufdeckender Spurensuche wird schnell klar: Wo Alt-J einer verträumten Soundästhetik, ja einem teilweise schon hochgeschraubten Artrock den Vorzug geben, werden die Gitarren bei Gengahr erst so richtig aufgepeitscht. Da prasselt, da rüttelt es. Wo Wolf Alice präzise, fast schon resolut eine neue Ära des hiesigen Postrock einläuten, sind Gengahr viel mehr noch von stark romantisch-psychedelischen Einflüssen geprägt.
Pias
A Dream Outside von Gengahr ist bei Pias Coop/Transgressive erschienen.
Hat man sich dann auf der Suche nach Gengahrs möglichen Idolen durch Postrock- und Popgeschichte gekaut, wird man bei der Single Fill My Gums With Blood diese a) wieder über den Haufen werfen oder b) einsehen, dass man beim Versuch von Gengahrs Genreeinordnung stolpern muss. Die Nummer schlendert nämlich in so einer artsy-nonchalanten, unaufdringlichen Funkattitüde daher, Jamiroquai in Höchstphase hätte ihnen anerkennend auf die Schulter geklopft. Dabei zeigt sich auch hier die Kunstfertigkeit scheinbar Unmögliches zu harmonisieren: Textlich schwingt das Stück nämlich eigentlich, wie es so schön zum Gesamtkonzept des Albums passt, hinein in eine märchenhaft-schaurige Vampirromantik, wenn es unter anderem heißt Let me in / So I can drink from you.
Gengahr sind am 20 8. 2015 live am FM4 Frequency Festival zu sehen.
Fein ausmodelliert und tapfer in Szene gesetzt steht das androgyne Falsetto von Sänger Felix Bushe als weicher Counterpart den schroffen Gitarrenpattern entgegen. Zur Stimme passend agieren auch die Texte größtenteils verträumt - was herzhaft betont wird. Die aktuelle Single, Heroine, die gleichzeitig einen Konnex zum Sound der Smashing Pumpkins wie auch zu den Riffs von Bombay Bicycle Club herstellt, ist eine solche Märchengeschichte. Nein, es geht hier nicht um Drogen. Es handelt wirklich von heldenhaften Prinzessinnen, die, so Sänger Felix, die Challenge auch zu Ende bringen, "once they started it". Generell sei das Album, was das Grundkonzept und die Lyrics angeht, relativ realitätsfremd, gibt er gelassen zu. A Dream Outside, ein Traum, den man nicht einfangen kann. Hard to get, harder to forget?
Wenn jedenfalls ein Instrumentalstück (das einzige des Albums, betitelt Dark Wave) den anderen Songs in Kunstfertigkeit, Innovation und Schnellfingrigkeit die Show stiehlt, mag das wohl einiges über das musikalische Talent nicht nur des Gitarristen, sondern des gesamten Quartetts aussagen. Gengahr ist eine dieser Bands, die sich aus dem Dickicht an Newcomern empor und mit ihrem Debüt viel weiter als nur ins Unterholz katapultiert hat.