Erstellt am: 24. 7. 2015 - 16:19 Uhr
The daily Blumenau. Friday Edition, 24-07-15.
#medienpolitik #redaktionsgesellschaft
The daily blumenau hat im Oktober 2013 die Journal-Reihe (die es davor auch 2003, '05, '07, 2009 und 2011 gab) abgelöst. Und bietet Einträge zu diesen Themenfeldern.
Völlig off-topic ist dieses Singapore, dem Opener eines Jahrhundert-Albums
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Weil hier unlängst in einem wenig schmeichelhaften vergleichenden Kontext von Singapur die Rede war, von jenem südostasiatischen Stadtstaat mit hyperkapitalistischem Antrieb und einer wohl zukunftsträchtigen Auslegung von selbstzensierender nationalistischer Postdemokratie: in der vorletzten Ausgabe des affirmativen Kapitalismus-Begleiters The Economist gab es einen Singapur-Schwerpunkt zu lesen.
Es war eines dieser Specials in der Heftmitte, die unschwer als Kooperationen mit Außenhandelsstellen oder staatlichen Institutionen erkennbar sind und ihren Zweck als Inseratenumfeld für die entsprechende Branche/das jeweilige Gebiet kaum verbergen. Und weil der Economist seine marktliberale Ideologie zwar nicht verschweigt, aber keineswegs im hierzulande gehörten Tonfall der schrillen Missionierer, sind auch in einem solchen Umfeld Zwischentöne wahrzunehmen.
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Im The Singapore exception überschriebenen main article des Specials finden sich nicht nur deutliche Hinweise auf die demokratiepolitisch problematische Staatsführung, sondern auch auf die Zensur-Politik. Zitat: "No opposition candidate won a seat until 1981. The domestic press toes the government line; defamation suits have intimidated and sometimes bankrupted opposition politicians and hit the bottom line of the foreign press (including The Economist)."
Hintergrund: der Ecomonist wurde von den Machthabern in Singapur mit (erfolgreichen) Verleumdungsklagen weichgeklopft.
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Das ist eine delikate Situation: ein prokapitalistisches Groß-Medium setzt sich in einem nahe am Advertorial platziertem Special mit einem turbokapitalistischen Land und dessen autoritären Regime auseinander, das die Grundlage des Mediums (die freie Berichterstattung) beeinsprucht hat und (über Winkelzüge) damit davongekommen ist.
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Die diesem Handeln innewohnende Moral wirft kein hehres Licht auf die Grundsätze und Leitlinien der Medien. Und macht sie damit im schlechten Sinn menschlich. Und weil ich in dem Moment wo mir das klar wird, sofort die Kritik aus den Reihen der anstehenden Redaktionsgesellschaft höre, die jede Fehlleistung als Beleg für die Kaputtheit des Gesamtsystems hernehmen: dieses moralisch fragwürdige Verhalten ist nichts als ein Spiegel des moralisch anmaßenden Verhaltens der AMAB-(All Media Are Bastards)-Fraktion.
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Die Lektion dass es 95% der Medien wie 95% der Menschen darum geht persönliche Vorteile zu erzielen, ist nämlich eine bereits seit Jahrhunderten gelernte. Die Empörung einer sich erst durch das Web 2.0 selber die offensive Aufgeklärtheit zugestehender Korrektur- und Skandalisierungs-Gesellschaft in der (zwischen Social Media und Foren-Gewürge angesiedelten) Feedback-Hallkammer der herkömmlichen Medien, tendiert nämlich dazu Erkenntnisse, die jeder Mensch für sich selber spätestens als Teenager gemacht haben sollte, zu verleugnen. Oder als heuchlerische Forderung an alle anderen vor sich herzutragen.
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Das, was der Ecomonist da macht, nämlich mit jemandem zu kuscheln, der dich einmal ökonomisch schädigen wollte, weil er inhaltlich anderer Meinung ist, das ist in einer interdependenten Gesellschaft permanenter Alltag. Dieses Detail anzumerken ist das eine; es in einer Pose des Moralapostels hochzurechnen und damit die Schlechtigkeit eines Prinzips zu konstruieren (wie es im erwähnten Hallraum sekündlich passiert; auf Sudel-Niveau ebenso wie in ausgefeilten Hate-Posts) das andere: nämlich das Verlogene.
Medienleute sind in ihrer Mehrzahl genauso miese Typen wie die amateurhaft agierenden selbsternannten Medien-Kritiker. Auch weil wir alle irgendwann miese Typen sind, die einen hauptberuflich, die anderen hobbyistisch, aber jeder irgendwann einmal, von mir aus auch unabsichtlich.
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Ich weiß nicht genau wann das begonnen hat. Dass der halbwegs literate Teil der durch das Web 2.0 (selbst)ermächtigten Mediengesellschaft in den klassischen Medien einen neuen und plötzlich bösen Feind erkannt hatte, nur weil man auf die vielen (auch vorher genauso existierenden) Missstände und Fehler plötzlich öffentlicher hinweisen konnte.
Irgendwann hat der Rückkanal die Feedbackgeber besoffen gemacht. Nach dem Auskosten des Gefühls neuer Macht kam die unterschwellige Erkenntnis, dass man diese geilen Emotionen, die nach der Anfangs-Euphorie zu verschwinden drohten, durch einen Trick ins Unendliche perpetuieren kann: indem man nämlich ein (nie erfülltes, nie realisiertes, nie existentes) Idealbild von Medien aufbaut und die Realität daran zu messen beginnt. Das ist, vor allem in Zeiten der dreifachen Medienkrise, ein todsicheres Modell. Denn schon im Normalzustand konnten selbst die besten, selbstlosesten, öffentlich-rechtlichsten Medien die eierlegenden-Wollmilchsau-Anforderungen der neuen Redaktionsgesellschaft nur in seltenen Momenten erfüllen - aktuell geht das so gut wie nie.
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In diesem Hamsterrad des vorwurfsvollen (und in sich völlig verlogenen) Empörungs-Feedbacks bewegt sich die Redaktionsgesellschaft. Und treibt die Medien dort vor sich her.
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In Wahrheit hat sich das Bewusstsein der meisten Medien sogar verbessert. Der Economist hätte die zitierte kritische Anmerkung noch vor zehn Jahren nicht gemacht.
Dabei hat sich (trotz aller technischen Revolutionen) strukturell und moralisch genau nichts geändert: Medien sind genauso hochherrschaftlich und abhängig wie eh und je und seit Anfang aller Tage, sie verfolgen Interessen und versuchen zu manipulieren. Und die geneigten User sind willfährige Aufsauger, Verbreiter, Co-Manipulatoren und Eigeninteresse-Verwerter; wie seit Anfang aller Tage.
Die heuchlerische Annahme, dass eine technische Veränderung, eine Verbreiterung der Möglichkeiten zu einer inhaltlichen Verbesserung führen muss, ist nur dann möglich, wenn sich die Verfasstheit des Menschen geändert hätte. Dies ist aber keineswegs der Fall.