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Todor Ovtcharov

Der Low-Life Experte

22. 7. 2015 - 12:06

Punk's not dead!

Als Schüler war ich für eine Weile ein Punker. Zur Tagesordnung der anarchistischen Vereinigung gehörte das Biersaufen im Park. Das gefiel mir.

Als Schüler war ich für eine Weile ein Punker. Nein, ich hatte keinen Iro oder dreißig Piercings im Gesicht. Ich begnügte mich nur damit, auf die üblichen Werte, die Schule und Familie mir beibringen wollten, zu scheißen. Laut meiner Mutter war meine Punkperiode einfach ein Umweg, um dem Geschirrspülen zu entkommen. Mein Vater hingegen nannte es ganz direkt Faulheit.

Um ihm zu trotzen, trat ich mit siebzehn der bulgarischen anarchistischen Vereinigung bei. Zur Tagesordnung der anarchistischen Vereinigung gehörte das Biersaufen im Park. Das gefiel mir. Wie hörten laut Punk. Wir wollten nicht wie die Anderen sein, die ganz konform im Popmusikmeer schwammen.

Einen Free Download eines Songs der Band Dubioza Kolektiva aus Bosnien und Herzegowina gibt es hier

Neben den Sex Pistols, The Stooges und The Clash liebten wir jugoslawische Bands wie Pankrti (Die Bastarde) aus Ljubljana, Paraf (Unterschrift) aus Rijeka und Pekinska Patka (Ente nach Pekinger Art) aus Novi Sad, aber auch bulgarische Acts wie Kontrol und Hipodil. Kontrol waren sozialkritisch und Hipodil sangen über Saufen und Sex. Eins der Alben von Hipodil wurde in den 90er Jahren wegen Pornographie verboten. Wenn ich mir heute das alles überlege, war das Album völlige Pornografie. Damals aber war ich aber vollkommen gegen sein Verbot.

Graffiti Punx not dead By Shalom at pl.wikipedia [Public domain], from Wikimedia Commons

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In Island wurde nach der Wirtschaftskrise 2008 ein Punker als Bürgermeister von Reykjavik gewählt. Man sagt, er habe viel mehr für die Stadt getan als alle vorherigen, "normalen" Politiker. Vor einigen Jahren bewarb sich der Sänger von Hipodil für den Amt des Staatspräsidenten in Bulgarien. In seiner Wahlkampagne benahm er sich wie ein Volltrottel, war aber trotzdem der einzige echte Mensch in der ganzen Menge von Plastikpolitkern. Ich stimmte für ihn. Er sammelte mehr Stimmen als viele der "ernsthaften" Kandidaten. Danach gründete er eine Partei. Es fing an, nach Geldgier zu riechen. Ich stimmte kein zweites Mal für ihn. Der Punker in Reykjavik wurde nicht wiedergewählt. Und das bulgarische Reykjavik wurde nie Wirklichkeit.

Neulich traf ich in Wien einen Freund von mir aus der anarchistischen Bewegung in Sofia. Er war der radikalste von allen. Er veranstaltete die wildesten Partys in seinem Haus in einem Vorort von Sofia. Wir hatten dort den meisten Spaß unseres Lebens. Wir liefen tagelang mit Mistkübeln auf unseren Köpfen herum und rochen auch so. Wir trafen uns vor der Votivkirche. Er trug einen Anzug. Gerade hatte er eine Vorlesung an der Uni Wien gehalten. Jetzt ist er Archäologe und meint, dass die Bewahrung der Traditionen das wichtigste im Leben ist. Ich fragte ich, ob Punk tot ist? Und wo sein freier Wille geblieben sei? Er erinnerte mich daran, wie ich als Anarchistenmitglied die anarchistische Zeitung verteilen musste. Ich wollte es nicht. Das war gegen meinen freien Willen. Ich bin aus der anarchistischen Vereinigung ausgetreten. Anscheinend erlebt jeder seinen freien Willen anders.