Erstellt am: 21. 7. 2015 - 15:29 Uhr
Kammern des Begehrens
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Mathieu Amalric im Gespräch mit Petra Erdmann, danach 7 Tage on Demand
"Das Blaue Zimmer" ("La chambre bleue") läuft seit 17. Juli 2015 in österreichischen Kinos.
Wie wir Kinozuseher, grenzen sich die Liebhaber in Mathieu Amalrics aktuellen Film La chambre bleue von der Außenwelt ab. Wird im Film die Welt unter dem offenen Himmel überhaupt gezeigt, ist diese unlieb, leer und lustlos, wie es nur die Realität sein kann. Einzig das abgedunkelte blaue Zimmer bietet einen Rückzugsort für Genuss und Leidenschaft. In gewisser Hinsicht sind die beiden Liebhaber Gefangene: nicht nur im blauen Zimmer, in dem sie sich für ihre erotischen Treffen verabreden, sondern auch in den destruktiven Umarmungen ihres gegenseitigen Begehrens. Dies ist auch die Situation der gepeinigten Liebhaber so mancher Film noir-Helden.
Alfama Films
So geht es in La chambre bleue um die stilvolle Erzählung einer eher generischen Film noir-Handlung: Ein Mann und eine Frau in einem Hotelzimmer, Verbrechen auf mehreren Ebenen, Eifersucht und Leidenschaft, Geheimnisse, Familientragödie und das Gefängnis der Umarmungen.
Österreichisches Filmmuseum
Laut Amalric haben Co-Drehbuchautorin Stéphanie Cléau und er sich an den früheren RKO-Studio Filmen Hollywoods orientiert, die, so wie La chambre bleue, eine extrem kurze Produktionszeit hatten. So habe Amalric an Jaques Tourneur und Fritz Lang gedacht, genau so wie an Otto Premingers Angel Face; Filme über die Gewalt der körperlichen Leidenschaft.
Auf einer poetischeren Ebene bezieht sich Amalric auf François Truffauts wunderschön-tragischen La femme d’à côté mit Fanny Ardant und Gérard Depardieu als die glücklos verliebten Antihelden, die - typisch Film noir - in eine Spirale aus Sex und Gewalt geraten: genau wie in La chambre bleue geht es hier um ein Paar und einen Ehebruch, ein Verbrechen, sowie ein gemeinsamer Weg in Leidenschaft. Amalric beschäftigt sich auf seine ganz "französische" Art mit dem, was eh am interessantesten auf der Welt ist. Und zwar mit dem Wunder, das jeder einmal in seinem Leben gelebt hat: das Rätsel der sexuellen Anziehung zwischen zwei Körpern, welches den einen zu einem anderen werden lässt.
United Artists Classics
Dabei hat der Film noch eine seltsame, voyeuristisch-exhibitionistische Ebene: Stéphanie Cléau ist nicht nur Drehbuchautorin und spielt Amalrics Liebhaberin, sie ist "im echten Leben" auch noch mit Amalric verheiratet (Fanny Ardant, Star von La femme d’à côté, war später auch Truffauts Lebenspartnerin). Für Amalric ist das einerseits interessant, da Cléau von den Darstellern der im Film vorkommenden Dreiecksbeziehung als Einzige eine unbekannte Schauspielerin ist. Amalrics eigene Lust an der Darstellung ihres Körpers sowie ihrer Sexualität ist nicht nur im Interview erkenntlich; die Liebesszenen in La chambre bleue, welche wohl die einzig wirklich aufregenden des gesamten Films sind, sind durchtränkt von einer schieren, feuchten erotischen Freude.
La chambre bleue basiert auf einem Roman von Georges Simenon, der laut Amalric sehr eigen ist, da es einer der dunklen Romane ist, die der Autor zu Ende seines Lebens geschrieben hat. Er hat in Stil und Stimmung etwas "ganz anderes", da er von keiner linearen Erzählung durchlaufen ist, sondern Anspielungen auf zwei verschiedene Zeitebenen macht, die miteinander in Konflikt stehen: die Gegenwart, sowie die Analyse des Lebens danach.
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Schauspieler-Regisseur
Mathieu Amalric hat ein Gesicht und einen Namen, die man hauptsächlich mit dem französischen Kino verbindet. Dabei gilt seine eigentliche Berufung dem Film und dem Filmset selbst. Sein letzter Film Tournée (2010), eine Art Road-Trip-Film, lose inspiriert von einem Werk von Colette über eine Gruppe Burlesque-Tänzerinnen, entstand mit derselben, engen Crew von La chambre bleue.
Ursprünglich machte Amalric eine Lehre als Techniker, um so zum Filmemachen zu gelangen. Film schien ihm wie die vollkommene Kunst:"Im Film benutzt man Kopf, Körper, Hände, Hirn und Herz - wenn ich kein Schriftsteller oder Gitarrist sein kann, ist Film dort, wo alles kombiniert wird; beim Film begegnen sich Leute, die irgendwo gescheitert sind."
Es war schließlich der Regisseur Arnaud Desplechin, der den Schauspieler Amalric in den frühen Neunziger Jahren "erfand". Über die Jahre schaffte Amalric es dann in die Welten anderer Regisseure, die ihn inspirierten. Dabei stiehlt er die Zeit, um seine Filme zu machen, und arbeitet nur als Schauspieler, wenn er sich zu den Regisseuren hingezogen fühlt - z.B. die Brüder Larrieu, Assayas, Téchiné und Wes Anderson, der für Amalric an besonderer Stelle steht. Amalric synchronisierte George Clooneys Rolle in Fantastic Mr Fox und hatte einen kleinen Auftritt in The Grand Budapest Hotel; Über Wes Andersonst Filme meint er, man betrete Andersons Welt "um überrascht zu sein, um eine Welt zu sehen, die man sich selbst nie vorgestellt hätte. "
Wenn Amalric selbst gerade an einem Film schreibt, geht er gerne am Nachmittag ins Kino; Kinogehen am Nachmittag, meint er, ist ein gestohlener Moment, wie Schuleschwänzen. So ein nachmittägliches Eintauchen in einen dunklen Saal klingt auch, als wäre das Kino jene geheime Liaison in einem blauen Zimmer, über die Amalric soeben einen Film gemacht hat.