Erstellt am: 20. 7. 2015 - 18:37 Uhr
Radiate Your Love To Me
Die Chemical Brothers spielen am 20. August beim FM4 Frequency Festival.
Die Chemical Brothers haben vor zwei Jahrzehnten gesät, was heute tagtäglich aus den Boxen dudelt.
Sie haben den Hybrid "Clubmusik im Pop-Song-Format" Mitte der Neunziger Jahre in die Charts und zur Meisterschaft erhoben - und ihren Status mit einer beeindruckenden Reihe an Live-Shows und ebensolchen Hits zementiert. Die Liste ihrer Dancefloor-Monster ist lang: "Leave Home", "Block Rockin Beats", "Hey Boy, Hey Girl", "Out Of Control", "Swoon" uvm.
Chemical Brothers
Die Chemical Brothers waren mal die Zukunft der elektronischen Musik. Ihr wegweisendes Debüt-Album "Exit Planet Dust", eine damals unerhörte, unter dem Namen "Big Beat" reüssierende Mischung aus Breakbeats, Hip Hop, Techno, House und Rock, hat vor kurzen seinen 20. Geburtstag gefeiert.
Ein Track auf dem neuen Album heißt auch "(The Future) I'll See You There" - eine augenzwinkernde Referenz an alte Tage, erinnert doch dieses wild aufgetürmte Psychedelic-Sci-Fi-Glam-Monster an ihre 1996 erschienene Nummer "Setting Sun" mit Noel Gallagher.
Exkurs
Wir erinnern uns: Wegen dem Drum-Loop in "Setting Sun" wurden die Chemical Brothers ja auch 1996 von den verbliebenen Beatles wegen Urheberrechtsverletzung verklagt - weil sie offensichtlich Ringo Starr's Schlagwerk aus "Tomorrow Never Knows" zitiert haben. Die Klage haben die Beatles verloren, die Nummer wurde ein Hit.
Kennengelernt haben sich Ed Simons und Tom Rowlands beim Studium in Manchester. Aber nicht die Universität war ausschlaggebend für die Wahl ihres Studienorts, sondern "The Hacienda", der legendäre Club von Joy Division/New Order Bassist Peter Hook. Der Club war die Wiege der Madchester-Szene und dort wurden die beiden angefixt. Das Studium wurde zu Gunsten der Musik abgebrochen, doch nun ist Ed Simons an die Uni zurück gekehrt.
In Interviews hält er sich bedeckt und beschreibt seine Arbeit als "'Non-specific academic work". Deshalb hat er auch die letzten Konzerten der Chemical Brothers - zum Beispiel das heurige Glastonbury Festival - ausgelassen. Er wurde vom langjährigen Chemical-Brothers-Weggefährten, dem Visualisten Adam Smith auf der Bühne ersetzt.
Ob Ed Simons beim FM4 Frequency Festival am 20. August mit dabei sein wird, wissen wir noch nicht.
Pulsierender Big Beat, aufgebrezelter Acid, Abfahrt
Das neue, achte Chemical Brothers Album "Born in the Echoes" startet stark mit "Sometimes I Feel So Deserted", das auf einem Sample von "Brighter Days", einer Old-School-House-Nummer von Big Moses aus dem Jahr 1996 basiert. Während andere Dance-Pop-Pioniere also Wohlfühl-Platitüden wie "Get Lucky" oder "Happy" setzen - reden die Chemical Brothers Tacheles: Nein, es ist nicht immer alles gut. Ganz und gar nicht.
In "Under Neon Lights" besingt Annie Clark, besser bekannt als St. Vincent ein modernes Drama, in dem es um Suizid geht.
"Born In The Echos" ist eine düstere, psychedelische Platte - die dem Spannungsbogen eines DJ-Sets folgt. Was nicht wundert, denn Ed Simons und Tom Rowlands sind nach wie vor als DJs unterwegs.
Nach dem kraftvollen Opener kommt die erste Hitsingle "Go" - bei der die Chemical Brothers mit Q-Tip zusammengearbeitet haben, mit dem sie bereits vor zehn Jahren den Großraum-Disco-Banger "Galvanize" aufgenommen haben.
Q-Tip ist nicht der einzige alte Bekannte auf "Born in the Echoes". Auch mit dem Sänger Ali Love haben sie bereits 2007 bei "Do It Again" kollaboriert - und jetzt bei der verpeilten Acid-House-Granate "EML Ritual".
Die Platte erreicht ihren Gipfel mit dem programmatisch-getauften Techno-Geschütz "Just Bang".
Danach wird es ruhiger - und gefühlvoller. Den neben der Spur eiernden, von Sixties-Psychedelica-infiltrierten Titeltrack kühlt die Stimme der britische Sängerin Cate Le Bon. Der Track zählt mit seiner versponnenen Zurückhaltung zu den Bemerkenswertesten des Albums.
Dann gleitet die Platte langsam in den Sonnenaufgang. Die vorletzte Nummer ist das zärtliche Electro-Fuzz-Liebeslied "Radiate", bei dem Tom Rowlands selber singt:
"What is this? I can't see. Just radiate your love to me"
"Radiate" könnte der logische, weil wunderschön epische Schluss der Platte sein - aber nein - noch haben wir nicht genug. Deshalb kommt als Krönung der ultimative Closing-Track - die Synthie-Pop-Perle "Wide Open" mit Beck. So muss man das machen!
Auf "Born In Echoes" zeigen die Chemical Brothers, dass sie es noch immer können. Sie lassen zum Glück aktuelle Trends links liegen und ziehen - wie immer in ihrer 20-jährigen Karriere - ihr Ding durch.