Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "The daily Blumenau. Monday Edition, 20-07-15."

Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

20. 7. 2015 - 15:42

The daily Blumenau. Monday Edition, 20-07-15.

Uber-Solidarisch mit unkorrekt Gekleideten.

#demokratiepolitik #asylpolitik

The daily blumenau hat im Oktober 2013 die Journal-Reihe (die es davor auch 2003, '05, '07, 2009 und 2011 gab) abgelöst. Und bietet Einträge zu diesen Themenfeldern.

Das Missverständnis mit dem 'übersolidarischen'

Der auch für Integration zuständige Außenminister war Im Journal zu Gast und hat dort einen Begriff geprägt: Österreich sei, was die Aufnahme von Flüchtlingen betrifft, übersolidarisch. Andere Europäische Nationen würden kaum einen oder einen schwachen Beitrag leisten, Österreich seine Quote übererfüllen; und das inmitten einer unsolidarisch geführten Quotendebatte innerhalb der EU; auch angesichts der deutlich stärken geforderten Mittelmeer-Nationen (Italien, Malta, Griechenland, ja, Griechenland...), der Relation, was die innereuropäische Verteilung von Reichtum, Platz oder Ressourcen betrifft.

Integrationsstaatssekretär Sebastian Kurz

FM4 / Alex Wagner

So kommt dieses Gespräch rüber.
Ich denke es ist alles ein Missverständnis.
Denn von einer Übersolidarisierung kann weder realpolitisch noch medial gefühlt nicht einmal im Ansatz die Rede sein: die politisch oder nur sadistisch motivierten "das Boot ist voll!"-Anhänger, ihre xenophoben Foren-Trolle, die Aufnahme-Stopp-Befürworter sind klar in der Mehrzahl, jene, die tatsächlich solidarische Hilfe leisten (oder diese Hilfeleistungen zumindest unterstützen) eine bestenfalls bildungsleveltechnisch qualifizierte Minderheit. Die Maßnahmen von Regierungen und Amtsträgern sind vom Gegenteil der Solidarität, von einem isolationistischen Protektionismus und Segregation bestimmt, humanistische Ausgrenzung ist kein Merkmal eines rechtsnationalen Populismus mehr, sondern in der Mitte der Gesellschaft angekommen.

Kurz, der einzige österreichische Instinktpolitiker mit Charisma, Intelligenz, Macht und einsehbaren Restposten von Rechtschaffenheit und Anstand, weiß all dies genau.- kann also nur falsch zitiert worden sein.

Er sprach wohl nicht von Über-Solidarität, sondern von Uber-Solidarität. Und weil Uber zwar in Sitcoms im Abendprogramm, nicht aber im Denkschatz des österreichischen Durchschnittsbürgers (und auch noch nicht in jenem der allermeisten Journalisten) angekommen ist, musste es zu dieser Fehldeutung kommen.

Das als Billig-Anbieter im Rahmen der Share Economy angetretene Modell für Alternativen zum Taxi-Transport ist in den letzten Monaten zum Symbolbild für die Auflösung von Old-Economy-Strukturen (samt ihren gewerkschaftlichen Absicherungen) geronnen und steht für die zunehmende Selbstausbeutung und Selbstpräkarisierung der Mittelschicht, die vom Plattform-Kapitalismus unserer Tage betrieben wird.

Sebastian Kurz ist seinerseits großer Fan des Silicon Valley, er hat erst unlängst höchstselbst eine Delegation dorthin begleitet, und spricht von der Notwendigkeit eines "Schulterschlusses der Politik mit neuen Medien wie Facebook und Co., aus diesem Grund besuchten wir Unternehmen im Silicon Valley und San Francisco", wo eben auch Uber angesiedelt ist.

Die Hände von Integrationsstaatssekretär Sebastian Kurz

FM4 / Alex Wagner

Der blendende Formulierer Kurz kann also nur "uber-solidarisch" gemeint haben, als er - versehentlich - "übersolidarisch" sagte.

Der Begriff Uber-solidarisch trifft nämlich den Kern der Sache: so wie die Uber-Philosophie nur den Schein erweckt, sich um den sozialen Zusammenhalt einer gerecht geteilten Ökonomie im Kleinen zu kümmern (und in Wahrheit nur die Zerstörung genau dieser und aller anderen Mittelschicht-Dienstleistungen im Sinn hat) genauso erweckt das offizielle Österreich ja nur den Schein von Solidarität mit Vertriebenen und Schutzsuchenden, wo es letztlich um eigene Begehrlichkeiten, wahltaktischen Kleingeldwechsel und biedere Klientelpolitik geht.

Das Missverständnis mit dem Flüchtlings-Dresscode

Weil Flüchtlinge in den letzten Wochen aus der kompletten Gesichtslosigkeit in eine neue mediale Darstellungsform eingetreten sind, kriegen sie zunehmend ein Imageproblem.

Offenbar kümmert sich niemand um eine gezielte Außendarstellung bzw. koordiniert die Agenden der Asylsuchenden.

Flüchtlinge sehen dieser Tage nur bedingt so aus, wie sie sollten: abgerissen, den Tränen nahe, für jedes Stück Brot dankbar, mit dem irrlichternden Blick der frisch Traumatisieren, verschmiert und am besten bloßfügig.

Wem bei seiner Flucht nicht die Schuhe unter den Füßen weggebröselt sind, der hat ein Problem. Wenn dann womöglich noch der Besitz eines Kleidungsstücks, auf den der Sozialempfänger einige Zeit sparen muss, oder gar der Besitz eines videofähigen Handys dazukommt, ist Feuer am Dach.

Flüchtlinge in Traiskirchen

Refugees Welcome to Austria

So ein Flüchtling kann ja gar keiner sein, eigentlich. Das könnten wir ja auch sein, im Urlaub oder so.

Weshalb sich eine Art passiver Dresscode entwickelt hat, was sich für einen Vertriebenen/Verdrängten aus fremden Landen geziemt.

Und jetzt kommt's: das soll alles gar nicht richtig sein.
Flucht, so argumentieren Experten, hat ja nicht in erster Linie etwas mit sozialer Not, sondern Verfolgung aus politischen, religiösen oder ethnischen Gründen zu tun. Flucht bedeutet in den seltensten Fällen, dass jemand sich als Wirtschaftsflüchtling absichtlich und gezielt bis nach Österreich durchschlägt, sondern zufällig hier landet. Und dementsprechend so genommen werden sollte, wie (und womit) er ankommt. Mit einem Handy als letztem Verbindungsstück zur Mama daheim, mit einem besseren Kleidungsstück im Rucksack, mit Schuhen, die diesen Namen auch verdienen.

Und am besten auch gleich ohne gehetzten oder gesenkten Blick. Weil die Ankunft im sicheren, übersolidarischen Hafen genau das bewirken soll.