Erstellt am: 23. 7. 2015 - 17:45 Uhr
Gefühlt Mitte Zwanzig
"I’m losing my edge" singt James Murphy in einem der zentralsten Songs der Nullerjahre, "the kids are coming up from behind." Es ist der tragikomische Monolog eines panischen Fortysomethings, den der Kopf des LCD Soundsystem damals in treibende Beats verpackt. Die Angst eines Szeneveteranen, von jüngeren, schnelleren, kreativeren Leuten überholt zu werden. Die ewige Paranoia der Älteren, von der nachkommenden Generation aufs Abstellgleis befördert zu werden.
Man kann diese achtminütige Ausnahmenummer aus dem Jahr 2002 als sarkastische Attacke auf die Schnelllebigkeit der Hipsterzugänge feiern. Oder umgekehrt als Satire auf einen gewissen Berufsjugendlichen-Typus abtun. James Murphy bringt in jedem Fall eine popkulturelle Auseinandersetzung auf den Punkt, die seit der Veröffentlichung des Songs weiter eskalierte.
Die Generation X, wenn wir sie wieder einmal vage so nennen, wuchs mit gewissen subkulturellen Idealen auf, die aus der totalen politischen, religiösen und moralischen Desillusionierung geboren wurden. Man glaubte im Grunde an nichts mehr richtig, lehnte den menschenverachtenden Kapitalismus genauso ab wie die linken Gegenstragien der Hippie-Vergangenheit. Höchstens Musik, Filme, Bücher und Philosophien dienten als Rückzugsgebiete. Postpunk und Grunge, David Fincher, Richard Linklater, Chuck Palahniuk und Jean Baudrillard standen für eine Mischung aus Verweigerung und schulterzuckender Ernüchterung.
All diese Abwehrhaltung der Gesellschaft gegenüber hinderte viele GenXer nicht daran, Karriere zu machen und die Popkultur, den Journalismus oder auch die Film- und Modeindustrie mal höchst subversiv, dann wieder angepasst belanglos aufzumischen. Zumindest bis zu dem Augenblick, den LCD Soundsystem so treffend formulieren: "I'm losing my edge to better-looking people with better ideas and more talent. And they're actually really, really nice."
Constantin Film
Orientierungslos durch Bohemia taumeln
Ich versuche hier deswegen einen bestimmten Generationskonflikt zwischen Prä-Hipster-Eltern und Hipster-Kindern aufzurollen, weil James Murphys bester Regiekumpel einen ziemlich superen Film zu dem Thema gedreht hat. "While We’re Young", im deutschen Sprachraum "Gefühlt Mitte Zwanzig" betitelt, zeigt Ben Stiller und Naomi Watts als kinderloses Paar Mitte Vierzig, die etwas orientierungslos durch Bohemia taumeln.
Verwirrt blicken die beiden Eheleute (die gleichzeitig mit dem Akt des Heiratens ideologisch ringen) auf ihr Freundesumfeld, wo Babygeschrei und Schwangeren-Talk spät aber doch die hitzigen Underground-Utopien ablöste. Josh und Cornelia fühlen sich deplatziert in der Welt der ergrauenden Gleichaltrigen, wo es scheinbar nur mehr um bürgerliche Pfade geht, die man bei den Eltern doch einst abgelehnt hat. Erst als sie ein jüngeres Pärchen kennenlernen, kommt wieder Euphorie in ihr Leben.
Denn Jamie (Adam Driver) und Darby (Amanda Seyfried) haben anscheinend noch ein fiebriges Interesse an den wirklich wichtigen Dingen: elektrisierende Kino-Erfahrungen, essentielle Rocksongs, haptisch greifbare Relikte der Subkultur. Als prototypische Vertreter des Brooklyn-Hipstertums wohnen die Mitte Zwanzigjährigen Studenten sogar in einem Loft, in dem Kofferschreibmaschinen, Vinylplatten und VHS-Kassetten von einer kultisch verehrten Analog-Ära erzählen.
Den Dokumentarfilmer Josh (eine Paraderolle für Ben Stiller, diesen Spezialisten für verhuschte Midlife-Crisis-Opfer) fasziniert aber am meisten, dass der souverän durch den Alltag schlendernde Jamie die selbe Profession wie er selbst verfolgt. Mehr noch, der junge Regisseur ist ein echter Fan und träumt anscheinend davon, mit dem älteren Kollegen zu kollaborieren. Cornelia taut währenddessen an der Seite der selbstbewussten Darby völlig auf, auch wenn sie sich beim Hip-Hop-Dance zuerst etwas deplatziert fühlt.
Constantin Film
Verkehrte Welt in der Generations-Seifenblase
Noah Baumbach, dessen Schaffen sowohl an die ikonenhaften Frühwerke von Woody Allen als auch an die etwas breitenwirksameren Komödien von Judd Apatow erinnert, ist am besten, wenn er Filme dreht, bei denen einem das Lachen im Hals steckenbleibt. Unvergesslich ist sein Meisterstück "Greenberg", in dem er einen ähnlichen Generationskonflikt an der Grenze zwischen Depression, Verbitterung und rabenschwarzem Humor abhandelt, ebenfalls mit Ben Stiller als Alter Ego des Filmemachers.
"While We’re Young" gibt sich leichtfüßiger und an der Oberfläche mainstreamiger, lebt aber ebenso von präzisen, gnadenlosen Beobachtungen. Alleine eine Montage, die das junge Paar bei der strikt analogen Abendgestaltung zeigt, während die Älteren mit iPads und iPhones auf der Couch sitzen und Netflix durchforsten, zeigt die verkehrte Gegenwartswelt. "I hear you're buying a synthesizer and an arpeggiator and are throwing your computer out the window because you want to make something real" hat James Murphy in "Losing My Edge" die Pseudo-Authentizitäts-Suche kommentiert. Für Buddy Baumbach steuert er übrigens abermals einen Soundtrack bei.
Ach ja, die heile Idylle der gegenseitigen Verbundenheit bröckelt natürlich, das ahnen wir von Anfang an. Als Josh realisiert, dass der clevere Bub, mit dem er ständig abhängt, unter seiner charmanten Slackerfassade ein perfekter Marketing-Fädenzieher ist, zerplatzt die Generations-Seifenblase. Endvierziger Noah Baumbach, der viel persönliche Erfahrung aus seiner Beziehung zu jüngeren Greta Gerwig ("Frances Ha") verarbeitet, erlaubt sich aber glücklicherweise keinen billigen Verurteilungen irgendeiner Fraktion.
In den lustigsten und gleichzeitig unangenehmsten Momenten von "While We’re Young" nimmt der Regisseur alle aufs Korn, die alten Narren, die etwa meinen, bei einer esoterischen Drogenparty ihre innersten Emotionen zu erforschen, aber auch die jungen Selbstoptimierer, die mit der Fassade einer untergegangen Gegenkultur-Epoche posieren. Ein toll gespielter Film, der auf unterhaltsame Weise wehtut, der mich persönlich an wunden Stellen berührte, der vielleicht überhaupt vieles im FM4-Universum verdichtet.
Constantin Film
Tickets gewinnen!
Wir haben 65x2 Tickets zur FM4 Kinopremiere von "While We're Young" verlost. ACHTUNG! Geänderter Ort: Die FM4 Kinopremiere findet am Donnerstag, 30. Juli, 20:30 im URANIA Kino, Uraniastraße 1, 1010 Wien statt.
Dafür musstet ihr folgende Schätzfrage möglichst richtig beantworten:
Wieviele FM4 Peckerl-Pickerl (Klebetattoos, gibt´s beim FM4 Stand) sind in folgendem Fahrradhelm?
FM4 / Alex Wagner
Der Einsendeschluss ist bereits vorbei. Ganz genau 95 Stück FM4 Peckerl-Pickerl waren im Helm. Die GewinnerInnen wurden bereits per Mail verständigt. Vielen Dank fürs Mitmachen allen und viel Spaß im Kino!