Erstellt am: 20. 7. 2015 - 15:33 Uhr
"Wenn der Staat überfordert ist, dann helf' ich!"
Am 20. Juli tritt das Fremdenrechtspaket in Kraft. Konkret bedeutet das u.a. eine neue Erstaufnahmestelle im Burgenland in einer Halle auf dem Festivalgelände des Nova Rock und dass die Zeltstadt in Krumpendorf am Wörthersee bis auf Weiteres zu einem sogenannten Verteilerzentrum wird
"Anscheinend ist der Staat überfordert. Wenn der Staat nicht fähig ist, die Flüchtlinge ausreichend zu versorgen, müssen das Privatpersonen machen", sagt Lisa Ehrenreich. Sie sammelt Sachspenden für Flüchtlinge, die vom Innenministerium im ehemaligen Hotel "Haus Semmering" untergebracht sind. Zumindest müssen die Jugendlichen nicht in Zelten schlafen, Verpflegung und Unterkunft sind in Steinhaus gut. "An anderen Orten bringt der Staat das nicht zusammen", sagt Lisa. "Wie in Traiskirchen, wo Babys und Kinder im Freien schlafen müssen. Das ist ein Armutszeugnis".
Ein Armutszeugnis, das die 27-jährige Jus-Studentin und alleinerziehende Mutter eines Fünfjährigen nicht so akzeptieren will. Via Privatinitiative unterstützen sie und ihre Freundin Bettina Hofer die Flüchtlinge im "Haus Semmering". Auf Facebook baten sie um Sachspenden, Bettina knüpfte Kontakt mit der Heimleitung im steirischen Steinhaus.
Unmittelbar unterstützen
Unterwäsche ist sehr gefragt, sagt Lisa Ehrenreich. Auf Unterwäsche vergisst man meistens, wenn man ein Spendenpaket für Flüchtlinge zusammenstellt. "Die Menschen kommen mit dem, was sie am Leib tragen."
Lisa Ehrenreich
Was sie erwartet, wusste Lisa vor ihrem ersten Besuch nicht. Sie fragte sich, ob das Haus in einem desolaten Zustand sei. Nein, es ist ein schönes Haus, weitläufig und mitten in den Bergen, in idyllischer Umgebung.
Medial ist die steirische Unterkunft nicht unbekannt: Mit der Entscheidung, das einstige Hotel "Haus Semmering" mit September 2014 als Herberge für Asylwerber zu nützen, stieß das Innenministerium die Bevölkerung der Umgebung vor den Kopf. Denn informiert wurden die Einheimischen einen Tag, bevor die Flüchtlinge in diesem dritten Flüchtlingsheim ankamen - in Steinhaus am Semmering gab es bis dahin zwei Flüchtlingsheime und die Gemeinde hatte freiwillig Flüchtlinge aufgenommen. 110 jugendliche Flüchtlinge wohnen jetzt im "Haus Semmering".
#refugeeswelcome
FM4 stellt Initiativen vor, die die Situation von Flüchtlingen in Österreich verbessern wollen. Wir sind über alle weiteren Hinweise über NGOs und engagierte Privatinitiativen dankbar.
Kontakt: fm4@orf.at Weitere Informationen auf fm4.orf.at/refugeeswelcome
Seit Juni sammeln Lisa und Bettina Sachspenden. Vor Kurzem sind sie mit fünf Autos voll beladen mit Gewand, Unterwäsche, Sportsachen und Hygiene-Artikeln, sowie Schachteln voll Buntstiften und Büchern zum Deutschlernen nach Steinhaus am Semmering gefahren.
Konflikt um Schule
Die Flüchtlinge in Steinhaus sind unbegleitete, männliche Minderjährige. "Mit 14, 15, 16. Kinder. Und sie wollen auch unbedingt in die Schule gehen. Das dürfen sie leider nicht", sagt Lisa Ehrenreich. Weitere Volksschulbücher will sie bei ihrem nächsten Besuch mitbringen, damit die Jugendlichen Deutsch lernen können.
Der Schulbesuch scheitert an unklaren Zuständigkeiten. Grundsätzlich hätte die Bezirkshauptmannschaft die Vormundschaft für die jugendlichen Flüchtlinge. Aber als die ersten unbegleiteten Minderjährigen nach Steinhaus kamen, hieß es, die Vormundschaft übernehme der Bund, sagt die Vizebürgermeisterin der Gemeinde, Maria Fischer. Der Pressesprecher des Innenministeriums Karl-Heinz Grundböck verweist aber wieder auf die Bezirkshauptmannschaft. Obsorge, also auch die Frage des Pflichtschulbesuchs, sei deren Sache. Nur die Betreuung und Versorgung für unbegleitete Minderjährige stellt die ORS Service GmbH im Auftrag des Bundes. So schieben einander BH und Bund die Verantwortung gegenseitig zu.
"Uns wird immer wieder versprochen, die kommen wieder weg. Nur in Zeiten wie diesen mit Zeltstädten in Österreich ist es schwierig, etwas gegen diese Menschen zu sagen. Weil die, die da sind, können überhaupt nichts dafür", sagt Vizebürgermeisterin Maria Fischer von der SPÖ. "Es muss europaweit eine Lösung gefunden werden. Wenn jede Gemeinde zehn oder zwanzig Flüchtlinge aufnimmt, hat niemand ein Problem".
Lisa Ehrenreich
Wie sehr sich die Jugendlichen nach Beschäftigung und Ansprache sehnen, ist nicht zu übersehen: "Wenn du das Auto abstellst, sind sie gleich da und versuchen mit dir Deutsch zu sprechen. Auf ihre Deutschkenntnisse sind sie stolz und sie sind froh, Unterhaltungen zu führen", sagt Lisa Ehrenreich. "Sie freuen sich, wenn jemand da ist und ihnen zuhört. Sie sind so aufgeschlossen."
Hilfe in Absprache mit dem Innenministerium
Lisa Ehrenreich
Lisas und Bettinas private Hilfsaktion ist mit dem Innenministerium abgesprochen. Warum? "Das Ministerium muss genehmigen, dass wir nach Steinhaus fahren dürfen. Es will den Überblick bewahren und wissen, wer kommt. Es gibt ja auch Schaulustige. Nicht, dass einfach Leute vor der Türe stehen. Das wäre für die Flüchtlinge nicht angenehm, sie sollen auch ihre Privatsphäre haben", erklärt Lisa. Einfach so Spenden hinzubringen wäre sicher eine nette Intention, doch es müsse mit der Heimleitung abgesprochen werden.
Für Lisa und Bettina steht fest: Ihre Initiative soll keine vorübergehende Sache sein, denn: "Die Flüchtlinge werden nicht kurzfristig in Österreich sein".
Willst du mithelfen?
Männerschuhe (Größe 38 bis 42) und -kleidung wären toll für die Jugendlichen im "Haus Semmering", über Fußbälle, Basketbälle und andere Sportartikel freuen sie sich sehr. Bei den Spenden ist es wichtig, nur Dinge weiterzugeben, die man selber tragen oder verwenden würde. Abgeben kannst du Spenden bei Lisa in Graz und bei Bettina in der Obersteiermark.
Kontakt: lisa.ehrenreich@gmx.at