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Philipp L'heritier

Ocean of Sound: Rauschen im Rechner, konkrete Beats, Kraut- und Rübenfolk, von Computerwelt nach Funky Town.

19. 7. 2015 - 14:58

Ruf! Mich! An!

Der Song zum Sonntag: Moses Sumney - "O Superman"

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  • Auch der geschätzte Wissenschafts- und Popjournalist Thomas Kramar macht sich in der Presse am Sonntag zum jeweils selben Song seine Gedanken

Das in Asheville, North Carolina abgehaltene Moogfest ist ein Festival, das in Ehren zu Bob Moog, Erfinder des Moog Synthesizers, ins Leben gerufen wurde. Das Festival würdigt elektronische Pioniere und lädt neuere Künstler ein, die an den Schnittstellen von Pop und Avantgarde schrauben.

Gerade ist unter dem Titel "Moogfest Vol. 1" eine vom Festival veranlasste EP erschienen, die die Verbindung zwischen Vergangenheit und Gegenwart herstellt: Junge, coole Acts covern Legenden. Das krypto-spirituelle DFA-Duo YACHT covert die surrealistischen Science-Fiction-Waver Devo, Party-Maschine Dan Deacon covert eine Ambient-Arbeit von Brian Eno. Oder auch: Der in Los Angeles beheimatete Newcomer Moses Sumney covert "O Superman" der Performance-Künstlerin und Musikerin Laurie Anderson.

Moses Sumney

Moses Sumney

Bislang ist der noch wenig bekannte Sumney vornehmlich als Singer-Songwriter from Outta Space aufgefallen, seine Live-Auftritte bestreitet er meist einzig mit Gitarre und Effekt-Pedalen. Er spielt mit Hall und Echo, entwickelt so aus Liedermacherei und Folk, Ambient, Minimal Music und dem Wabern und Blubbern von Dub neue, weite Räume. Auf dem Label von Chris Taylor, dem Bassisten und Studio-Wizard von Grizzly Bear, hat Moses Sumney eine feine 7" veröffentlicht - ähnlich flauschig, weitläufig und luftig wie die Musik von Grizzly Bear sind auch die Stücke von Sumney.

"O Superman" von Laurie Anderson ist das Gegenteil. Es ist eines der seltsamsten Stücke, die jemals die Hitparaden aufgewirbelt haben. Ein kaltes, entmenschlichtes Stück Musik, das in seinem Erscheinungsjahr 1981 Platz 2 der regulären britischen Charts erreichte. Gestrenge Kunstkreise sollten der Avantgardistin Anderson diesen kommerziellen Erfolg auch übel nehmen.


"O Superman" ist hyperminimalistisch, wogt fast achteinhalb Minuten lang auf der dauergeloopten Silbe "Ha" und zwei Akkorden aus dem Synthesizer dahin. Kurz gibt es Vogelgezwitscher, eine Art kleines Solo, am Ende etwas Saxofon. Dazu sprechsingt Laurie Anderson mit vocoder-entstellter Stimme von einem Dialog mit einem Anrufbeantworter.

Ein Lied über die Technologisierung und den Verlust von Geborgenheit, über Krieg, die verschwundene Zuneigung und Paranoia. "Here come the planes, they're American planes", sagt eine zum Roboter gewordene Anderson, und: "'Cause when love is gone, there's always justice, And when justice is gone, there's always force, and when force is gone, there's always Mom. Hi Mom!".


Diesem Song aus der Distanz einer hässlichen Zukunft, die die Realität ist, ist kaum etwas hinzuzufügen oder wegzunehmen. Moses Sumney dreht ihn also und macht aus "O Superman" einen wohligen Gospel. Das Stück klingt nach wie vor mechanisch, digital manipuliert und zercuttet, dabei strahlt es eine Körperlichkeit, Wärme, fast schon Feuchtigkeit, Spiritualität aus.

Sumney überlagert seine Stimme mit sich selbst zu einem jauchzenden Chor, es gibt Handclaps. Die Ansage des Anrufbeantworters - Hi, I'm not home right now - hat im Original ein futuristisches Unbehagen transportiert, heute sind wir untrennbar mit unseren Telefonen verbunden. Durch das Zusammenspiel von wahr gewordener Science-Fiction, Dauerkonnektivität, Überwachung und künstlich hergestellter Euphorie gewinnt der Song neue Brisanz.