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Irmi Wutscher

Gesellschaftspolitik und Gleichstellung. All Genders welcome.

17. 7. 2015 - 17:11

Initiative Wahlrecht

Ein Viertel der Wiener Bevölkerung über 16 Jahre ist bei der kommenden Landtagswahl nicht wahlberechtigt. Über abnehmende Legitimation der Politik und fehlende Anreize zur Integration.

Was verbindet unseren Morning Show-Moderator Stuart Freeman, Kollegen Dirk Stermann von "Willkommen Österreich" und Fatima aus Wien Favoriten? Sie alle leben seit Jahren, Jahrzehnten, vielleicht sogar seit ihrer Geburt in Österreich und dürfen bei Landtags- und Nationalratswahlen nicht wählen.

#InitiativeWahlrecht

*Die Wiener Jugendzentren beziehen sich auf den Wiener Integrations- & Diversitätsmonitor aus dem Jahr 2014

Der Verein Wiener Jugendzentren hat darauf aufmerksam gemacht, dass bei der kommenden Wiener Gemeinderatswahl ein Viertel der Wiener Bevölkerung nicht wahlberechtigt ist. Mit der Aktion 24 Prozent* arbeiten sie das Thema mit den Betroffenen auf.

Vier Jungs aus Favoriten haben zum Beispiel gemeinsam mit dem Mundart-Rapper Slomo einen "24 Prozent"-Rap geschrieben. Da heißt es zum Beispiel in einer Strophe:

24 Prozent der Menschen wollen wählen gehen
an der Tür heißt es, ihr könnt wieder heim gehen;
nur weil wir aus verschiedenen Heimatländern kommen
sind wir hier in Wien trotzdem nicht herzlich willkommen!

Sag mir, warum solln wir alle schweigen,
auch mein Vater arbeitet hart, um sich ein Brot zu leisten;
Da fragen sie sich, warum die Jugend aggressiv ist,
eigentlich interessiert es keinen, der da oben ist!

Schwarzeweißfoto mit Zahl 24%

Verein Wiener Jugendzentren

Aber: Die vier Jungs sind eigentlich wahlberechtigt (die, die es nicht sind, sind nur noch nicht alt genug). Warum haben sie dann den Text geschrieben?

"Ich habe mich in die reinversetzt, die nicht wählen dürfen", sagt Rapper Samu. Und sein Kollege Patron21 fügt hinzu: "Viele unserer Freunde können nicht wählen, aber sie wollen."

Fast die Hälfte aus der EU

In Wien leben ca. eineinhalb Millionen Menschen über 16 Jahre. Ein Viertel davon hat keine österreichische Staatsbürgerschaft und kann nicht wählen. Davon sind fast die Hälfte EU-BürgerInnen. Diese dürfen auf Bezirksebene zwar wählen, nicht aber auf Landes- und Gemeindeebene. So wie Sara: "Ich bin ziemlich traurig darüber. Ich habe zuletzt in Berlin gewohnt, dort darf ich auch nicht mehr wählen. Nur die, die länger dort wohnen, dürfen wählen. Ich verliere jetzt also meine Stimme."

In Österreich ist das Wahlrecht an die Staatsbürgerschaft gekoppelt. EU-BürgerInnen brauchen die Staatsbürgerschaft aber gar nicht zu wechseln, um woanders leben und arbeiten zu dürfen. Deswegen beantragen sie sie meistens gar nicht. So dürfen sie dann in ihrem neuen Heimatland nur an Bezirkswahlen und an Europawahlen teilnehmen. "Ich verstehe schon, dass man nicht nach jedem Zuzug gleich das Wahlrecht vergibt. Viele kommen ja nur vorübergehend und bei den Wahlen geht es ja um Zukunftsentscheidungen", sagt Sara. "Aber dass man nach drei oder fünf Jahren auf der Landesebene mitbestimmen kann, das fände ich schon wichtig." Denn immerhin arbeite sie ja hier und zahle Steuern.

Erdbeeren in Form von 24%

Verein Wiener Jugendzentren

Die 24%-Bilder sind in den Wiener Jugendzentren entstanden, die sich mit diesem Thema auseinandergesetzt haben.

Integrationspolitisches Dilemma

Der Politikwissenschaftler Vedran Dzihic gibt den Rappern und Sara recht: "Das ist tatsächlich ein großes integrationspolitisches Dilemma", sagt er. "Österreich ist im Integrationsbereich in der Gesetzgebung sehr restriktiv. Und es gibt meiner Meinung nach zu wenig Anreize für eine aktive Integration."

Er nennt Deutschland als Vorbild, das zum Beispiel Doppelstaatsbürgerschaften für Jugendliche zulässt. Denkbar wäre das auch für Österreich. Oder dass man nach einer gewissen Zeit des rechtmäßigen Aufenthalts - Dzihic denkt da an sechs, sieben, vielleicht zehn Jahre - das Wahlrecht ohne Staatsbürgerschaft erhält. Das ist gerade für EU-BürgerInnen interessant, die ja meist nicht ihre Staatsbürgerschaft wechseln. "Beide Wege sind nicht einfach, weil es dazu eines breiten Konsenses bedürfte. Und den hat man derzeit in der österreichischen politischen Landschaft nicht."

Kinder malen mit Kreide 24%

Verein Wiener Jugendzentren

Auch die Wiener Jugendzentren haben sich des Themas angenommen, weil sie in ihrer Arbeit merken, dass sich die Ansprüche an junge ZuwandererInnen nicht ausgehen: Einerseits sollen sie sich hier einbringen und integrieren, gleichzeitig dürfen sie aber nicht mitbestimmen. "Wir machen ja mit den Jugendzentren politische Bildung vor Wahlen", erklärt Christian Holzhacker, Pädagoge der Wiener Jugendzentren. "Da gehen wir Parteiprogramme durch, veranstalten Testwahlen. Und immer öfter bekommen wir die Rückmeldung: 'Das ist ja gut und schön - aber ich darf sowieso nicht wählen'. Und wir merken, dass das immer mehr wird."

Wem würde es nützen?

*Zahlen von der Statistik Austria, ausgehoben am 14.7.2015: Bevölkerung ab 16 nach Staatsbürgerschaft

Während es in Wien ein Viertel der wahrberechtigten Bevölkerung ist, ist das Verhältnis österreichweit ein wenig anders: 13 Prozent der Bevölkerung über 16 haben keine Staatsbürgerschaft*. Aber auch österreichweit könnten diese Nicht-Wahlberechtigten das eine oder andere Prozent ausmachen. Aber welche Partei würde davon profitieren, wenn ZuwanderInnen hier wählen dürften?

Das Interview mit Christoph Hofinger hat Hanna Sommersacher vom ZIB Magazin geführt. Auch dieses beschäftigt sich am Freitag, den 17.7., ab 19:45 Uhr mit der Frage: Wer darf wählen?

"Bei den Zuwanderern aus der EU sind es vor allem die Grünen, die stark profitieren würden, das sieht man bei den letzten Gemeinderatswahlen", sagt Christoph Hofinger vom Meinungsforschungsinstitut SORA. Grundsätzlich ist das Wahlverhalten von MigrantInnen nicht genau erforscht, von den Bezirkswahlen, wie z.B. in Wien, hat man aber ein paar Eckdaten. "Bei Zuwanderern von außerhalb der EU und da vor allem bei den Beschäftigten im Handel und in der Industrie punktet vor allem die Sozialdemokratie."

Stencil & Druck 24%

Verein Wiener Jugendzentren

Langfristig könnten aber alle Parteien profitieren: Da es unter den MigrantInnen überdurchschnittlich viele UnternehmerInnen gibt, wäre das eine Chance für die ÖVP und die NEOS, meint Hofinger. Und die FPÖ kann bei denen punkten, die selbst zwar zugewandert sind, aber skeptisch gegenüber neuen Einwanderungswellen sind.

"Kurzfristig würden Grüne und SPÖ profitieren, langfristig alle", fasst der Meinungsforscher abschließend zusammen. Deswegen haben wohl bisher als einzige diese beiden Parteien dieses Thema auf der Agenda.

Fehlende Legitimation von Wahlen

Grundsätzlich wird die Gesellschaft aber nicht daran vorbeikommen, sich etwas in punkto Migration und Wahlen zu überlegen. "Mittelfristig werden die europäischen Städte noch bunter werden. Es gibt immer mehr innereuropäische Wanderung, was ja auch der Idee des Europas ohne Grenzen entspricht."

Und wenn es irgendwann nicht mehr genug wahlberechtigte Erwachsene gibt, dann verlieren gewählte PolitikerInnen ihre Legitimation. Wenn man sich das wieder am Beispiel Wien ansieht: "Bei einer recht niedrigen Beteiligung von zwei Drittel der Wahlberechtigten plus dem Ausschluss der Migranten haben wir die Situation, dass eine Wiener Landesregierung eigentlich nur von der Hälfte der Erwachsenen gewählt worden ist", rechnet Hofinger vor.

Aber nicht nur um die Legitimation geht es, sagt Vedran Dzihic. Wenn ganze Bevölkerungsgruppen nicht als WählerInnen wahrgenommen werden, dann wird für sie auch keine Politik gemacht: "Sie werden von wahlwerbenden Parteien nicht angesprochen und ihre Anliegen werden nicht gehört."

Striezel in Form von 24%

Verein Wiener Jugendzentren

Christoph Hofinger von SORA sagt, dass Gesellschaften immer Entwicklungen durchlaufen, wen sie als wahlberechtigt ansehen und wen nicht: "Das Frauenwahlrecht, das wir heute so selbstverständlich ansehen, wurde erst vor knapp hundert Jahren hart erkämpft! Ähnlich könnte es mit dem Wahlrecht für MigrantInnen sein."

Die Jugendlichen in Wien Favoriten hoffen jedenfalls, dass diejenigen ihren Rap hören, die vielleicht etwas ändern könnten. "Die Politiker sollen das hören, der Herr Strache, das ist mein Ziel!" sagt Samu. Die anderen kichern. Mirsad wirft ein: "Selbst wenn der sich alles anhört, wird er sich trotzdem nicht ändern." Patron21 sagt: "Vielleicht hören es ja die, die was bewegen können."