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Christian Lehner Berlin

Pop, Politik und das olle Leben

21. 7. 2015 - 14:49

Des Schlafes Bruder Schlaf

Ein Interview mit Andreas Spechtl von Ja, Panik über sein erstes Soloalbum "Sleep" und über die Geister vergangener Utopien, die noch immer allgegenwärtig sind.

Keine Wolke am Himmel, die gleißende Sonne, die gnadenlose Hitze. Ein Schanigarten in Kreuzberg. Ach wo! Die weite See! Wo ist Libertatia? Andreas Spechtl ist weit hinausgesegelt auf "Sleep", seinem ersten Soloalbum. Fast bis an den Rand der Erde. Und die ist ja bekanntlich eine Scheibe.

Auf seiner Reise hat Spechtl in Jamaica angelegt und sich mit Dub-Vorräten versorgt. Ein andermal hat er das Geisterschiff Hauntology geentert. Und dann hat er auf der Insel Lomax Eingeborene entdeckt, die Spanisch mit Girlanden dran sprechen.

Andreas Spechtl erzählt im Prinzessinengarten zu Kreuzberg vom Big Sleep.

Christian Lehner

Andreas Spechtl erzählt im Prinzessinengarten zu Kreuzberg vom Big Sleep.

Das alles hat Andreas Spechtl im und rund um den Schlaf getan. In der Berliner Wohnung, leise und zart, wenn die Freundin schlafen gegangen ist. Oder allein im dunklen Probekeller in Kreuzberg an Zwitscherkisten bastelnd. Oder im Tourbus und in Hotelzimmern, zwischendurch wenn die Ja, Panik Kollegen ein Nickerchen gemacht haben.

"Sleep" ist ein Album, das lose Gedanken und Stimmungen aufhebt, sie aber nicht notwendigerweise zusammenführt. Alles bleibt in Schwebe. Bist du noch wach oder schläfst du schon? Die konventionelle Songform wird aufgebrochen, und doch nicht ganz zum Track. Im Schlafzimmer croont ein Saxophon, im Bad blubbert der Bass. Am Balkon zirbt die Mundharmonika. Wer weiß, vielleicht hat Captain Spechtl ja die erste Sleepcore-Platte ever in die Welt gesetzt und somit sein eigenes Genre begründet. Es musste jedenfalls ganz anders sein als die Stammband und das ging so:

Andreas Spechtl: Schlaf ist mir sehr wichtig. Ich schlepp genug Problemchen mit mir rum, aber Schlafprobleme habe ich keine. Und ja, es ist eine Platte über den Schlaf, aber auch über die Zeit nach dem Sonnenuntergang. Es ist definitiv keine Partyplatte. Es ist eine im positiven Sinn einsame Platte. Es ist die erste Platte in meinem Leben, die ich komplett alleine gemacht habe, spätnachts, hauptsächlich nach Ja, Panik-Bandproben oder in meiner Wohnung, wenn meine Freundin schlafen gegangen ist. Dadurch ist es eine recht leise Platte geworden, weil ich immer leise sein musste oder sehr müde war. Beim Aufnehmen habe ich viel Schlagzeug gespielt und dann gemerkt: man spielt ganz anders spät in der Nacht. Gerade beim Schlagzeug, das so körperlich ist, fällt das auf. Das fand ich interessant, diese Nuancen.

Christian Lehner: Es ist interessant, dass oft pragmatische Gründe hinter einem Konzept stecken – oder? Ariel Pink hat mir von seinen Anfangstagen erzählt, dass sein Sound nur deshalb so schrottig und komprimiert geklungen hat, weil er alles spätnachts auf billigen Walkman-Kopfhörern abmischen musste, damit ihn die Nachbarn nicht killen. Eigentlich wollte er immer schon Pop machen.

Andreas Spechtl: Ich bin selbst überrascht, was für eine konzeptuelle Platte das geworden ist. Da hab ich mich überlistet, denn das war überhaupt nicht der Plan. Am Anfang dachte ich auch nicht daran, das Material zu veröffentlichen. Ich hab das auch als Ausgleich zu Ja, Panik gemacht und schon zu der Zeit von Libertatia damit begonnen. Als ich mir dann die ersten Stücke angehört habe, bin ich draufgekommen, dass es sehr viel um den Schlaf geht. Und dann bin ich aus dem Konzept auch nicht mehr rausgekommen.

Da gibt es dieses Stück „Hauntology“, das sich mit dem Geisterhaften beschäftigt. Warum hast du einen Song nach einer Denkrichtung und einem Popgenre benannt?

Der Song ist schon ein bisschen älter, aber dass der so heißt und auch der Text „Each man's troubles ...“, das kam dann erst später. Es gibt ja auch dieses Buch zu Hauntology von Mark Fisher. Das kannte ich schon vorher. Ich hab dann die Musik noch etwas hingebogen und mich mehr mit dem Thema beschäftigt, als die Platte eigentlich schon fertig war. Eigentlich wollte ich ja eine reine Instrumentalplatte machen. Das habe ich nicht hinbekommen. Ich musste doch wieder meinen Senf dazu geben und Texte einsingen - auch wenn es nur ein Satz war.

Wie sieht das mit den Musikern aus, die der Hauntology zugeordnet werden wie etwa Daniel Lopatin und sein Projekt Oneothrix Point Never?

Das ist auch nachher gekommen, aber das ist jetzt nicht wirklich so mein Genre. Ich fand die Theorie und die Bedeutung für die Gesellschaft interessanter.

Das Grundprinzip fußt auf einen Text von Jacques Derrida, den er Anfang der 90er-Jahre geschrieben hat, wonach Europa immerfort von den Geistern seiner Vergangenheit eingeholt und bestimmt wird. Was reizt dich an dieser Idee?

Ich habe einfach realisiert, dass sich Libertatia im Grunde auch schon mit dieser Thematik beschäftigt hat. In so Songzeilen wie „Ich hab auf back to the future die Uhr gedreht“, wird das deutlich. Was ich so interessant finde ist, dass in der Vergangenheit immer Abweichmöglichkeiten da waren. Und so verstehe ich auch das Hauntology-Ding, dass diese Geister, diese Abzweigemöglichkeiten nicht weg sind, sondern noch immer herumspuken, auch kulturelle. Das heißt also, dass Dinge, die nicht eingelöst oder verwirklicht wurden, noch immer als Möglichkeiten free floating im Raum vorhanden sind. Das ist doch ein sehr schöner Gedanke.

Alles was du auf "Sleep" singst, singst du in Englisch.

Das hat mehrere Gründe. Einerseits sind viele der Demos auf Reisen entstanden. Entweder wenn ich mit Ja, Panik auf Tour oder privat unterwegs war. Beim Reisen ist Englisch die bestimmende Sprache und da hab ich mich so richtig eingeloggt im Kopf und auch so geschrieben. Das andere war, dass ich schon sehr bewusst eine Abgrenzung zu Ja, Panik wollte. Was mich unfassbar nervt ist, wenn ein Songwriter einer Band eine Soloplatte macht und die klingt dann genau so wie die Band, halt mit ein paar Studiomusikern und etwas besser und glatter gespielt. Meistens sind diese Platten viel langweiliger.

Man kann den Kopf besser durchsetzen so.

Ja, und von der Haltung ist das auch immer so ein Zeichen: Schauts mich an, ich bin ein geiler Typ! Ich brauch die Band eigentlich gar nicht, ich kann das auch allein machen. Solange es Ja, Panik gibt – und ich hoffe, dass es Ja, Panik noch möglichst lange geben wird – solange ist es die Band für diese Art von Musik.

Andreas Spechtl, Sleep

Staatsakt

"Sleep" erscheint am 24. Juli auf Staatsakt.

Ein wesentliches Element auf "Sleep" ist der Dub.

Ich bin ein großer The Clash Fan und die haben mich da auch so ein bisschen draufgebracht. "Sandinista!" ist seit den Jugendtagen einer meiner all time favorites. Auch King Tubby mochte ich schon immer sehr. Und ich versuch das auf meine Musik umzulegen. Das Echo im Dub, da kommen dann auch wieder die Geister der Hauntology ins Spiel. Es ist auch tatsächlich eine Old School Platte. Ich hab da so ein Bandechogerät. Mit dem hab ich sehr viel gemacht.

Im Pressetext steht, du hättest auch Field-Recording Trips unternommen. Wo bist du denn da überall herumgekommen?

Das hat schon ganz früh bei Ja, Panik begonnen, mit meinem ersten Smartphone. Ich habe immer weniger Notizen aufgeschrieben, sondern einfach ins Telefon hineingesprochen oder –gesungen. Irgendwann hab ich mir dann diese alten Stücke wieder angehört und bin plötzlich auf die Hintergrundgeräusche aufmerksam geworden. Und durch diese Hintergrundgeräusche konnte ich mich wieder erinnern: Ah, das hab ich dort aufgenommen! Da hinten hör ich diese Stadt oder diese Begebenheit und so weiter. Irgendwann hab ich dann das Reinsprechen ganz weggelassen und nur noch die Geräusche aufgenommen. Es entspricht auch der Art, wie ich Texte schreibe, weil ich da sehr altmodisch bin und gern herumflaniere. Deshalb sehe ich die Field Recordings auf der Platte fast als Äquivalent zu den Texten, nur dass ich sie nicht geschrieben habe, sondern gleich aufgenommen habe und dadurch eine Ebene wegfällt. Auf der Platte hört man sehr viele verschiedene Orte: Berlin natürlich, dann Deutsch Jahrndorf im Burgenland, wo ich herkomme, dann Ghana, wo ich lange war oder Uganda, aber auch Spanien und Birmingham, wo ich gerade auf der Uni als Writer in Residence war. Und diese Geräusche vermischen sich dann auch in den Stücken.

Andreas Spechtl, Sleep

Christian Lehner

Von der Anmutung her ist "Sleep" ein City-Album. Bis auf die letzten drei Stücke. Da wird es exotisch, fantastisch, vielleicht auch utopisch? Es beginnt mit dem Stück "Duermete Nino". Es klingt spanisch. Aber ich konnte die Sprache der weibliche Stimme nicht enträtseln.

Das ist ein Sample! Eine alte Alan-Lomax-Aufnahme aus Südspanien. Lomax kennt man ja als den Folk- und Blues-Archivar, der zum Beispiel mit seinem Vater das Genre des Prison Songs ausgebraben und Lead Belly entdeckt hat. Aber er war in seinen späteren Jahren auch in Europa unterwegs und hat dort Aufnahmen von irischer, italienischer und spanischer Volksmusik gemacht. Die Sequenz, die ich verwendet habe, ist irgendein alter andalusischer Dialekt, den ich selber kaum verstehe. Es ist ein Kinderlied ähnlich wie "Heidschi Bumbeidschi" bei uns. Nino heißt ja Kind.

Wie bist du die Produktion des Albums angegangen?

Ich hatte zunächst die Field Recordings und einige kleine Demo-Tracks. Das Zeug ist dann auch ein Zeiterl herumgelegen und ich hatte ja überhaupt nicht an eine Veröffentlichung gedacht. Dann meinte der Maurice von Staatsakt Records, dass ich doch ein Album machen sollte. Also habe ich später in Berlin zu dem bestehenden Material noch Instrumente eingespielt. Das soll auch das Cover-Bild ausdrücken. Das ist ein Abdruck von mir, wo ich etwas umarme, das schon vorher da war.

Du hast eingangs erwähnt, dass du ein guter Schläfer bist. Gilt das auch für das Tourleben, wo 17 Leute gleichzeitig in einem viel zu kleinen Hotelzimmer pennen oder man im Bus während der Fahrt schläft?

Andreas Spechtl Sleep

Christian Lehner

Ich bin bekannt dafür, dass ich wirklich überall einschlafen kann - gern auch mal im Sitzen. Das mit Chaosnächten in Hotels ist Gott sei Dank vorbei. Manchmal passiert es, dass einige Ja, Panik-Kollegen mit blutunterlaufenen Augen im Tourbus sitzen und nicht schlafen können. Das ist für mich kein Problem, aber ich bin ein furchtbarer Schlafwandler – wie ein Kind. Mindestes einmal pro Jahr schlafwandle ich so richtig schlimm und stehe dann zum Beispiel um 4 Uhr früh sturmläutend vor der Tür meines Nachbarn.

Was war diesbezüglich das ärgeste Erlebnis?

Das kann ich im Radio nicht sagen.

Wie sieht das mit dem Träumen aus?

Ich träume sehr viel. Es hat aber nie etwas mit Wunscherfüllung zu tun. Es sind teilweise sehr absurde Träume – eh wie bei vielen Leuten. Was ich lustig finde ist, dass man sich die ersten paar Minuten nach dem Aufwachen noch an so ziemlich alles erinnern kann. Man ist in so einer Halbwelt und dann verflüchtigt sich das. Und in dem Maß, in dem es weniger Sinn ergibt, vergisst man das dann auch. Man vergisst ja über den Tag seine Träume. Ich finde das schön, weil ich überhaupt nichts von Traumdeutung und Esoterik halte. Ich finde sehr schön, dass es so eine Parallelwelt gibt im Leben und die möchte ich auch unangetastet lassen. Der Traum ist so eine kleine Utopie, eine Insel, zu der man am Ende des Tages zurückkehren kann.

Gibt es Motive, die immer wiederkehren?

Seit ich 15 bin, gibt es einen regelmäßigen Traum. Er ist völlig unspektakulär. Interessant daran ist vielleicht, dass er einmal als angenehmer Traum, ein anders mal als Albtraum daherkommt. Ich gehe auf der Erdkrümmung und alles ist aus Beton. Da sind nur ein paar Blumen. Und ich pflücke eine dieser Blumen und werde dann ins Weltall gesogen, so ganz langsam, wie man sich das vielleicht aus einem Film vorstellt. Dieser Moment dauert dann irrsinnig lang.

Und die Auflösung erfolgt dann im Afterlife.

Genau! Schlaf und Traum sind doch am ehesten das, wie man sich den Tod vorstellen kann. Und wenn man die Menschen fragt, sagen die meisten: Ich wünsche mir, dass ich im Schlaf sterben kann.