Erstellt am: 16. 7. 2015 - 22:50 Uhr
Das TTIP-Lobbykarussell rotiert in Brüssel
In Brüssel läuft die zehnte Verhandlungsrunde zum Freihandelsabkommen TTIP. Anstelle der üblichen Leaks von Teilen des Vertragstexts dominieren diesmal aufwendige Dokumentationen zum Lobbyistenumfeld der Gespräche die Kritik. Die detaillierte Aufstellung der Kontakte von Mitgliedern der EU-Handelskommission durch die Nichtregierungsorganisation Corporate Europe Observatory (CEO) gibt Einblicke in die Lobbyaktivitäten seit den Anfängen von TTIP im Jahr 2012.
Wie schnell die Drehtür zwischen EU-Kommission und Industrie rotiert, wird anhand des im Oktober 2014 aus dem Amt geschiedenen EU-Handelskommissars De Gucht ersichtlich. Er hatte bereits im März 2015 die Freigabe der Kommission für einen Managementposten beim belgischen Marktführer im Telekombereich erhalten. Zwei seiner Mitarbeiter sind in der Führungsriege internationaler Lobbyfirmen angelangt.
Die nicht bindenden Empfehlungen des EU-Parlaments an die Kommission zu TTIP und die Reaktion der nunmehr zuständigen Kommissarin Cecilia Malmström.
Wechsel dieser Art stehen rechtlich völlig außer Zweifel und entsprechen genau der EU-Regelung, die für solche Fälle gilt. Der Telekomsektor, in dem De Gucht nun tätig ist, rangiert in den Branchenkontakten zur Kommission rund um TTIP auf Nummer zwei nach dem Agrarsektor. De Guchts ehemaliger Sprecher John Clancy bringt schon seit März seine "extensive Erfahrung bei Handels- und Industriethemen" bei der börsennotierten US-Lobbyingfirma FTI ein.
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EU TTIP Team
Metadatenanalyse, einmal anders
Für die Studie "TTIP - A Corporate Lobbying Paradise" hatte CEO unter dem Transparenzgebot der EU eine große Zahl an E-Mails und Attachments aus dem Handelsressort der Kommission erhalten und in Folge die Metadaten analysiert. Wer wann welches Treffen wollte, wie oft und aus welchem Wirtschaftssektor diese Firmen stammen - nicht ganz überraschend liegt der Agrarsektor voran. Die zweitgrößte Gruppe stellen Interessenvertreter von Firmen, die für alle möglichen Branchen lobbyieren, dahinter kommt dann schon De Guchts neue Wirkungsstätte, nämlich Telekoms und IT, gefolgt von Pharma und dem Finanzbereich. Wie erfolgreich die Versuche der Lobbyisten waren, und wer was dabei erreicht hat, gehe aus der Studie nicht hervor, heißt es ausdrücklich von CEO. Es handelt sich hier vielmehr um ein recht einfaches Interessenprofil nach einem ganz ähnlichen Muster, wie Google oder Facebook hochkomplexe Interessenprofile von ihren Nutzern anhand von Statistiken erstellen.
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CEO
Transparenzbemühungen der Kommission
In den ersten sechs Monaten nach ihrem Amtsantritt hatte Handelskommissarin Cecilia Malmstöm 122 Meetings, hundert davon mit Lobbyisten, 22 "Stakeholders" kamen aus dem öffentlichen Bereich. Das ist eine gewaltige Steigerung im Vergleich zur Amtszeit De Guchts, denn von 2012, als das Abkommen vorbereitet wurde, bis 2014 wurden 528 Treffen mit Lobbyisten gegenüber 53 mit nicht kommerziellen Entitäten wie Gewerkschaften, Umweltschützern und anderen NGOs gezählt, das sind acht Prozent. Die Bemühungen der Kommission, etwas Transparenz in Verhandlungen zu bringen, über die mit den USA anfangs strikte Geheimhaltung vereinbart war, wird in den Statistiken von CEO ebenfalls sichtbar.
Brüsseler Inkubationszeiten
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APA/EPA/JULIEN WARNAND
Die "Inkubationszeit" von EU-Führungskräften für den Wechsel in die Privatwirtschaft beträgt sechs Monate nach dem Ausscheiden aus dem Amt, ein weiteres Jahr lang gilt ein Verbot, persönlich berufliche Kontakte mit den ehemaligen Kollegen in Brüssel aufzunehmen.
Auf ihrer Website nennt FTI gerade einmal fünf Referenzkunden. Die EU-Niederlassung der Firma bietet die gesamte Palette an Lobbying-Services an.
Allein die Sparte "strategische Kommunikation" von FTI Consulting beschäftigt weltweit 650 Berater, wobei das nicht alle Angestellten sind. Die 1982 gegründete FTI notiert an der New Yorker Börse und vertritt in erster Linie Großkonzerne aus den Top 100 der Fortune-Liste, Pharma, Öl und Energie, Chemie, Gesundheit, IT und Telekom, Landwirtschaft und Transport. Alleine die Sparte "Strategic Communications" von FTI setzte weltweit 170 Millionen Dollar um, zu den Kunden der Firma gehören zum Beispiel Exxon, Halliburton Oil, Novartis, Facebook, Google etc. Diese Informationen stammen nicht von der Website des Unternehmens - dort sind nur fünf Referenzkunden gelistet - sondern aus Branchennachrichten und PR-Aussendungen.
"Strategische Kommunikation"
John Clancy hilft in seinem neuen Job, die strategischen Interessen vor allem von US-Konzernen in Europa durchzusetzen, seine zukünftigen Verhandlungspartner sind die ehemaligen Kollegen aus dem Handelsressort der Kommission. Der seit 2010 bestehende Twitter-Account @EUJohnClancy wurde auch nach seinem Ausscheiden aus der Kommission weiter bespielt, das derzeit letzte Posting stammt vom 23. Juni. Verlautbart wurde Clancys Wechsel auch nicht durch seinen neuen Arbeitgeber FTI, sondern von der US-Handelskammer AmCham, die nicht nur laut den Zahlen von CEO unter den Toplobbyisten rund um TTIP sind.
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John Clancy
Die dritte Führungskraft aus dem EU-Handelsressort zur Zeit De Guchts, Maria Trallero, hat ihre Inkubationszeit bereits hinter sich, weil sie schon 2012 die Kommission verließ. Trallero, die vor dem Eintritt in die Kommission bereits als Lobbyistin für die Vereinigung katalanischer Fleischproduzenten tätig war, ist Direktorin für Handelspolitik bei der Lobby der europäischen Pharmaindustrie. Auf ihrem LinkedIn-Profil bewirbt sie ihre Qualifikation unter anderem mit ihrer "genauen Kenntnis der Entscheidungsfindung bei Europas Handelsinteressen" und "strategische Einflussnahme" darauf.
Lobbying der anderen Art
Die deutsche, nicht kommerzielle Rechercheplattform Correctiv hat zu TTIP diesmal nicht tiefenrecherchiert, sondern sich in ein Cafe neben dem Brüsseler Hotel gesetzt, in dem die Unterhändler tagen. Eigentlich hatte Correctiv-Reporter Justus von Daniels stilgerecht aus der Hotellobby berichten wollen, wurde aber ziemlich schnell des Hauses verwiesen, denn die Verhandler fühlten sich gestört. Erst am Mittwoch durfte Daniels mit seinem Liveblog wieder aus dem Hotel berichten und saß längere Zeit im Publikum. Mehr, als über die Atmosphäre zu berichten, war ohnehin nicht möglich, weil es von diesen "Stakeholder Meetings" kaum harte Fakten, die noch nicht bekannt sind, rund um TTIP zu recherchieren gibt.
Um 12.21 Uhr war beim "Stakeholders' Day" am Mittwoch - siehe Link weiter unten - laut Programm der Kommission ein Vertreter der European Federation of Pharmaceutical Industries and Associations (EFPIA) zum Thema "Common Standards of Excellence for Patients" am Wort. Seine Vorgesetzte ist Trallero, die EFPIA-Direktorin für Handelsangelegenheiten ist.
Programm und Teilnehmer am Treffen Der witzige Live-Blog aus der "Lobby" von Correctiv
Dieses einzige öffentliche Event im Rahmen der Verhandlungen wurde nach der ersten Protestwelle 2013 als Fixpunkt für die Verhandlungsrunden eingerichtet. Der Kommission war anhand der stetig zunehmenden Proteste klar geworden, dass es mit vollständiger Geheimhaltung bei TTIP nicht weiterging. Auch die danach erfolgten laufenden Veröffentlichungen von EU-Positionen - die US-Seite veröffentlicht so gut wie nichts - mit deutlich steigender Frequenz zeigt das Bemühen der Juncker-Kommission, dem Proteststurm mit Informationen über TTIP zu begegnen. Ebenso finden sich in den Leaks mehrfach Bestätigungen, dass die EU-Kommission zwar Mitgliedsstaaten freistellt, öffentliche Dienste wie Gesundheit privat betreiben, aber gegen eine verpflichtende Privatisierung eintritt. Das alles hat kaum gefruchtet, denn die Kommission hat nicht primär ein Kommunikations-, sondern ein Glaubwürdigkeitsproblem.