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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

16. 7. 2015 - 17:25

The daily Blumenau. Thursday Edition, 16-07-15.

Fall in ein tiefes Loch hinein: Österreich verzichtet auf Nachwuchs-Pflege für die 19- und 20-Jährigen, die in den letzten Wochen noch Endrunden bestritten hatten.

#fußballjournal15

The daily blumenau hat im Oktober 2013 die Journal-Reihe (die es davor auch 2003, '05, '07, 2009 und 2011 gab) abgelöst. Und bietet Einträge zu diesen Themenfeldern.

Immer wenn ein (bis drei) Jahrgang/Jahrgänge der U21 nach verpasster EM-(und Olympia-)Quali in den Erwachsenen-Fußball entlassen wird, offenbart sich eine große Schwäche des österreichischen Fußballs: die Überführung vom Talent zum vollwertigen, auch international tauglichen Profi-Spieler. In genau diesem Loch, in diesem quasi unbetreuten Alterssegment verschwinden Jahr für Jahr zahllose Ausnahmetalente. Und wenn die U21 - der mittlerweile zu einer Art B-Team avancierte 2. Anzug des ÖFB - ihre neue Altersbeschränkung erhält, verstärkt sich dieses Phänomen.

Das Kernproblem der Überführung ins Erwachsenen-Alter

Nun ist das bereits im Herbst 2014 passiert, als die neue U21 angetreten ist.
Jetzt, fast unmerklich, im saison-off des Hochsommers entlässt der ÖFB auch noch zwei weitere Jahrgänge ins Nichts. Nach der U20-WM und nach der U19-EM, deren Endrunde die jeweiligen Jahrgänge erreicht hatten, erklärt der Verband die National-Teams dieser Jahrgänge für quasi entlassen. Nach dem Aus im U20-WM-Achtelfinale gegen Usbekistan war dieses Ende noch kein Thema, nach dem Aus der U19 bei der Euro in Griechenland sprach Teamchef Hermann Stadler aber in jede Kamera und jeden Reportblock, wie schwer ihm der Abschied von seinem Jahrgang fallen würde.

Denn eine weitere Betreuung seines Nachwuchses sieht der ÖFB-Kalender nicht vor. Im Herbst stehen neben EM-Quali für das A-Team und die U21 (Jahrgang '94) nur noch EM-Quali für die Jahrgänge '97 (dann schon die neue U19) und '99 (die neue U17) an.
Die bisherige U19 und die U20 (die ja nicht erstmalig...) bekommen nicht einmal Tests. Ihnen wird empfohlen, sich für die U21 zu qualifizieren, die ihre bisherigen Testläufe (wie zuletzt im Juni) aber auch ohne die jungen Nachrücker bestehen konnten.

Warum verzichtet ein Verband auf sein Kerngeschäft?

Waren diese Mannschaften so übel, dass sie quasi sicherheitshalber aufgelöst werden mussten? Ist die Betreuung von zwei ganzen Jahrgängen zu teuer?
Keineswegs.
Beide Jahrgänge haben sich (ebenso wie die alte U17, die zur ebenfalls im Herbst beschäftigungslosen U18 wird) für Endrunden qualifiziert; und viele dieser Akteure werden über das Projekt 12 ohnehin individual betreut.
Das Ausrinnen im Herbst 2015 ist ein schlichtes Struktur- und Planungs-Problem. Und es reißt tiefe Zweifel in den noch im Mai allumfänglichen Glauben an die Nachhaltigkeits-Fähigkeit des Verbands. Eines Verbandes, der sich noch im Mai mit seinen Nachwuchs-Erfolgen gebrüstet hatte.

Nun ist der Verband nicht die einzige österreichische Institution, die an der Schnittstelle zwischen Nachwuchs-Pflege und Profitum für die ungenügenden Resultate verantwortlich ist. Ein zumindest gleichwertiger Teil der Verantwortung betrifft die Bundesliga, deren nicht praxisgerechtes Regulativ für die als Ausbildungs-Liga installierte Erste Liga eine schlampige Beschäftigung mit dem Nachwuchs implizit befördert. Und natürlich sind die Vereine in der Pflicht, deren Umgang mit ihrer Man- / Boypower in weiten Strecken (hier ein erschreckendes Beispiel eines Traditionsvereins) recht verantwortungsfrei funktioniert.

Stellen sich jetzt ein paar Fragen:

Kann die U21 zwei komplette Jahrgänge auffangen?
Existiert neben dem Struktur- und Planungs-Problem auch eines im Bereich Leitbild/Philosophie?
Und: wie fällt das Fazit der drei im Mai, Juni und Juli bestrittenen Endrunden aus?

Kann die U21 das Sammelbecken der 19- bis 21-Jährigen sein?

Kann sie. Personell, ansatzweise.
Das wird aber die flächendeckende Jahrgangs-Betreuung nicht ersetzen. Zumal das ÖFB-Konzept einen fixen U21-Coach vorsieht - im Gegensatz zu den jahrgangsgebundenen Nachwuchs-Coaches, die eine U15 übernehmen und dann vier, fünf Jahre lang aufbauend und nachhaltig betreuen. (Theoretisch: Durch das Hin- und Hergezerre um verschiedene Ausnahme-Talente - zuletzt Lazaro, Laimer, Gugganig, Peric - wurde echte Kontinuität eh systematisch behindert; aber das ist eine andere Baustelle). Und zumal dieser Coach Werner Gregoritsch heißt, also einer ist, der geografisch und geistig nur selten und ungern aus der Steiermark herausfindet und mit jugendlicher Internationalität schwer zurecht kommt.

Gregoritsch wird Leute wie Lienhart oder Horvath hochziehen (andere wie Grillitsch oder Gugganig hat er ja schon) und im Verlauf der seltsam langatmigen U21-EM-Quali den Kader systematisch verjüngen und tunen. Die in dieser Altersklasse aber signifikant auftretenden Überraschungs-Sprünge in der Entwicklung wird er, mangels Dauerbetreuung, nicht mitbekommen. So wie bisher auch schon.

Dazu kommt, dass es - entgegen zahlreicher ÖFB-Sonntagsreden - noch immer keine einheitliche Philosophie im Nachwuchs-Bereich gibt. Stadler hat sich seit jeher auf das schnelle, stark pressende 4-3-3 festgelegt, das die Grundlage bilden soll, Zsak lässt es ebenso spielen wie Marko. Und auch in der von starken emotionalen Schwankungen getriebenen System Heraf ist das Spiel mit den gedoppelten Außen und einem starken Dreier-Mittelfeld im Zentrum zumindest vordringlich erkennbar.

Bei Gregoritsch sieht immer alles nach einem hochschematischen 4-2-3-1 aus, mit einer viel zu eng stehenden Viererkette, zwei Sechsern, die nicht über die Mittellinie sollen, drei gezügelt Offensiven und einem deshalb gern isolierten Center. Die Verve, die Schnellig- und Beweglichkeit, die die Teams von Stadler und Heraf im Normalfall auszeichnen, fehlen den Gregoritsch-Mannschaften.

Nachdem Gregoritsch' 4-2-3-1 nominell auch dem Koller-System entspricht und auch als 4-3-3 gedeutet werden kann, könnte nur ein starker, regulierender Befehl einen Umkehrprozess in Richtung jener Philosophie, die das A-Team so erfolgreich macht, zustande bringen. Den Mut, das Gregoritsch klarzumachen, bringt im ÖFB aber niemand auf.

Apropos feine Unterschiede: genau diese recht österreichischen Fehl-Interpretationen machen den entscheidenden Unterschied.
Beispiel U19-EM: Hermann Stadler versucht es im entscheidenden letzten Spiel (ein Sieg gegen die sieglose Ukraine muss her) mit Koller'scher Ruhe und Gelassenheit, verschläft so eine Halbzeit und kommt nimmer ins Spiel rein.

Aber da befinden wir uns jetzt ja schon mitten im nächsten Kapitel:

Wie fällt eigentlich das Fazit der drei Endrunden aus?

In den vier Endrunden im Nachwuchs-Bereich (bei der U21-Euro war Österreich, wie erwähnt, wie immer, nicht dabei) ergibt sich kein klares Bild: bei der U20-WM gewann Serbien, Portugal und Deutschland kamen weit. Die U21-Euro sah Schweden als Sieger, Portugal, Deutschland und Dänemark als Runner-Up. Serbien als unter Wert geschlagen. Die U17-Euro gewann Frankreich vor Deutschland, Belgien und Russland waren im Semifinale. Bei der noch laufenden U19-Euro sind Frankriech, Russland, Spanien und die griechischen Gastgeber im Halbfinale, die Deutschen schon draußen. Eher schwach bei jedem Antreten: Italien und England, auch die Niederländer.

Geht so.
Toll, dass Österreich dreimal dabei war - Vorab-Würdigung hier - die Umsetzung gelang suboptimal.

Zuerst zahlte die U17 Lehrgeld: man ergab sich im reaktiven Konzept von Manfred Zsak den Gegebenheiten, war vorschell mit einem Remis gegen Spanien zufrieden, biss dann klar gegen überlegene Kroaten ab und konnte sich dann gegen die bulgarischen Gastgeber nicht durchsetzen. Zu viel Angst, zu viel Vorsicht, zu wenig Pfiffigkeit. Zudem versagten den Führungsspielern die Nerven, was vielleicht gut für die Entwicklung von kommenden Stars wie Sandi Lovric, Kevin Danso oder Anes Omerovic ist.

Schon komplexer war die Problematik rund um die U20-Mannschaft.

Beispiel U20-WM: Andreas Heraf, der sich - wie eine Geschichte im aktuellen Print-Ballesterer eindrucksvoll belegt - penibel vorbereitet hat, wurde ein Opfer seiner Ängste. Schon im ersten Match gegen ein hervorragendes Ghana war es seine Wechselpolitik, die aus einer (überraschenden, aber verdienten) Führung noch ein Remis machten. Im zweiten Spiel gelang ihm fast dasselbe Kunststück: auch bei einer Führung gegen einen dezimierten Gegner tauschte er Defensive für Offensive und verlor fast wieder zwei Punkte.
Spiel 3 gegen Argentinien geriet zur (bewussten) Abwehrschlacht. Gezielte Destruktivität brachte einen Punkt. Und dann geschah etwas typisch österreichisches: die teilöffentliche Kritik an der Vorsichtshaltung wurde von den Mainstream-Medien aufs Argentinien-Spiel bezogen und konnte so (zurecht) von ÖFB und Schein-Experten ad absurdum geführt werden. So musste man sich nicht mit dem Kern der Kritik beschäftigen.

Das Scheitern folgte aber auf dem Fuße: Heraf schätzte den in den Gruppenspielen harmlosen usbekischen Achtelfinal-Gegner völlig falsch ein, sein solchermaßen mit falschen Erwartungen gefüttertes Team schaffte es nicht aus dem Vorsichts-/Passiv-Modus herauszufinden und lieferte das deutlich schwächste Match der gesamten Jahrgangsgeschichte ab. Gewinner waren allenfalls Tormann Casali und die Innenverteidiger Gugganig - Lienhart. Für Konrad Laimer gilt das schon bei der U17 gesagte. Ob der verletzte Sinan Bytyqi oder Tino Lazaro einen Unterschied gemacht hätten, ist schwer zu beurteilen.

Die U19 nun trennte nominell nur ein Tor vom Halbfinale der EM in Griechenland - in Wahrheit war es deutlich mehr. Von Hermann Stadlers schön-schneller aber taktisch-einförmiger Spielweise ausgehend, war einfach zu wenig spielerische Substanz, zu wenig strategische Cleverness im Spiel. Und auf den grotesk fehlerhaften Matchplan im entscheidenden Spiel habe ich schon hingewiesen.

All diese Probleme bleiben unaufgearbeitet. Vielleicht kommt noch eine Nachbereitung innerhalb der ÖFB-Coaches: die Spieler werden mit den gemachten Fehlern alleingelassen und vielleicht nie erfahren, was nicht funktioniert hat. Und diese Desinformationen mit in ihren Alltag nehmen.

Deshalb, ja: es gibt neben den Struktur- und Planungs-Problemen im ÖFB auch eines im Bereich Leitbild/Philosophie. Und es äußert sich massiv im abrupten Abbruch der Ausbildung zweier ganzer Jahrgänge.