Erstellt am: 15. 7. 2015 - 13:39 Uhr
Murakamis Magie in Miniatur
Nach 35 Jahren erscheinen die ersten beiden Bücher des schon Beinahe-Nobelpreisträgers und japanischen Bestseller-Autors endlich auf deutsch. Jahrzehntelang hat er die Übersetzung erfolgreich verhindert. In dieser Zeit hat er mehr als 40 Bücher veröffentlicht. Haruki Murakami ist nicht nur in Japan ein Star, auch der deutschsprachigen Literaturwelt ist er spätestens seit dem Eklat in der TV- Sendung "Literarisches Quartett" im Jahr 2000 ein Begriff. Man zerstritt sich über die explizite und in der ersten Übersetzung recht deftige Erotik in seinem Roman "Gefährliche Geliebte".
Wie ein Schlag
Eine der schönsten Stellen in Murakamis ersten beiden Büchern ist vielleicht die Schilderung seines Initiationsmoments im Vorwort. Der Moment, als ihm bei einem Baseballspiel nach den satten Ton eines Abschlags plötzlich die Idee einschießt: Vielleicht könnte ich einen Roman schreiben.
"Ich erinnere mich noch ganz genau an diesen Augenblick. Ich hatte das Gefühl, etwas sei langsam vom Himmel geflattert und ich hätte es mit meinen Händen aufgefangen. Warum es zufällig in meinen Händen landete, weiß ich nicht."
Am Küchentisch auf einer alten Schreibmaschine mit lateinischen Buchstaben schreibt er seinen ersten Roman in der Nacht und auf englisch, weil er den umständlichen Formulierungen des Japanischen aus dem Weg gehen will und er auch sonst keine ausgeprägte Beziehung zur japanischen Literatur hat. Reduktion zur Stilmaximierung, sozusagen. Zu dieser Zeit- Anfang der 1970er- besitzt Murakami eine Jazz-Bar. Dort kann er den ganzen Tag die Musik hören, die er so sehr liebt, das tun was ihm wirklich gefällt, ohne vor einem Chef Buckeln zu müssen.
Sein Leben ist gewürzt mit der richtigen Portion Glück. Denn das Geschäft geht schlecht und als er eine Rate bei der Bank nicht zahlen kann, findet er Geld auf der Straße und seine Bar ist gerettet. Man hofft, dass die Geschichten wahr sind, um so einen Blick hinter die Fassade des medienscheuen Schriftstellers zu erhaschen.
Dominik Butzmann / Dumont Buchverlag
Wenn der Wind singt
Warum Murakami versucht hat, die Veröffentlichung dieses Buches so lange zu verhindern, bleibt offen. Es birgt ganz viele Elemente, die seine späteren Bücher so lesenswert machen. Eine Prise Eigenwilligkeit, präzise Beobachtungen von Äußerlichkeiten, wortkarge Dialoge und charmant sachliche Analysen zwischenmenschlicher Beziehungen. Die Protagonisten sind zwei ziemlich unterschiedliche Freunde. Ratte und der namenlose Ich- Erzähler treffen sich in Jays Bar, wo sie flaschenweise Bier in sich hinein leeren und dazu Massen an Erdnüssen verdrücken. Eine Geschichte über die Suche nach sich selbst. Die Zeit vergehen lassen, ein bisschen älter werden und über die Liebe nachdenken.
Beide haben kleine Affären am Laufen, wobei der Ich- Erzähler einem klassischen Murakami-Mädchen begegnet. Es hat nur vier Finger an der linken Hand. Als er neben ihr aufwacht, weiß sie nicht, warum er hier ist. Ob er ihren Zustand für Sex ausgenutzt hat, bleibt offen. Trotzdem entspinnt sich eine ganz eigene Beziehung zwischen den beiden. Sie gehen essen, sie schlafen miteinander, hören Platten an. Bis er fort gehen muss. Als er zurück kommt, ist sie verschwunden. Reduziert aufs Wesentliche, bezaubernd melancholisch erzählt.
Pinball 1973
Dumont Buchverlag
Der Ich-Erzähler ist Übersetzer, hat ein Büro mit einem Kollegen und ein Mädchen, das ihm Kaffee bringt, die Übersetzungen abtippt und ungefragt auch Knöpfe annäht oder Löcher stopft. Leicht neben sich zu stehen scheint der Erzähler. Er nimmt die Ereignisse, die sein Leben ausmachen, nur distanziert wahr.
"Mitunter komme ich mir vor wie aus den Teilen zweier verschiedener Puzzles zusammengesetzt. In solchen Momenten trinke ich Whiskey und lege mich schlafen. Wenn ich morgens aufstehe, ist es noch schlimmer. Wiederholung des Ewiggleichen."
Als er aufwacht, liegen Zwillingsschwestern neben ihm. Sie wohnen ab sofort bei ihm. Woher sie gekommen sind spielt keine Rolle. Unterscheiden kann er sie nicht wirklich, nur anhand ihrer T-Shirts. Die eine ist 208, die andere 209. Sie umsorgen ihn von Kopf bis Fuß. Bis sie dann irgendwann wieder verschwinden. Dazwischen gehen sie auf den Golfplatz, um Bälle einzusammeln, die niemand mehr findet, oder machen eine Trauerfeier für einen Verteiler an einem Stausee. Der Ich-Erzähler verfällt dem Flipper in Jays Bar mit Namen Spaceship. Sein Freund Ratte ist wieder zugegen und sie trinken Bier und flippern. Bis die Maschine aus der Bar verschwindet. Jahre später macht er sich auf die Suche seiner verlorenen Liebe.
"Wenn der Wind singt" und "Pinball 1973" sind die ersten beiden Bücher einer Trilogie, die mit "Wilde Schafsjagd" (sehr empfehlenswerte Einsteigerdroge) abgeschlossen wird. Letzteres sieht Murakami als sein erstes "echtes" Buch. Sein Verhältnis zu den ersten beiden ist mittlerweile versöhnlich: "Sie sind wie alte Freunde. Vielleicht werde ich ihnen nie wieder begegnen, aber vergessen werde ich sie bestimmt nie....Sie machten mir Mut und wärmten mir das Herz."
Lesenswert sind die beiden Bücher in jedem Fall, denn vieles was seine späteren Bücher so faszinierend macht, ist schon vorhanden. Murakamis Magie in der Nussschale. Am besten selbst lesen.