Erstellt am: 14. 7. 2015 - 19:03 Uhr
Niemand profitiert!
Was bedeutet das neue Austeritätsprogramm für Griechenland und für Europa aus wirtschaftlicher und aus demokratiepolitischer Sicht? Ökonom Stefan Schulmeister dazu im Interview.
In 43 Jahren als Wirtschafsforscher, so der Ökonom Stephan Schulmeister, hätte er noch nie ein solches Konzentrat an blanken Lügen wahrgenommen wie in Bezug auf Griechenland. Wir haben ihn zum Interview getroffen
Claus Pirschner: Während der Austeritätsprogramme der Troika seit 2010 in Griechenland sind die Arbeitslosigkeit und Armut explodiert. Soziale Rechte und Arbeitsrecht wurden runtergefahren. Die Wirtschaft ist um ein Viertel eingebrochen – das passiert vergleichbar in Kriegszeiten. Nun wird dieser Kurs mit einem weiteren Programm fortgesetzt, wenn das Parlament diesen Deal abnickt. Was hat das für wirtschaftliche und gesellschaftliche Folgen in Griechenland?
APA/HERBERT PFARRHOFER
Stephan Schulmeister: Nun, die Entwicklung der letzten Jahre wird sich - abgeschwächt - fortsetzen. Denn, wie Sie erwähnt haben, die Sparmaßnahmen sollten eigentlich die Beschäftigung erhöhen. Warum? Weil die herrschende Wirtschaftstheorie davon ausgeht, dass Arbeit ein Gut ist wie jedes andere, und wenn Äpfel billiger werden, werden mehr Äpfel gekauft, wenn die Löhne gesenkt werden, also Arbeit billiger wird, dann - so glaubte man - würde eben auch mehr Arbeit nachgefragt werden. Das Gegenteil ist der Fall. Das gleiche gilt für das Sparen des Staates. Die herrschende Theorie geht davon aus: Wenn der Staat sich mehr aus der Wirtschaft zurückzieht, dann würde automatisch der private Sektor expandieren und daher würde auch eine Sparpolitik das Wachstum nicht beschädigen. Empirisch ist das Gegenteil passiert. Warum, fragen sich aber Bürgerinnen und Bürger, verordnet man jetzt Griechenland ein Mehr von dieser Dosis. Und die Erklärung ist meiner Ansicht nach relativ einfach: Die Eliten, und das sind sowohl die sozialdemokratischen wie die christdemokratischen Spitzenpolitiker, haben in den letzten Jahren eine Therapie verordnet, die Teil der Krankheit ist. Die können das aber nicht einsehen. Das ist ja vollkommen verständlich. Wenn sie akzeptieren würden, dass ihre Therapie Hauptursache der Krisenverschlimmerung ist, dann wären sie ja Mitschuld am Elend von Millionen Menschen. Da besteht sozusagen ein Lernwiderstand. Und ich fürchte, dass das Lernen der Eliten solange brauchen wird, bis der systemische Charakter der Krise offenkundig wird. Also solange, bis man nicht mehr Griechenland alleine zum Sündenbock machen kann, wo einfach nur die Symptome der Systemkrise am deutlichsten in Erscheinung treten, sondern wenn man beginnt zu begreifen, dass ja ganz Europa in Wahrheit in einer schweren Wirtschaftskrise steckt. Wir haben seit sieben Jahren kein Wirtschaftswachstum, selbst im relativ vorbildhaften Österreich hatten wir im Jänner eine halbe Million Arbeitslose.
Welche Folgen hat die Fortsetzung dieses Programmes für Europa?
Ich befürchte, dass sich die Lage in Griechenland als Folge des Programmes weiter verschlechtern wird. Und das gibt den Eliten, und das sind natürlich nicht nur die Politiker, das sind auch die Chefredakteure, auch die Wirtschaftsjournalisten etc., Gelegenheit, an ihrem Glauben festzuhalten, dass das Ganze ein Griechenlandproblem ist, weil man ja sieht, dass es allen anderen Ländern relativ besser ginge.
Wer profitiert denn von der Fortsetzung dieser sogenannten "Hilfsprogramme"?
Meiner Ansicht nach so gut wie niemand. Wirklich schwere Krisen sind immer Krisen der Navigation, der Politik. Damit meine ich Krisen, die zum Ausdruck bringen, dass die Eliten die Orientierung verloren haben. Und in solchen Krisen können alle verlieren. Natürlich in unterschiedlichem Ausmaß. Wenn jetzt in Griechenland die Arbeitslosigkeit weiter steigt, wenn die Verelendung der Menschen zunimmt, dann werden - wenn auch in abgeschwächter Form - auch die anderen Länder davon betroffen sein. Schwere Krisen sind eigentlich immer Krisen in denen so gut wie niemand gewinnt.
Wie beurteilen sie den Verhandlungsverlauf zwischen Eurogruppe, EZB und IWF mit Griechenland. Die Hellas-Regierung spricht von Erpressung. Die Geldgeber haben die demokratisch gewählte Regierung mehr oder weniger als uneinsichtiges Sorgenkind dargestellt. Wer hat hier wen erpresst? Welche Bilder werden hier benutzt um das gegenüber in ein bestimmtes Licht zu setzen und für welchen Zweck?
Das ist eine sehr sehr gute Frage. Die sogenannten Verhandlungen der letzten Monate waren in Wirklichkeit eine Art von Religionskrieg, wo auf der einen Seite die große Mehrheit der Euro-Länder stand, die sagte, im Prinzip ist unser Kurs richtig, und jetzt kommt ein kleines Land - noch dazu mit einer Links-Regierung - und sagt nicht nur, dass im Fall Griechenlands diese Sparpolitik falsch war, sondern dass sie für ganz Europa falsch sei. Das heißt, die 18 Länder haben das natürlich als Provokation empfinden müssen. Denn: Wenn die Recht hätten, dann hätten ja die Rezepte der letzten Jahre tiefer in die Krise geführt. In einem Glaubenskrieg über die richtige ökonomische Weltanschauung entscheiden nicht Argumente, sondern natürlich die Macht. und wenn der Herr Schäuble süffisant sagte, die griechische Regierung hätte ein Rendez-Vous mit der Realität, dann meinte er meiner Ansicht nach ein Rendez-Vous mit der Macht. Und die war so eindeutig verteilt, dass es wahrscheinlich köüger gewesen wäre, die Syriza hätte diesen Kampf früher aufgegeben.
Eine Bevölkerung lehnt in einem Referendum ein Programm zum Wirtschafts- und Sozialumbau ab und nun wird es ihr wahrscheinlich noch in einer viel intensiveren Form übergestülpt. Die griechische Regierung muss künftig – laut der neuen Übereinkunft – Gesetze zuerst der TROIKA vorlegen, bevor das Parlament darüber abstimmt. Was bedeutet das alles aus demokratiepolitischer Sicht?
Ich halte das für ein ziemlich verheerendes Signal, nur wurde das bisher auch in unseren Zeitungen nicht wirklich durchdacht. Im Klartext heißt es doch: Hätte die griechische Bevölkerung nicht die Gelegenheit gehabt, demokratisch ihre Meinung zu äußern, dann wäre sie besser gefahren. Während sie jetzt für das Referendum bestraft wird. Das ist natürlich für alle Zukunft ein klares Signal: Demokratische Signale sind dann unerwünscht, wenn sie nicht 'marktkonform' sind. Ich verwende diesen Begriff mit Absicht, weil ja die deutsche Kanzlerin Merkel den Begriff der 'marktkonformen Demokratie' gewählt hat und damit meinte, letztlich kann nur das demokratischen Entscheidungen unterworfen werden, was marktkonform ist. Und das wäre meiner Ansicht nach natürlich langfristig das Ende der Demokratie. Wenn eine Bevölkerung nicht mehr bestimmen darf, ob etwa der Sozialstaat bestehen bleiben soll, weil das nicht marktkonform ist, in welcher Welt leben wir dann?
Während EU PolitikerInnen von einer Einigung sprechen, regt sich insbesondere im Netz internationaler Protest. #thisisacoup zum Beispiel. Was ist dieser Deal für ein Signal für ähnliche Protestbewegungen und Parteien etwa in Spanien oder Portugal?
Das ist für mich sehr schwer einzuschätzen, aber meine persönliche Meinung ist ganz einfach: In allen europäischen Ländern gäbe es eine Mehrheit der Bevölkerung gegen einen weiteren Abbau des Sozialstaates, gegen weitere Entsolidarisierung, dagegen, dass die Reichen immer Reicher und die Armen immer ärmer werden. Aber in all diesen Ländern hat die Bevölkerung bei Wahlen ja gar keine Gelegenheit diese Meinung zu äußern, weil sowohl die sozialdemokratischen als auch die christdemokratischen Parteien letztlich diese neoliberalen Rezepte, mehr Privat, weniger Staat etc. vertreten. Griechenland war eben das erste Land, wo eine ursprünglich kleine Partei der Bevölkerung die Möglichkeit anbot, gegen den Abbau der Sozialstaatlichkeit zu stimmen. Und das war der Grund, weshalb die 36% der Stimmen bekamen. Sicher nicht, dass 36% der Griechen linksradikal geworden wären. In Spanien gibt es mit der Podemos eine vergleichbare Bewegung. Wir werden sehen, aber meine Prognose ist, dass die einen ganz erheblichen Wahlerfolg einfahren wird. Und langfristig wäre es nicht undenkbar, dass die sozialdemokratischen Parteien, die Gefahr sehend, dass ihre Existenz bedroht ist - in Griechenland gibt es de facto keine sozialistische Partei mehr - vielleicht sich wieder ihrer Grundwerte besinnen. Es ist also denkbar, dass die Sozialdemokratie wieder sozialdemokratisch denkt. Aber das wird noch länger dauern.
PolitkerInnen in der EU, EZB, IWF und auch weitgehend Medien haben die Annahme des extremen Reformprogrammes tendenziell als Sachzwang und als alternativlos dargestellt. Wie kommt es zu dieser eindimensionalen Perspektive und warum haben JournalistInnen diesen Spin teilweise einfach übernommen?
Ganz allgemein kommt man natürlich immer weiter, wenn man mit der Herde mitläuft. Sich dagegen aufzulehnen verlangt Mut und Zivilcourage. Das zweite ist, dass diese Weltanschauung, "Wenn der Staat ein Defizit hat, muss gespart werden", "Wenn die Arbeitslosigkeit steigt, müssen die Löhne gesenkt werden",... diese Weltanschauung ist ja schon vor vierzig Jahren sozusagen restauriert worden. Und hat dann über die Universitätsstudien auch die Journalisten immer mehr beeinflusst. Wir leben heute in der historisch einmaligen Situation, dass in den Wirtschaftswissenschaften eine Weltanschauung total dominiert. und die steht meiner Meinung nach im Widerspruch zu den konkreten Interessen der Mehrheit der Bevölkerung. Und deshalb gibt es einen Konflikt, zwischen Demokratie und dem was die Wirtschaftspolitik als Sachzwang verkauft.
Welcher Deal würde Griechenland und Europa aus dieser wirtschaftlichen und demokratischen Krise ihrer Meinung nach führen?
Ein "New Deal", wenn Sie schon das Wort Deal verwenden. Was meine ich damit? Die Griechenland- Krise ist nur Ausdruck einer System-Krise die ganz Europa erfasst hat. Griechenland ist das schwächste Glied der Euro-Länder. Deshalb kommt die Krise hier am intensivsten zum Ausdruck. Das führt wiederum dazu, dass die Eliten Griechenland gewissermaßen als Sündenbock verwenden und sagen, die Griechen sind schuld. Das lenkt dann davon ab, dass sozusagen im Navigationssystem das die Politiker verwenden etwas grundlegend falsch ist. Daher behaupte ich, dass Griechenland ganz alleine so oder so nicht aus dieser Krise herauskommen kann, weil es eben eine Krise ganz Europas ist. Würden wir aber in Europa so etwas wie einen New Deal entwickeln - und ich hab das in einem Büchlein vor fünf Jahren ja schon sehr konkret entwickelt, was das bedeuten würde - dann hieße das massive Investitionen zur Verbesserung der Umwelt, zur Bekämpfung des Klimawandels, eine Initiative zur Stärkung des sozialen Zusammenhaltes, eine Initiative im Bildungswesen,... Es ist ja eine verrückte Situation, wenn Zehntausende oder Hunderttausende Lehrer arbeitslos sind. Das ist auch vom ökonomischen Standpunkt aus einfach eine Vergeudung von Ressourcen. Man hat sie teuer ausgebildet und jetzt können sie Taxi fahren,... Aber ein solcher New Deal setzt ein komplettes Umdenken der Wirtschaftswissenschafter aber vor allem auch der Politiker voraus. Und hier ist eben der Lernwiderstand noch zu groß.