Erstellt am: 17. 7. 2015 - 12:01 Uhr
Plastikpalmen und Dosenbier
Isolation Berlin berlinern in Berlin. Die vier hocken also nicht in einem der zahlreichen Start-Ups, die nach und nach den Prenzlauer Berg überzogen haben und hämmern auf Tastaturen ein. Isolation Berlin sitzen in der Sonne und drehen Zigaretten, und das vor einem sogenannten Späti unter Plastikpalmen. So weit, so Berlin-romantisch. Aber jetzt bitte Begriffserklärung!
Christian Lehner
Ich: Ist das hier der Treffpunkt der Band?
Max: Ja schon, man holt sich das Bier und geht dann hoch. Im Sommer bleibt man gleich hier.
Ich: Der Gleim Shop ist ein "Spätkauf" oder "Späti". In Österreich kennen wir das nicht so.
Simi: "Ein Späti ist ein Kiosk, der sieben Tage die Woche rund um die Uhr offen hat, wenn es gut läuft. Alles ist ein bisschen teurer als im Supermarkt aber wesentlich billiger als in einer Kneipe. Das ist schon sehr praktisch"
Christian Lehner
Der Gleim Shop liegt im Gleimkiez direkt an der Ecke Gleimstraße und Sonneburger Straße. Begrenzt wird er im Westen vom Mauerpark und im Osten von der Schönhauser Allee. Im Norden trennen die S-Bahngleise den Gleimkiez vom skandinavischen Viertel.
"Hier am Späti hat alles begonnen", erzählt Tobi, der Sänger und Cheftexter mit der Beatlesmütze. Er und Max, der Gitarrist mit der zweiten Beatlesmütze, haben an diesem Ort mit seinen weißen Plastikstühlen und den Plastikpalmen die Band gegründet und auch so manchen Song geschrieben. Gleich nebenan ist das Office ihres Labels Staatsakt Records. Zum Proberaum hat man auch nicht weit und im Haus direkt gegenüber wohnten zunächst Tobi und Max und jetzt wohnen dort Max und David.
Rund um den Späti setzt hektisches Treiben ein. Eine laute spanische Touristengruppe trägt Snacks und Wegbier in den Mauerpark. Auf der Sonnenburger Straße zieht eine Fahrrad-Karawane mit Führer und Geleitschutz vorbei. Der Prenzlauer Berg ist Deutschlands originales Bobo-Viertel. Als ich hier 2006 für ein Jahr lebte, war die Gentrification bereits weitestgehend abgeschlossen. Die Fassaden sind schmuck, die Town Houses teuer. Manche Wände sind von Efeu überzogen. Hier tragen sogar die Häuser Vollbart. "Stimmt schon", sagt Max "viele Orte und Clubs mussten dichtmachen."
Aber es wäre nicht Berlin, gäbe es nicht doch noch einige eckige Kanten und kantige Ecken. "Plastikpalmen und Dosenbier ist alles, was ich zum Leben brauche“, lacht Schlagzeuger Simi und meint den Späti. "Ich verbringe mein halbes Leben im Mauerpark", sagt Tobi oder Max (ich verwechsle ständig die Beatlesmützen). Und David, den Bassmann mit der rauen Basstimme, zieht es zur Brücke an die Dänenstraße, die über die S-Bahn führt. "Hier kann man schön Züge beobachten".
Die vier sitzen da wie die Bänkchen-Männer in "Asterix in Korsika". Angesichts des Treibens vor unseren Augen denke ich tatsächlich an Römer, die ganz Gallien besetzt haben. Ganz Gallien? Vielleicht heißen Isolation Berlin ja deshalb so, wie sie heißen. Wahrscheinlich aber nicht.
Die im Frühjahr erschienene "Körper EP" krachte ganz schön post-punkig und no-wavig. Die Lieder davor trugen aber viel Melancholie in sich. "Alles Grau" und "Aquarium" sind "Stürze in die Stadt", wie Sänger Tobi sagt, "Fluchtbewegungen vor meiner Depression. Es ist ja, als würde die Farbe von den Häusern, der U-Bahn, der ganzen Stadt verschwinden". So ist das Ich in Bewegung, durchmisst die Kieze, versucht sich an der Stadt zu berauschen. Die visuelle Entsprechung findet sich in den Videos und auf den Covers, die von Yannick Riemer gestaltet werden.
Christian Lehner
Christian Lehner
Aber es gibt Hoffnung. Tobi, Max, Simi und David haben eine neue "Doppel-A-Seiten-Single" (Tobi) aufgenommen, die von der Liebe erzählt und im September erscheinen wird. Gemütsmäßig passt das auch besser zu diesem wunderbar farbintensiven Frühsommernachittag unter den Plastikbäumen vor dem Gleim Shop. Zum Schluss frage ich die vier nach einem Tipp für Sommerurlaubende in Berlin. "Meidet die Bäder, fahrt zu den Seen!", entgegnen sie. Schon verschwindet das nächste Tabakröllchen zwischen Daumen, Zeigefinger und Papier. Die Sonne steht hoch über dem Gleimkiez. Die Plastikpalmen rauschen im Wind.