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Natalie Brunner

Appetite for distraction. Moderiert La Boum de Luxe und mehr.

14. 7. 2015 - 12:03

Danke Creepy Teepee!

Neue Lieblingsband, neues Lieblingslabel, neues Rolemodel: Wie ein Festival mich zu einem neuen und glücklicheren Menschen machte.

Nein, ich bin über das Wochenende nicht in die DMT-Bowle gefallen, sondern ich habe Musik von Skull Katalog, Skill, Meth Dad, King Khan and The Shrines in mein persönliches Panthenon erhoben.

Was das Rundherum angeht, gehört das Creepy Teepee ab sofort zu meinen drei Lieblingsevents des Jahres, Weihnachten und Geburtstag mitgerechnet. Ich wurde in den letzten 150 Jahren von dem Verdacht befallen, ich sei alt geworden; das bösartige "Ich hab alles schon gesehen, früher war alles aufregender, innovativer und besser-Virus" hat meinen Geist, meine Seele und meinen Enthusiasmus zerfressen.

Danke Creepy Teepee, kann ich also nur sagen. In dem gleichen Maße, in dem eine abgebrühte Arroganz sich in mich hineingefressen hat, hat die Kulturindustrie sich in die Orte hineingefressen, die ich bei meinen nächtlichen Spiel- und Spaß-Exkursionen zu frequentieren pflege. Alles ist durchgebrandet, gefördert und sicher, keine Möglichkeit zur Eskalation mehr. Wo kein Feuer, da auch kein Licht.

Das Creepy Teepee findet in Kutna Hora in Tschechien statt. Eine sehr alte und nicht besonders große Stadt, die den Weg in die Reiseführer wegen ihres Gebeinhauses gefunden hat, einer Kirche, die mit den Knochen von Pestopfern "dekoriert" ist. Es gibt Girlanden, Luster, Vögel, das Wappen von Landesfürsten - alles aus menschlichem Gebein. Da den Touristen niemand von Ehrfurcht und kontemplativem Mitgefühl erzählt hat, sieht man Damen in pinken Vinyl Tops, wie sie Duckfaces vor Bergen von Schädeln machen, und es ist klar, warum das Independent-DIY-Musikfestival dieser Stadt Creepy Teepee heisst.

natalie brunner

Das Festival findet im Hof eines nicht mehr benutzten Verwaltungsgebäudes und in einer gekachelten Halle statt. Das Tor zum Hof ist mit einer Spanplatte zugenagelt, sodass die BesucherInnen bei der Kasse vorbei müssen. Ein paar Zelte und Busse für die Kulinarik und Gastronomie. Wir delektiern uns an Panamabohneneintopf, Kokoscurries, Quesadillas und Shitake-Burger für circa 3 Euro, Bier und Vodka-Drinks mit hausgemachten Säften und Mate für umgerechnet 2 Euronen.

Am Freitag spielt Holly Herndon gemeinsam mit dem Künstler Mat Dryhurst, der die Software Saga entwickelt hat, die sich mit der Souveränität von geistigem Eigentum im digitalen Raum beschäftigt. Die beiden spielen an der Bruchstelle von Organischem und Digitalem, oder besser: sie schaffen einen Raum, an dem diese Grenze brüchig wird.

Grenzen zu Barrieren zerfallen zu lassen und Übergänge zwischen Umgebungen möglich zu machen, scheint überhaupt ein Anspruch von Herndon an ihr Werk zu sein. Während der interaktiven, audiovisuellen Performance konnte man SMS-Nachrichten senden, die gleich in die Show eingebaut wurden und sie so veränderten. Es sind Visualisierungen der Räume, die zwischen Desktop und Hirn entstehen, also an genau dem Ort, dem auch die Jugendkulturen entspringen, mit deren Referenzen sich das Publikum des Creepy Teepee schmückt.

Der Cyberpunk-Autor William Gibson würde jubeln, wenn er dreißig Jahre nach der Geburt diese Begriffs das Grüppchen von nicht kategorisierbaren Renitenten eben nicht bei der Transmediale im Haus der Kulturen der Welt, sondern bei einem DIY-Festival in einem kleinen Ort in Tschechien sehen würde. Mir gefällt es auch sehr, eine junge Dame mit nichts außer Alien-Stickern auf den Nippeln und ihre Freundin mit blassrosa Pagenkopf am Nachmittag entspannt im Dorf spazieren gehen zu sehen.
Das Publikum des Creepy Teepee beherrscht das Spiel der feinen Unterschiede. Subkulturelle Zeichen werden aus Traditionen gelöst. Man ist Teil von nichts außer einem heterogenen, offenen Kollektiv, das aus vielen Genres gespeist wird.

nb

Sehr lachen musste ich über TTF The Gang, eine Trap-Crew aus New York, die gar nichts beherrscht. Sexistische Dummheit tropfte aus jeder Pore, während sie über San Andreas und schwarze, weiße und japanische Huren zu rappen versuchten. Die Typen auf der Bühne sahen aus und gebärdeten sich wie ein Streich von Sascha Baron Cohen und gaben Texte von sich, die Volksschulkinder mit zwei Jahren englisch als Fremdsprache auch zustande bringen würden. Zwei schwarze MCs durften rappen, dahinter eine Riege von zirka fünfzehnjährigen, hellhäutigen Kollegen mit Sonnenbrillen, Bandanas und viel Gold, die das How to look Gangsta-Manual mehr als einmal gelesen haben und nichts taten außer zu posen.
Der Lachkrampf war endgültig nicht mehr zu stoppen, als die hellhäutige Fraktion mit ihrem Miet-Mercedes nach der Show quer durchs Publikum cruiste. Mütter mit ihren Kinderwägen sprangen zur Seite, während die MCs mit ihrem Skoda zurückblieben. Auch diese unfreiwillige Comedyeinlage, für die die Eltern eines der im Mercedes sitzenden Typen warscheinlich viel Geld springen lassen, wird mir als Highlight in Erinnerung bleiben.

Comedy und Spaß der gekonnten und gewollten Art ist Meth Dad aus den USA. Der junge Mann macht psychedelisch-sanften Shoegaze und Electro Pop und hat sich das ganze Wochenende Zeit genommen, um alles beim Creepy Teepee zu hören und zu sehen. Meth Dad ist so freundlich wie ein Charakter aus Adventure Time und sieht auch aus als wäre er mit Lady Rainicorn verwandt. Seine Namen trägt er nicht, weil er sich regelmäßig das Hirn zerlöchert, sondern weil er am Tag seiner ersten Show, als er noch namenlos war, via Jerry Springer Show auf diese Problemgruppe gestoßen ist.

Der Hauptpreis des Festivals geht an den Rock'n'Roll-Derwisch King Khan, der mit seiner Band The Shrines angereist ist und einem völlig ekstatischen Creepy Teepee-Publikum Lektionen aus der Sparte Rock'n'Roll, Psychedelic Surf Madness, Doo Wop und Soul verpasste.

King Khan ist gerade von einer USA-Tour, die John Waters zu einem Fan werden ließ, zurückgekehrt und spielt am 7. August in der Arena in Wien.

natalie brunner

In eine kompromissloses Zombie, Post Punk, Electro Hölle nimmt uns Skull Katalog, der früher Sewn Leather hieß, mit. (Anyone remeber EBM?)

Ich bin Fan, genau so wie von Still, der zuvor Dracula Lewis hieß, Gründer des italienischen Label Hundebiss Records, auf dem auch Sewn Leather zu finden ist.

Danke Creepy Teepee, danke Hundebiss, das Feuer brennt noch, und hoffentlich bald wieder in einem Dungeon in unserer Nähe.