Erstellt am: 13. 7. 2015 - 18:58 Uhr
Gordischer Knoten
Athen - Giorgos steht fast resigniert vor einen Stapel aus Büchern. Der 35-Jährige besitzt einen kleinen Buchladen im Zentrum von Athen. Es ist nicht lange her, als er noch dachte, dass es die Chance geben würde, eine Politik jenseits der Austerität durchsetzen zu können. Es war an diesem Abend, dem 5. Juli, als sich fast 62 Prozent der GriechInnen bei einen Referendum gegen weitere Sparmaßahmen entschieden - trotz der Warnungen aus Brüssel, dass so etwas zu einem Austritt aus der Eurozone führen kann, und trotz der ständigen Medienberichte, die einen Untergang des Landes herbeibeschwörten.
APA/EPA/ALEXANDROS VLACHOS
Eine Woche danach ist nichts von dieser Euphorie übriggeblieben. Die Stimmung in der griechischen Hauptstadt ist trüb. „Gordischer Knoten“ titelte am Montag die linksliberale Tageszeitung Ta Nea und meinte das Abkommen. An ein paar Stellen in der Innenstadt, meistens an der Wand vor den geschlossenen Banken, ist noch mit großer roter Schrift das Oxi ["Nein, beim Referendum"] zu sehen. Die Menschen laufen in ihre Gedanken versunken daran vorbei. “Jetzt hat unsere Regierung zugestimmt. Dieses Ja bedeutet, dass wir auch weiterhin zusätzlichen Sparmaßnahmen zustimmen werden, falls es von uns verlangt wird”, sagt Giorgos im Bezug auf das Abkommen, das nach 17 Stunden dauernden Gesprächen in Brüssel am Montag beschlossen wurde. Insgesamt sollen Griechenland in den nächsten drei Jahren weitere Finanzhilfen in Höhe von bist zu 86 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt werden. Die linksgerichtete Regierung von Alexis Tsipras hat dafür unter anderem für Mehrwertsteuerhöhungen und Änderungen im Rentensystem, aber auch für die Privatisierung von staatlichem Besitz im Wert von mindestens 50 Milliarden Euro ihre Zustimmung gegeben.
Dies soll über eine Privatisierungskasse mit Sitz in Athen erfolgen. Die harten Forderungen, unter anderem auch der Vorschlag des „temporären Grexit“ des deutschen Finanzminister Wolfgang Schäuble, haben einen Sturm der Kritik im Internet ausgelöst. Am Sonntagabend dominierte der Hashtag #ThisIsACoup ["Das ist ein Putsch"] in vielen Ländern und war bei manchen Ländern wie z.B in Kanada, Türkei und zeitweise auch den USA unter den zehn meistverwendeten Hashtags.
Tsipras räumte ein, dass einige Maßnahmen ‘Rezessionstendenzen’ haben, sagte aber gleichzeitig, dass das Wachstumspaket von 35 Milliarden Euro, die Griechenland erhalten wird, sowie die Umstrukturierung der Schulden und auch die Sicherung der Finanzierung für die kommenden drei Jahre, auf den Märkten und bei den Investoren das Gefühl hervorrufen werden, dass der Grexit der Vergangenheit angehört. Für Giorgos bedeutet all dies wenig. Er und seine vierköpfige Familie werden bald wieder mit sehr hohen Steuern und noch höheren Rechnungen konfrontiert werden. Obwohl er ein überzeugter Linker ist, fühlt er nicht, dass das Linksbündnis Syriza seine politische Heimat ist. "Tsipras hat es so weit gebracht, dass ich jetzt gegen ihn stehe und nicht auf seiner Seite. Falls es zu Neuwahlen kommt, würde ich wahrscheinlich gar nicht mehr wählen gehen", sagt er enttäuscht.
Neuwahlen. Dieses Wort wird immer öfters in den letzten Tagen gehört, nachdem sich bei der Abstimmung am Freitag im Parlament insgesamt 17 Syriza-Abgeordnete entschieden haben, nicht für das von der Regierung erarbeitete Sparpaket zu stimmen - entweder durch Stimmverzicht, Abwesenheit, oder indem sie dagegen stimmten. Zu den Abweichlern gehören Ex-Finanzminister Yanis Varoufakis, Energieminister Panagiotis Lafazanis, Vizearbeitsminister Dimitris Stratoulis und die Parlamentspräsidentin Zoi Konstantopoulou. Das griechische Parlament muss noch bis Mittwochabend die neuen Sparmaßnahmen billigen. Beobachter gehen davon aus, dass Tsipras mit bis zu 40 Abweichlern aus den eigenen Reihen rechnen muss und dass es in den nächsten Tagen zu einer Kabinettsumbildung kommt oder gar zur Bildung einer Regierung der Nationalen Einheit, in der wahrscheinlich auch Politiker der liberalen Partei To Potami, des sozialistischen PASOK und der konservativen Nea Demokratia einen Platz in der Regierung finden könnten.
Christina, eine 40-jährige Arbeitslose, empfindet so eine Entwicklung als eine weitere Tragödie, denn an die Macht könnten so wieder Politiker kommen, die jahrelang das korrupte System unterstützt haben und zur Schaffung des hohen Schuldenberges beigetragen haben. Und sie befürchtet, dass auch die Neonazis von Chrysi Avgi sich stärken können. Sie meint, dass die Regierung keinen Plan B hatte, als die Verhandlungen mehrmals gescheitert sind, und wünscht sich jetzt einen Rücktritt von Tsipras. Die Tatsache, dass er trotz des Ausgangs des Referendums Sparauflagen zugestimmt hat, sei ein Schlag für die Demokratie: "Wozu habe ich überhaupt am Referendum gegen die Sparvorschläge gestimmt? Es kommt mir so vor, als ob die Stimme der Mehrheit keine Rolle mehr spielt". Das wichtigste Verhandlungsargument der Regierung wäre eine Drohung mit einem Austritt aus der Eurozone gewesen, der einen Dominoeffekt haben würde, meint sie. "Doch das Volk selbst hat die Regierung hier entmachtet, weil die Mehrheit am Euro festhält".
Bei aktuellen Umfragen spricht sich tatsächlich die Mehrheit der Griechen für einen Verbleib in der Eurozone aus, trotz der angespannten Beziehungen mit den Gläubigern. In einer Umfrage des Instituts Metron Analysis, die am Freitag veröffentlicht wurde, waren 75 Prozent für einen Kompromiss mit den Gläubigern und 21 Prozent dagegen. 84 Prozent sprachen sich für einen Verbleib in der Eurozone aus. Bei der gleichen Umfrage würden 38 Prozent für Syriza stimmen, 19 Prozent für Nea Demokratia, 5 Prozent für die liberale Potami, 4 Prozent für die Neonazis von Chrysi Avgi ,ebenfalls 4 Prozent für die Sozialisten von PASOK und knapp unter 4 Prozent für die Kommunistische Partei.
Ein paar Meter vom Buchladen von Giorgos entfernt sitzt Thimios mit seinen Kumpeln und redet über die aktuellen Entwicklungen. Der junge Mann hat bei dem Referendum für die Sparauflagen gestimmt und fühlt sich jetzt bestätigt. "Obwohl es ein hartes Abkommen ist, war es notwendig, denn ich glaube, wir müssen in der Eurozone bleiben und auch Mitglied der EU. Wir müssen uns jetzt sehr anstrengen und notwendige Reformen umsetzen, nicht nur in der Politik, sondern auch in der Gesellschaft."
Zacharenia, eine 34-jährige Kosmetikerin, die am Tisch nebenan sitzt, hört skeptisch zu. Sie ist beim Referendum gar nicht wählen gegangen, den sei meint, die Fragestellung war nicht klar. Als Angestellte einer multinationalen Firma verdient sie zurzeit 2,70 Euro die Stunde. Ihr ist klar, dass auch diese Abkommen nichts an ihrer Situation ändern wird. "Es ist keine Lösung. Unserer Premierminister hat uns am Anfang etwas präsentiert das unrealistisch war. Teil der Eurozone zu bleiben ohne der harten Sparlinie zu folgen."