Erstellt am: 13. 7. 2015 - 16:17 Uhr
Nicht mehr neutral
"Netzneutralität bezeichnet die Gleichbehandlung von Daten bei der Übertragung im Internet und den diskriminierungsfreien Zugang bei der Nutzung von Datennetzen."
Seit über fünf Jahren wird weltweit um eine Sache politisch gerungen, die in der Öffentlichkeit nicht allzu populär ist. Das liegt aber weniger daran, dass die Netzneutralität einen schlechten Ruf hätte. Es ist eigentlich schlimmer: Viele haben noch nie davon gehört, wissen nicht, was Netzneutralität sein könnte oder warum sie wichtig sein sollte.
Themen, die auf den ersten Blick langweilig sind, dessen Behandlung aber auf bürgerrechtlicher und politischer Ebene sehr wichtig ist: Darauf wirft sich der beliebte Politsatiriker John Oliver besonders gerne. Er liebt die Herausforderung, diese Themen verständlich zu machen, sie humorvoll aufzubereiten und anschließend dazu aufzurufen, sich damit auseinanderzusetzen. So geschehen ist es auch Mitte 2014 mit der Netzneutralität.
Zum Zeitpunkt dieser Show war noch zu befürchten, dass die US-Regulierungsbehörde FCC sich gegen die Netzneutralität entscheiden würde. In der EU standen zu diesem Zeitpunkt hingegen alle Zeichen darauf, dass Netzneutralität für alle Mitgliedsstaaten als Verordnung verankert wird.
In beiden Fällen ist es anders gekommen: Seit 12. Juni 2015 gibt es in den USA die Netzneutralität, doch in Europa ist sie nur zwei Wochen später quasi gestorben. Es war ein seltsames Vorgehen des Ministerrats und eine ermüdende Sitzung, die Ende Juni die Situation hat kippen lassen. Die Einigung des EU-Parlaments vom April 2014 wurde vom Ministerrat wieder an den Start geschickt. Am Schluss war keine Zeit und keine Kraft mehr da, die Sache wieder umzudrehen, wie MEP Michel Raimon in seinem Sitzungsbericht beschreibt.
Telekoms und Kabelbetreiber vs. IT-Riesen
Wie kam es zu dieser EU-Entscheidung?
Die Bürgerrechtsplattform EDRi (European Digital Rights) hat dazu eine aufschlussreiche Infografik veröffentlicht.
Die wahren Fädenzieher im Hintergrund sind aber nicht EU-Gremien oder Regulierungsbehörden, sondern: Lobbyisten. Lobbyiert wurde und wird vor allem von großen Telekom- und Kabelnetzkonzernen, sowohl in den USA als auch in Österreich. Weil es in Europa aber keine IT-Riesen wie Facebook oder Google gibt, lautet die Logik des EU Ministerrats nun: Wir müssen unsere Telekomfirmen unterstützen, damit die in den Kampf mit den IT-Konzernen aus Übersee treten. Für den FM4 Netzpolitikexperten Erich Möchel ein kurzsichtiges und rückwärts gewandtes Konzept, denn:
"Ein modernes Europa braucht auch IT-, Internet- und Software-Konzerne. Doch das steht dann nicht mehr zur Debatte, denn da werden die Telekoms aufgerufen werden, selbst so etwas zu entwickeln. Dann probieren sie das selbe wieder, was seit 1995 nicht funktioniert hat. Nämlich mit eigenen Services den Internetfirmen entgegenzutreten."
Der alte, abgezäunte Garten
Nachträglich betrachtet war in der Frühzeit des Netzes in den USA bereits jenes Szenario Realität, das durch den Verzicht auf Netzneutralität nun 20 Jahre später nach Europa kommen könnte: ein fragmentiertes Netz, das kaum oder gar nicht interoperabel ist und wo jeder Konzern individuelle, proprietäre Pakete schnürt. Remember Compuserve und AOL? In Europa kennen wir diese historischen Walled Gardens nur aus Erzählungen, die nie auch nur ansatzweise mit unserem bisherigen Verständnis des Internet in Verbindung kamen.
Doch das könnte anders werden, wenn nämlich große Telekom- und Kabelkonzerne künftig nicht mehr nur Internetprovider sind, sondern den Netzzugang mehr oder weniger nach Belieben gestalten können. In Österreich ist - aufgrund der Kleinheit des Landes und der verhältnismäßig einfachen infrastrukturellen Erschließung - die Situation bei Weitem nicht so drastisch wie in den USA, wo die Kabelriesen Time Warner Cable und Comcast eine sehr große Marktmacht haben (die jetzt durch die eingeführte Netzneutralität gebremst wird). Doch auch A1 und UPC in Österreich sind keine kleinen Firmen und teilen sich den Großteil des heimischen Marktes untereinander auf. Ein Umstieg auf kleine Provider ist zwar prinzipiell möglich, die meisten davon sind aber nur in lokal eingeschränkten Bereichen verfügbar.
Der österreichische Netzaktivist Thomas Lohninger mit einem ausführlichen Vortrag zu Netzneutralität (re:publica, Mai 2015).
Zweifelhafte Rettung der Telekoms
EU-Verordnung
Im Gegensatz zu einer Richtlinie, an die sich die Mitgliedsstaaten nur mehr oder weniger halten müssen, steht eine Verordnung über nationalen Verfassungen und ist verpflichtend.
Oberflächlich betrachtet ist das Nein der EU zur Netzneutralität keine große Sache. Nach Außen hin wird es sogar als Erfolg verkauft, dass nun Roaming abgeschafft wurde und das Bekenntnis zur Netzneutralität eigentlich eh weiterhin bestünde. Doch bei der Roaming-Regelung gibt es Schlupflöcher, und der "Netzneutralität ja, aber"-Beschluss, wo Ausnahmen möglich sind, wird Unternehmen nicht davon abhalten, diese Ausnahmen weidlich auszunützen. In den bisherigen Dokumenten wurde diesbezüglich immer von sogenannten "Special Services" gesprochen, die aber nicht näher definiert sind. Das ist in der jetzt vorliegenden Verordnung ebenso.
Es ist höchst ungewöhnlich, dass die USA eine markante Internet-Regulierung beschließt, während die EU quasi eine wirtschaftsliberale Marktöffnung als Verordnung verankert. Erich Möchel ortet in vielen vor allem konservativen Abgeordneten und Regierungsvertretern einen heftigen Anti-Amerikanismus. Um gegen Facebook, Google und Amazon anzutreten, sollen europäische Telekom-Riesen wie die Deutsche Telekom aufgepäppelt werden. Es ist eine höchst merkwürdige Form, gegen die starke (und zweifellos fragwürdige) Vormachtstellung von IT-Konzernen aus den USA anzutreten. Am Ende leiden darunter und zahlen dafür die Konsumentinnen und Konsumenten, ist Möchel überzeugt. Und nicht nur das: Auch der Wettbewerb wird behindert. Netflix und Google können sich bei den nicht mehr netzneutralen Providern teuer einkaufen um sich schnelle Zugänge zu sichern. Das kleine Start-up hat diese Möglichkeit in der Regeln nicht. So wird's erst recht nichts mit dem österreichischen Silicon Valley. Nicht vergessen: Auch Apple und Microsoft haben mal mit kleinem Startkapital in der Garage angefangen.
Weitere Infos zur Netzneutralität und Möglichkeiten, für ihre Bewahrung einzutreten, gibt es auf der Plattform Safe the Internet.
"Hebst du die Netzneutralität auf, zementierst du herrschende Vormachtsstellungen. Die großen Konzerne sind die einzigen Firmen, die sich die Gebühren für die bevorzugten Überholspuren leisten werden können. Da wird kein Start-up einen neuen Service so einfach aufziehen können, wenn Google einen ähnlichen hat - weil die Google-Inhalte blitzartig geliefert werden. Und die anderen eben nicht."
Viele Expert/innen befürchten, dass es kaum noch eine Möglichkeit gibt, auf EU-Ebene die Netzneutralität zu retten. Allerdings muss im Plenum des EU-Parlaments (vermutlich im Herbst) final abgestimmt werden – eine kleine Chance besteht also noch.