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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

13. 7. 2015 - 14:56

The daily Blumenau. Monday Edition, 13-07-15.

Urlaub und Flucht.

The daily blumenau hat im Oktober 2013 die Journal-Reihe (die es davor auch 2003, '05, '07, 2009 und 2011 gab) abgelöst. Und bietet Einträge zu diesen Themenfeldern.

1

Urlaub, vor allem der im Sommer, ist die Zeit auf die viele, ich würde sogar meine: die meisten, hinarbeiten, quasi hinleben.
Urlaub, diese Woche(n) jenseits der alltäglichen Gepflogenheiten, wird mit dem Atem des Besonderen, des Speziellen, zu einer Projektion aufgebaut, deren Wirklichkeit mit den vorgebauten Erwartungen selten standhalten können. Weshalb im Nachhinein viel gelogen wird, über den Urlaub; und sehr viel sich selbst belogen wird.

Denn Urlaub ist das Gegenteil dessen, als was er uns verkauft wird, das Gegenteil von entspanntem Loslassen: Urlaub (sofern er an einem ungewohnten und fremden Ort stattfindet und nicht in einer verlängerten Balkonien-Saison in Outpost in Jesolo oder Ibiza oder an anderen bereits domptierten Plätzen) bedingt geschärfte Aufmerksamkeit, ununterbrochenes Auschecken von neuen Situationen und unerwarteten Begegnungen.

Weil diese Urlaubs-Situation die Nerven-Enden anspannt, die dünnen Häute kitzelt und die Erwartungen ständig unter- oder überschreitet, neigen wir zu permanenter Hysterie. Deshalb sind Mitteleuropäer schreckliche Touristen, anstrengend, fordernd, unlocker, irgendwie maskiert. Wir sind Opfer unserer eigenen (grotesken) Vorstellungen einer inexistenten Idylle.

2

Die Steigerung von Urlaub ist Familienurlaub.
Einen Familienurlaub ohne Schaden zu überleben ist harte Arbeit. Und aus einem Familienurlaub gestärkt hervorzugehen ist die seltene Perle, die zu ertauchen nur jede x-te Saison gelingt.

Im Gegensatz zum Einzel- oder Groß-Gruppen-Urlauber, der sich immer auf sich selbst zurückziehen kann (und somit keinen großen Unterschied zur Alltags-Situation spüren wird) fallen im Familien-Verbund (und letztlich fällt schon das Paar, als ohnehin komplexe Zweierbeziehung in diese Kategorie) alle stützenden Gewohnheiten und Rituale weg, ebenso wie alle stabilisierenden Außeneinflüsse. Im Urlaub wird die Kleingruppe, die Kernfamilie, die Großfamilie, das Paar auf sich selber und die Stabilität ihrer Beziehungen zurückgeworfen. Um die noch viel stärker als im Alltag geforderte Notwendigkeit zum Kompromiss etwa oder die massive Beschränkung individueller Freiheiten zu überstehen.

Familienurlaub erlebt man wohl nur dann chillig, wenn die Bedürfnisse aufs Minimum zurückgeschraubt sind. Und das ist genau das Gegenteil des Konsum-Ideals Urlaub; in dem die Götzen Abenteuer, Freiheit, Verwirklichung und Individualismus angebetet werden. Dieser unlösbare Gegensatz führt dann zu Club-Urlauben, wo man all das vorgegaukelt kriegt.

Mögliche Flucht: sich einfach rausnehmen aus allem. Das klappt aber, wie bereits erwähnt, nur als Einzelner, nicht in der Gruppe. Und sowenig die Zugehörigkeit zu einer Gruppe im Alltag mit Kompromissen gleichzusetzen ist, so stark ist dieses Paar in der Urlaubssituation.

3

Apropos Flucht.
Letztlich ist das, was wir so als Urlaub treiben, eine kurze, gezielte und durch gute Ausstattung unterstützte Kurzzeit-Flucht in eine andere Umgebung.
Eine ganz bewusste Flucht um "einmal aus dem Trott rauszukommen" oder aus fremden Orten anderen, neuen Input zu holen.

In Anbetracht realer Flucht, und in Anbetracht der Häufigkeit der Notwendigkeit von echter Flucht, ist dieses Konzept reichlich zynisch.

In den Mehrzahl der Weltgegenden, in denen die - durch Turbo-Kapitalismus, Wachstumsgier, postkolonialen Konsumismus, Kriegshetzerei und andere Untaten der westlichen Welt verursachten - Verhältnisse politisch, ökonomisch und schlicht auch menschlich derartig beschissen sind, dass sich ein aufrechtes Leben nur durch Flucht bewerkstelligen lässt, ist ein solches bewusstes Entfremdungs-Konzept natürlich nicht bekannt.

Selbst die politisch Verfolgten des Westens, die Snowdens und Assanges können (ebenso wie die politischen Eliten des Südens) ihre Fluchten noch willentlich verorten, sie stehen nicht unter dem Druck sich einfach in eine Flucht-Maschinerie ergeben zu müssen. Weil sie Gewohnheiten, Rituale, Heimat und Sicherheit aufgeben mussten um ihr blankes Überleben sicherzustellen.

4

Ich höre/lese immer wieder Sätze und Behauptungen, die sich in scheinbarer Absichtslosigkeit damit brüsten nicht nachvollziehen zu können oder wollen, in welche Situation sich ein Flüchtling, egal ob als Einzelner oder im Familienverbund, durch das Verlassen der ursprünglichen Heimat begibt.

Dabei ist es recht simpel: die schlimmste kleine Urlaubserfahrung zur alltäglichen Normalität, zum 24/7 hochrechnen. Egal ob im Dreck oder im Nassen schlafen müssen, egal ob von den Liebsten oder der Familie getrennt sein, egal ob der Sprache oder der Schrift nicht mächtig und deshalb unverstanden und orientierungslos, egal ob unsicher in den Tag hoffen müssen oder Kafkas Bürokratismus erleben und egal ob recht-, würde- oder passlos in Abhängigkeit.

Weil wir uns alljährlich unsere kleine Urlaubs-Flucht genehmigen, sind wir blendend präpariert verstehen zu können, wie es jenen geht, die diesen Thrill nicht als hübschen Luxus, sondern als Alltag zu leben haben. Schuldloserweise.

Ich glaube nicht, dass wir völlig verroht sind, weil wir kaum mit der Wimper zucken, wenn wir hitzebeladene Zeltstädte, traumatisierte Hilfesucher und ihre verzweifelte Gesichter medial vorgeführt bekommen. Wir wollen nicht erkennen, dass es sich dabei nicht um ein lässiges Ferienlager, sondern um eine humanitäre Katastrophe handelt. Es erinnert uns vielleicht einen Dreh zu sehr an den letzten Urlaub. Den wir uns ja nicht als anstrengend und an die Substanz gehend eingestehen dürfen, weil er im Konsum-Jahresplan als Fixpunkt als Idylle drinsteht. Es wäre nicht die erste Selbstlüge, die uns blind macht dieser Tage.