Erstellt am: 18. 7. 2015 - 14:39 Uhr
Keep Your Garden Fair
Das Schöne an historischen Filmen und Romanen ist ihre Unwirklichkeit. Helden und Schurken mögen irgendwie noch emotional nachvollziehbar sein; Landschaften, Kleidung und Innenausstattung aber scheinen ferner zu sein als der Mond und noch viel unerreichbarer - die Welt, in der sie existieren, ist einfach nicht die Welt, in der wir existieren. Darum ist es schön, wenn Thomas Vinterberg, der berühmte ehemalige Dogma-Filmemacher (am allerberühmtesten für Das Fest, 1998), jeglichen Naturalismus vermeidet und stattdessen Far from the Madding Crowd zu genau jenem schnulzigen Schinken gestaltet, der der Film sein soll; und das auch noch sehr effektiv, mit einer anspruchsvolleren Bodenständigkeit, ohne zu viel kunstige Schnörksel und unnötige Längen. Wir betreten eine emotionale Filmlandschaft, um etwas über die verheerenden Folgen des emotionalen Lebens zu lernen.
20th Century Fox
Vinterberg lässt da nichts aus. So funkelt das Licht im Wessex dieser Filmwirklichkeit besonders gülden, Felder und Bäume sind smaragdfarben, Lämmer weiß und flauschig, die Himmel und Wolken lila und rosa; wenn dann die Filmmusik auch noch ertönt und Röcke im Wind flattern, fühlt man sich ein bisschen wie in eine frischere Version eines Romance Novels versetzt und das Herz schwillt unwillentlich bei all dem romantischen Eskapismus an. Mit ein bisschen Eskapismus sind Sozialkritik und Kommentar doch immer gleich viel verdaulicher.
20th Century Fox
"Let No Man Steal your Thyme"
Carey Mulligans Bathsheba Everdene navigiert durch dieses Universum mit einer verdutzten Leichtigkeit, die man gerne mit nach Hause nehmen würde. Ihr Schlüsselmoment ist das Singen eines hübschen Liedchens über einen gewissen "Kräutergarten", auf den man gut aufpassen soll: Bathshebas Warnung an sich selbst und an alle anderen junge Frauen, ihre Zeit nicht unnütz (an Männer) zu verschwenden.
Bathsheba, die im Laufe des Narrativs verschiedene Formen von Lust, Freundschaft und emotionaler sowie intellektueller Befriedigung hinterfragt, gestaltet ihr Liebesleben mit drei sehr verschiedenen Männern, von denen mindestens zwei so wirklich gar nicht gutes "Boyfriend-Material" hergeben: da gibt es den virilen Schafhirten und guten Freund Gabriel Oak (Matthias Schoenaerts), den humorlosen Großgrundbesitzer und Junggesellen Mr. Boldwood (Michael Sheen) und, freilich, den hübschen Soldaten Troy (Tom Sturridge), der Bathsheba an einer ganz besonderen Stelle zu berühren vermag - angeblich wurde Vinterbergs Entscheidung, diese Berührung so darzustellen, vom Filmteam als The Danish Handshake bezeichnet. Freilich ist Bathshebas wahre Liebe Mr. Oak, aber bis es dazu kommen darf, muss nicht viel passieren.
20th Century Fox
Bathsheba Everdene ist komplexer gestaltet als die Trope, aus der wir solch eine Heldin kennen: die der tapferen, gebildeten und unabhängigen Frau in einer von Männern dominierten Welt. Mulligan verleiht der Figur eine warme Souveränität und einen selbstironischen Stolz, sogar in Situationen, in denen Bathsheba ausrutscht oder unsicher ist. Gleichzeitig gibt der Film seiner Heldin eine zeitgenössische Verankerung. Bathsheba ist sich sehr bewusst, was für ein beschissenes Los ihrem Geschlecht zugeteilt wurde. Dass ihre Gefühle mit Worten vermittelt werden, die von Männern geschrieben wurden, ist dann natürlich wieder besonders witzig, wenn man bedenkt dass Far from the Madding Crowd von Thomas Hardy geschrieben und von Thomas Vinterberg umgesetzt wurde. Genau wie bei Mad Max: Fury Road brennt bei Far from the Madding Crowd das heurige Sommerkino mit der Frage, was denn genau ein feministischer Film und eine feministische Heldin ist und wie man Feminismus wirkungsvoll in Filmen unterbringt, und wenn ja, wie dieser Feminismus ausgesprochen gehört - aber hebt diese Kategorie den Wert und Genuss eines Films überhaupt?
20th Century Fox
Hardys Frauen
Thomas Hardys Far from the Madding Crowd, genau so wie dessen anderer "Girl-Power" Roman Tess of the d’Urbervilles, gehört zu jenen Romanen, die man vielleicht ohne große Verluste im Bücherregal stehen lassen kann, weil man sich "eh die Filme anschauen kann" - was soll man sich in unserem heutigen Zeitalter (in dem nicht, wie damals, Bücher das einzige mentale Getöse waren an langen, langweiligen Abenden) durch 400 oder mehr Seiten viktorianischen Realismus’ wälzen, wenn das so viel schneller und vielleicht sogar vergnüglicher in einem Film geht? Ich lasse mich gerne eines besseren belehren, glaube aber bei aller Leselust nicht wirklich, dass mir das passieren könnte. Denn - auch wenn der Film irgendwie ein bisschen öd ist - was überhaupt könnte schöner sein als eine junge Nastassja Kinski in Polanskis Tess (1979)?
MGM
Zuletzt wurde Bathsheba Everdene von Julie Christie gespielt, in einem Film, der noch weiter auf den Wellen von Doctor Zhivago (1965) reiten wollte. Christies Bathsheba wirkt weniger zerbrechlich als die von Mulligan, dafür aber auch kindlicher und weniger gefinkelt - obwohl der Film aus dem Jahr 1967 eine rohe Erotik ausdrückt, besteht die Szene, die in der Vinterberg-Version auf den berüchtigten Danish Handshake hinausläuft, einzig aus der allegorischen Säbelstecherei. Julie Christie schaut quasi bei der Ernte ihres Kräutergartens etwas piquierter, als Mulligan es tut; Mulligan aber scheint mehr davon zu genießen. Überhaupt leuchtet Vinterbergs Adaption fast einzig und allein aufgrund von Carey Mulligan und der augenscheinlichen Genüsslichkeit, mit der diese die Rolle der Bathsheba verkörpert. Ein Film wie Far from the Madding Crowd, der ungeniert die perlmuttfarbene Romanze verspricht und einlöst, kann also schon auch einen Genuss für den Zuschauer bedeuten.
"Am grünen Rand der Welt" ('Far from the Madding Crowd') startet am 17.7.2015 in österreichischen Kinos.