Erstellt am: 12. 7. 2015 - 14:42 Uhr
Die blaue und die rote Pille
Das Erwachen ist zäh. Lieblich schwirren noch die Stimmen aus den Träumen in unserem Kopf, es ist schwierig aus dem Bett hochzukommen, der Antrieb fehlt. Daran, dass man das Duo Beach House aus Baltimore mit der vagen Klammer "Dream Pop" umschreiben darf, will auch die neue Single nichts ändern: "Depression Cherry" nennt sich das fünfte, im August wieder via Sub Pop erscheinende Album der Band und führt so also die schöne Opposition, die das Leben ist, vom Bitteren, dem Zerstörenden hier und dem Süßen da, schon im Titel.
Beach House
Der Song "Sparks" umsingt in kryptischen Bildern den Funken, der uns vielleicht aus dem gleichförmigen Trott reißt, der kurz explodierende Energieschub, gleich schon ist er wieder verglüht. Wir treiben weiter. Es geht in dem Lied aber auch um Drogen. Ein Wabern und beruhigendes Wogen durch nebulöse Welten, die Ränder sind unscharf. Wie aus dem Nichts – kawumms – haben wir die eine leuchtende, sprühende Idee, die Welt ist erklärt. Wie war das noch einmal? "And it goes dark again, just like a spark", singt Sängerin und Organistin Victoria Legrand.
Am Anfang von "Sparks" steht ein konstant laufendes Loop: Legrands verhallter, mit sich selbst überlagerter Gesang lullt uns ein, führt uns ins Reich der Hypnose, was sie sagt, ist nicht zu verstehen. Wortfetzen, Flüstern, Hauchen. Danach schneidet Alex Scallys Gitarre, krachiger als bei Beach House sonst üblich, in den bequemen Trance-Zustand. Die Reise beginnt: "We drive around this town, houses melting down, a vision turning green", ein außerweltlicher Joyride durch öde Zonen, Häuser schmelzen, Visionen.
Eine glückliche Gemeinschaftserfahrung: "Hallucination comes, think of everyone that never shared before, from my mouth to yours", heißt es weiter. Alles verschmiert, Nebelwände, das Pluckern und Summen der Orgel, Stimmen aus dem Äther, das Singen der Gitarre. "Loveless", das verrauchte, schemenhafte Meisterwerk von My Bloody Valentine, ist nicht weit.
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Neben eskapistischen Betörungserfahrungen mit punktuellen Erleuchtungsmomenten gibt es aber auch die Realität, die uns, tagein, tagaus, einseift: "You go to school, you follow all the rules, you live inside, realize there's something in your eyes". Das Funkeln in den Augen spüren, den kurzlebigen Funken in der Flasche fangen. "Make it, wave it, alive", heißt es eindringlich ganz am Schluss, die Stimmkauderwelsch-Schleife vom Anfang des Songs ist wieder deutlich hörbar. Eine müde Hymne gleichermaßen für die Entgrenzung, das Ausklinken und das Verschwinden wie für das selbst herbeigeführte Erweckungserlebnis.