Erstellt am: 11. 7. 2015 - 15:10 Uhr
This town is big enough for all of us
Es spricht sich auch in unseren Breiten immer mehr herum: Das Pohoda Festival im slowakischen Trenčín, 130 Kilometer nördlich von Bratislava und somit in etwa zwei Fahrtstunden vom Osten Österreichs erreichbar, ist eine der besten Möglichkeit, ein Sommerwochenende zu verbringen. Genau so hat sich das vermutlich jemand vorgestellt, als das Konzept des Festivals erfunden wurde: ein abwechslungsreiches, liebevoll zusammengestelltes Musikprogramm, saubere Campingplätze, genügend WCs, vor allem aber eine Gegend voll freundlicher Menschen, die sich gegenseitig gut verstehen. Es ist, als wäre im gesamten Areal die Bremse eingelegt. Das Bierausschenken dauert länger, kein Problem, um drei Uhr früh zusammenhängende Sätze in ein Radiomikrophon hineinsagen, sehr gerne. Man trinkt Kofola und leichtes Bier und knabbert Maiskolben und frisch gebrannte Mandeln. Harter Alkohol ist auf dem gesamten Festivalareal nicht erhältlich, dafür gibt es mehrere Trinkwasserbrunnen.
Martina Mlčúchová
Auf den sieben Bühnen des Pohoda Festivals stehen an diesen drei Tagen so unterschiedliche Acts wie Eagles of Death Metal, Roni Size oder CocoRosie. Hudson Mohawke beweist mit Hits wie "Higher Ground" seines Projekts TNGHT, dass der Trap-Hype der vorletzten Jahre noch lange nicht vorbei ist. Die japanische Allstar-Girlband Tricot interpretiert Chanson-Pop als freejazzige Noise-Eskapade, Die Antwoord zementieren ihren Status als Meister des dreimal um die Ecke gedachten Headliner-Raves.
Martin Šopinec / Pohoda Festival
Alexander Hacke und Blixa Bargeld haben mit den Einstürzenden Neubauten wie üblich ein wunderliches Sammelsurium an Metallgegenständen als Klangerzeuger mitgebracht. Mit der markerschütternden Innovation hat es die von ihnen mitentwickelte Maschinenmusik heute schwer, umso mehr bringen die Industrial-Pioniere ihre Show mit entspannter Würde und charakteristischer Kühle auf die Bühne. Bargeld im Glitzeranzug könnte beim Ziehen von Tönen aus einem kleinen Radio ebensogut den kleinen Finger abspreizen und wäre noch immer der Inbegriff einer Grandezza, die Kunst und Künstlichkeit mit dem echten Leben verbindet.
Martina Mlčúchová / Pohoda Festival
Dazwischen ist auf dem riesigen Flugfeld, das in einer Stunde kaum zu durchwandern ist, Platz für eine Rollerdisco, diverse Spielstationen, Entspannungszonen, Essenszelte, Blumenfelder. Es gibt Theaterperformances und Filmvorführungen, eine Kinderbetreuungsstätte mit Hüpfburg, ein Liveradio, einen Vergnügungspark mit Riesenrad und einen Fahnenwald, tagsüber außerdem Tanzworkshops, Lesungen und Podiumsdiskussionen zu Themen wie "Will Slovakia find its Björk?".
Am Eröffnungsabend vollführt der französisch-baskisch-galizische Tausendsassa Manu Chao in einer knapp dreistündigen Show, dass seine eigentümliche Mischung aus World Music, Ska, Reggae und Pop nur sehr schlecht gealtert ist. Songs wie "Clandestino" oder "Welcome to Tijuana" sind trotz politischen und systemkritischen Inhalts in der Zehn-Minuten-Version mit endlosem Offbeat und Mitsing-Chören von Bierzeltschlagern kaum mehr zu unterscheiden. Für Genörgel soll am Pohoda Festival allerdings nur wenig Platz sein; der Festivalname bedeutet übersetzt nicht umsonst in etwa "Nimm’s locker".
Martina Mlčúchová / Pohoda Festival
Wie immer überwältigend präsentiert sich die britische Autorin, Slam-Poetin, Literaturpreisträgerin Kate Tempest am Freitagabend auf der Space Arena Stage. Ihr Debütalbum "Everybody Down", ein Meisterwerk des Story Raps, verbindet eine dreieckige Liebesgeschichte inklusive Mord vorm Haifischaquarium mit klugen Gedanken über Identitätssuche und Generationenfragen, und wenn Tempest am Ende der Show mit umwerfendem Lächeln eines ihrer Gedichte deklamiert, wird "Sei du selbst" von der leeren Worthülse zur mitreißenden Messe: Hold your own.
Martina Mlčúchová / Pohoda Festival
"Collaborations don't work", singen Russel Mael und Alex Kapranos, ziehen sich spitzenmäßige Hosen und wehende Ponchs an und erschaffen leichtfüßig eines der spannendsten Bandprojekte des Jahres. Der Zusammenschluss ihrer beiden Bands Sparks und Franz Ferdinand hat erst vor Kurzem in Form des pragmatisch benannten Projekts FFS und einem gleichnamigen Album gezeigt, wie sich die gleichberechtigte Symbiose aus quasi perfektem Postpunk-Pop und campy Synthpop anhören kann. Live nun laufen die Mitglieder der beiden Bands zur Höchstform auf.
Wo Kapranos nonchalant mit dem Fuß schlenkert, ringt Mael die Hände ums Mikrophon, während sein Bruder Russel stoisch in die Klaviertasten greift. Die gemeinsamen Songs vereinen Franz Ferdinand-typische Hooklines mit glamourösen Melodie-Eskapaden, die stellenweise gar musicalhafte Dimensionen annehmen. "Natürlich meinen wir das Ganze nicht ironisch", erzählt Nick McCarthy dazu im Interview, "aber ohne Augenzwinkern wäre man nur eine Machoband, und das trifft ja wohl auf keinen von uns zu." Die Popwelt als Bühne für die schönsten Rollenspiele - die Lust und der Spaß daran ist beiden Bands ins Gesicht geschrieben.
Heute Abend, wenn die große, ewige Björk ihr neuestes Album "Vulnicura" auf der Bazant Stage zur Aufführung bringt, wird das Pohoda-Feeling von Liebe und Entspanntheit wieder allumfassend sein.