Erstellt am: 5. 7. 2015 - 17:00 Uhr
Zu Hause bin ich nur bei Dir
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- Auch der geschätzte Wissenschafts- und Popjournalist Thomas Kramar macht sich in der Presse am Sonntag zum jeweils selben Song seine Gedanken
Wenn es in den späten 70ern, den frühen bis mittleren 80ern in der Kunst um die gewiefte Distanzierung vom heiligen Mutterland USA gegangen ist, um die Hinterfragung des guten modernen Lebens in ihm, waren die Talking Heads - eine der größten Bands aller Zeiten - stets verlässliche Taktgeber.
Der Terror der heilen Welt von Suburbia, Großstadtparanoia, stressbedingtes Ausklinken, Kapitalismusmühlen, Kalter Krieg – David Byrne und seine Band haben den normalen Wahnsinn – so durfte man damals noch sprechen – als Kommentatoren mit giftiger Ironie beleuchtet. Ein Stilmittel, das vor 30 Jahren noch nicht ausgedünnt, allgegenwärtig und totgenutzt war.
"Don't Worry About The Government" heißt ein Song auf dem 1977 erschienen Debütalbum der Talking Heads – jede Lesart dieser Zeile ist richtig. Dabei waren die Talking Heads immer funky. Nervös, hibbelig, zickig, arty, dabei tanzbar und poppig. Eines ihrer bekanntesten, poppigsten, besten Stücke entstammt dem fünften Album "Speaking in Tongues": Der Song "This Must The Place (Naive Melody)" ist längst in den Kanon der Popmusik eingegangen, im Oeuvre der Talking Heads ist eher Kuriosum.
Es handelt sich um einen komplett ernstgemeinten Lovesong, von Herzen, eine Seltenheit bei den Talking Heads. Das Augenzwinkern ist hier nur in schwachen Untertönen merkbar. "Home – is where I want to be", so lautet die erste und zentrale Zeile des Stücks. "Home" – dass eine Band wie die Talking Heads für den schwammigen Begriff "Heimat" Positives übrig hätte, wird niemand erwartet haben.
David Byrne meint damit auch keinen diffusen Gefühlscluster, der sich aus geografischen, lokalpatriotischen, nationalstaatlichen oder familiären Faktoren nährt, sondern die wärmende Emotion des Sich-Bestens-Aufgehoben-Fühlens. Angekommensein im Schoß der einen geliebten Person. Ein gänzliches Ineinanderaufgehen. "I can't tell one from the other / Did I find you, or you find me?", heißt eine andere schöne Zeile in einem Lied voller schöner Zeilen.
Der Song vergisst die Vernunft, die Unwirtlichkeiten des Lebens da draußen aus und glaubt blauäugig an die Liebe – auch deshalb führt das Stück das Wort "Naive" im Titel, aber auch weil es musikalisch recht schlicht gestrickt ist, der Bass und die Gitarre machen das ganze Stück über dasselbe und bringen weltvergessen die Verhältnisse zum Schaukeln.
Ben Bridwell von der Band of Horses und Sam Beam aka Iron and Wine haben "This Must Be The Place (Naive Melody)" jetzt gecovert und eine Zeile aus dem Song auch gleich als Titel für ihr kommendes Coverversionenalbum umgewidmet: "Sing Into My Mouth" – man darf das sicherlich als Euphemismus für den feinen Zeitvertreib des Küssens verstehen.
Nun haben die Band of Horses und Iron and Wine in der Vergangenheit urerdige, rauschebärtige Musiken wie Country, Folk und Americana von Fahnenschwingertum und Truckstop-Mief befreit und jetzt auch in dem Lied, das von "Home" singt, keinen Platz für unangenehme Konnotationen.
Sie interpretieren den Song als kleine, herzerwärmende Lagerfeuerballade, die Steelguitar weint, die leisen Zweifel, die im Original durchschimmern, werden hier im Dienste des unbedingten Wollens und der Glückseligkeit ausgeblendet. Es muss die Liebe sein. Ein perfektes Lied, wie es scheint - auch wenn die Version der Talking Heads unerreicht bleibt - in jeder Darreichungsfom, und ewige Poesie. In deinen Armen – das ist der Ort, an dem ich einschlafen will.