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Christian Lehner Berlin

Pop, Politik und das olle Leben

6. 7. 2015 - 14:00

"Jetzt müssen die Einbeinigen ihre Krücken selbst bezahlen"

Eigentlich wollte ich mit Gabi Delgado von DAF über seine neue Platte sprechen, aber dann sprachen wir hauptsächlich über die Deutschen und die Krise und die Krise der Deutschen.

Gabi Delgado, heute in der FM4-Homebase ab 19 Uhr.

Die Hitze der Stadt. Berlin stöhnt wohlig unter der aktuellen Wellness, die vom Himmel auf die Erde fällt. Die Platte glüht in Mitte. Niemand kennt den Weg. Alle sind Touristen. Ich treffe Gabi Delgado in der Vergangenheit. Es ist ein ehemaliges Bonzen-Appartement an der Karl-Marx-Allee. Das war die Prachtstraße der DDR. In den Fluren hängt noch immer Mielkes Mief. Im 10. Stock ist es schön. Man sieht den Alex, den Fernsehturm; links das Erbe des genossenschaftlichen Wohnbaus, rechts der renovierte Prenzlberg. Hier oben möchte man bleiben und eine Zigarette rauchen. Delgado zündet sich eine an.

Gabi Delgado

Christian Lehner

Ein Freund hat das Appartement zur Verfügung gestellt. Delgado hat der Stadt schon vor Jahren den Rücken gekehrt und ist in seine ursprüngliche Heimat Andalusien zurückgezogen. Eigentlich wollten wir über sein neues Solo-Album sprechen, es heißt "2" und erscheint Anfang August, aber bald schon sprechen wir über die Deutschen und die Krise und die Krise der Deutschen. Und dann doch noch über "2", Mussolini und Mediamarkt-SM.

Christian Lehner: Im Pressetext steht, dass du auch aus Mentalitätsgründen zurück nach Spanien gegangen bist?

Gabi Delgado: Ja, das stimmt. Die Überregulierung von allem und die Einschränkung der Freiheit, die dadurch ensteht, das hat mich irrsinnig genervt. Überall muss man um Erlaubnis fragen. Überall gibt es ein Amt. Wenn du in Spanien eine Bar hast, dann stellst du einfach einen Tisch und vier Stühle raus, wenn es schön ist. Da kommt keine Polizei und kein Ordnungsamt. Da kommt auch nicht irgendeine Stasi oder ein Nazi-Opa, der noch selber die Polizei ruft. Da kommt gar keiner und dann ist das einfach so. Ein Bekannter wollte vor Jahren eine Suppenküche im Asia-Style aufziehen, also mit Fahrrad. Geht nicht, meinte das Amt: kein Waschbecken, keine Toilette. Ein Klo am Fahrrad? Das muss man sich mal vorstellen. Und das ist in Deutschland auch so verinnerlicht. Es ist Rauchverbot und alle halten sich daran. In Spanien ist auch Rauchverbot, aber alle sitzen rum und rauchen.

Am neuen Album gibt es den Track "Zerstör Die Disco". Da geht es aber weniger um Clubs, sondern um deutsche Politik. Die Songzeilen lauten: "Zerstör die Disco ..."

"...zerstör die Bank, zerstör das Bundeskanzleramt". Ich finde es unglaublich, was da momentan läuft. Es erinnert an den Satz: „Am deutschen Wesen soll die Welt genesen“. Ich glaube, die Deutschen haben überhaupt keine Ahnung, wie sehr ihr Ansehen in Europa mittlerweile wieder gesunken ist. Es werden anderen Kulturen Bedingungen aufgezwungen, die absolut nicht tragbar sind. Das geht nicht, dass man sich fragt, wer sind die Ärmsten der Armen? Ach, die Einbeinigen! Die müssen ab jetzt ihre Krücken selbst bezahlen! Ha! Was fällt der EU ein? Erhöhung der Mehrwertssteuer, Kürzung der Renten, Erhöhung der Strompreise. Der politische Wille müsste eigentlich vor der Wirtschaft stehen. Aber den gibt es gar nicht mehr. Seit Reaganomics und Thatcherism hat sich der Staat von seinen wichtigsten Aufgaben zurückgezogen und sie dem Markt und der Finanz überlassen. Aber Haupstsache man darf nicht mehr rauchen.

Gabi Delago

Christian Lehner

Ist der Song "Zerstör Die Disco" unter dem Eindruck der aktuellen Krise entstanden oder so eine generelle Sache?

Ja, das ist eine direkte Reaktion. Der Song ist noch sehr neu. Ich hatte zuerst nur die Zeile "Zerstör die Bank", weil ich auch ein Freund von Occupy bin. In Spanien ist das sehr groß. Da enstehen neue politische Bewegungen, die mehr direkte Demokratie fordern. Es ist übrigens eine Unverschämtheit, wie das in Deutschland dargestellt wird. Da heißt es, dass wieder 250.000 Menschen gegen die Krise demonstriert hätten, dabei geht es um Mitsprache von Bürgern und unabhängigen Institutionen und gegen die etablierten Parteien. Im Deutschen Grundgesetz steht, dass für die politische Willensbildung die Parteien zuständig sind und das ist eine Unverschämtheit.

Wie erlebst du die Stimmung in Spanien? Das Land steht ja auch unter Druck. Wie wirken sich die verordneten Sparmaßnahmen auf den Alltag aus?

Viele Läden sind pleitegegangen. Die Arbeitslosigkeit ist sehr hoch. Man spürt das überall. Es sind aber auch zwei neue Parteien entstanden, die vorher fast undenkbar waren. Die Podemos hat auf Anhieb an die 20% bekommen. Das ist eine Syriza-ähnliche Linkspartei, die aber viel moderner ist, auch was die Mittel der Beteiligung betrifft. Und dann ist da noch Ciudadanos. Das war vorher eine 3%-Partei und die hat jetzt einen Riesenauftrieb. Die sind vor allem gegen Korruption und Vetternwirtschaft und für Transparenz. Sie streamen sogar ihre Koalitionsverhandlungen, damit man sieht, dass da nicht um Posten geschachert wird, sondern dass es um Inhalte geht. Beide Parteien kommen zusammen auf gut 30%. In diesem Jahr stehen in Spanien ja noch die Parlamentswahlen an. Es ist gut möglich, dass es auch dort zu einer Linksregierung kommt.

Am neuen Album gibt es den Song "Begrüßungsgeld". Du selbst bist als Kind von Spanien nach Deutschland gekommen. Wie war das damals für dich?

Ein Kulturschock! Es war kurz vor meinem neunten Geburtstag im Winter. Ich hatte noch nie Schnee gesehen. Ich hatte noch nie meinen Vater gesehen, denn der floh ja schon früher. Da war also dieser fremde Mann und um mich herum nur "ZackRackZuckenSchlock"! Daher auch mein besonderer Bezug zur deutschen Sprache. Der Blick von außen. Da hab ich schon früh erkannt, dass es viele verschiedene Wahrheiten gibt. In Deutschland heißt es: Wer den Pfennig nicht ehrt, ist des Talers nicht wert. In Spanien ist es umgekehrt. Wenn dort ein Pfennig auf den Boden fällt, sagt man: Bück dich nicht! Das bringt Unglück. So kommst du nie an Geld. Aber der Klang der Sprache hat mich natürlich fasziniert. Noch heute fragen mich spanische Verwandte: Sag doch mal was auf Deutsch. Ich dann: Guten Tag! Sie so: Das war doch nicht Deutsch!. Und ich sage dann: Krrrafffftfahrrrrzeug!!! Und sie dann: Ja! Das ist richtiges Deutsch! Das ist der Comic zur deutschen Sprache. Das ist aber auch die Verdichtung der deutschen Sprache.

Und für dich perfektes Material für die Texte.

Die deutsche Sprache hat so viele Silben und Konsonanten. Es ist so sperrig für einen Sänger. Und die kürzeste Form ist nun mal der Imperativ, deshalb gibt es in meinen Texten so viele Befehle (lacht). Ich habe mich schon früh für expressionistische Dichtung interessiert, Gottfried Benn und solche Sachen, die Befreiung der Sprache von der Syntax. So lassen sich viel bessere Bilder zeichnen. Damit kann man machen, was man will.

Der prototypische Song dafür ist sicher nicht nur für mich "Der Mussolini (Tanz Den Mussolini)". Was dieser Track seinerzeit mit mir angestellt hat, ist kaum zu beschreiben. Kannst du dich noch erinnern, wie der Text entstanden ist?

Ich hatte eigentlich nur das Wort Mussolini im Kopf. Ich bin ein Stand-up Poet. Die Texte entstehen beim Singen. Da schwirren Worte im Kopf herum, die ich sexy finde. Und Mussolini, mit dem Doppel i am Ende, ist sehr sexy. Einfach lautmalerisch. Und als ich dann in der Aufnahmekabine stand, sang ich erstmals nur: Mussolini! Mussolini! Und dann: TANZ DEN MUSSOLINI! Und dann dachte ich mir, da musst du jetzt alles sagen, also auch Tanz Den Adolf Hitler, Tanz den Jesus Christus. Tanz den Josef Stalin war auch drin im Originaltext. Später hab ich das dann verdichtet. Dieses schöne Wort Dichtung! Das heißt, dass man Unnötiges weglässt, damit es eine größere Kraft erreicht.

Heute kann man sich das kaum vorstellen, aber der Song sorgte bei seiner Veröffentlichung für einen Riesenskandal. War euch das sofort bewusst, was für ein Ding ihr da gelandet habt?

Ja, schon. Ich kam aus der Kabine und der Conny Plank (deutsche Produzenten-Legende, Anm.) hat gefeixt und der Robert Görl (DAF-Partner von Delgado, Anm.) hat gelacht. Wir wussten sofort, dass wir da eine Bombe hatten und wir haben uns riesig gefreut. Das waren damals extrem verbotene Worte. Du musst dir vorstellen, ich bin in den siebziger Jahren zur Schule gegangen. Da wurde wochenlang über Karl den Großen und die Napoleonischen Kriege gesprochen, aber die Nazizeit war bloß eine Doppelstunde. Und dann hieß es: Das war schlimm, das war der Horror! Und ihr müsst euch dafür schämen! Wir Kinder, die nix damit zu tun hatten. Und dann kam Adenauer, das Wirtschaftswunder, also das alles in 90 Minuten. Das totale Tabu.

Die erste Single des Albums heißt "Hausarrest". Es geht um Sex unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Eigentlich ganz unmodern. Sex ist ja heute überall. Herr Sado und Frau Maso sprechen im Frühstücksfernsehen über ihre Vorlieben. Sex und Homoerotik waren immer sehr präsent in deinen Texten. Wie siehst du das heute?

Die Sexualisierung der Gesellschaft ist ein Megatrend. Im Prinzip geht es um Brot und Spiele und jetzt sind halt auch die sexuellen Spiele erlaubt.

Aber sind sie das wirklich? Bei jeder Swinger-Club-Reportage hört man, wie gut die Brötchen schmecken. Eigentlich ist das ja alles sehr spießig.

Für jemanden wie Georges Bataille war die Entäußerung in der Sexualität noch etwas Subversives. Heute ist Sex Entertainment und zwar sehr seelenloses und gefühlloses Entertainment. Machst mal den Fernseher an, kannst mal Sex haben. Für mich ist aber Sex die Sprache der Liebe, wie ich immer sage, und nicht ein Produkt, das ich kaufen kann. Interessanterweise ist ja genau das ein Tabu und findet eben nicht im Frühstücksfernsehen statt.

Und genau deshalb verordnest du dir "Hausarrest"?

Es ist die einzige Form, wie man im Sex aus sich herraus gehen kann. Das funktioniert nur in geschützten Räumen. SM hat viele semantischen Ebenen. Es gibt natürlich auch die Mediamarkt-Variante, wo man sich verkleidet und ein paar Sex Toys kauft. Das kann man sich dann zu Weihnachten unter den Baum legen, eine Peitsche und einen Vibrator dazu (lacht).

Wie lebst du eigentlich in Spanien?

Das erste Mal überhaupt wohne ich am Land. Dort bau ich Tomaten, Paprika und Oliven an. Es ist sehr schön. Nur selten fahre ich nach Madrid zum Feiern. Ich male viel und fahre Mountainbike.

Das klingt beschaulich. Hätte der Gabi von 1981 über den Gabi von heute geätzt?

Ich glaube nicht ... Ich glaube nicht.