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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

2. 7. 2015 - 14:12

The daily Blumenau. Thursday Edition, 02-07-15.

Gleiches Recht für alle. Das Ausforschen der Hintergründe fürs Scheiße bauen ist wichtig auf dem Weg in die Selbsterkenntnis, aber es entschuldigt nichts.

#demokratiepolitik

The daily blumenau hat im Oktober 2013 die Journal-Reihe (die es davor auch 2003, '05, '07, 2009 und 2011 gab) abgelöst. Und bietet Einträge zu diesen Themenfeldern.

Die im Zusammenhang mit der Grazer Amok-Fahrt wirklich interessanten Fragen auf chronikaler Ebene werden nur partiell gestellt. So nutzen zwar (und auch zurecht) die unterfinanzierten Beratungseinrichtungen für Wegweisungs-Fälle den Fall um ihre Bedeutung aufzuzeigen, die Säumigkeit der Behörden, die um das Gewaltpotential des Täters Bescheid wussten, bleibt aber seltsam deutlich unhinterfragt. Ebenso wie das Nicht-Eingreifen der nächstliegenden Polizei-Kommissariats während der Amok-Fahrt.

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Ich brauche immer lange, bis mich Chronik-Phänomene erreichen. Von der Familien-Interview-Nachberichterstattung rund um die Grazer Amokfahrt hab' ich heute in einer Zeitung von gestern Kenntnis erhalten, die über eine Veröffentlichung von Montag sowie die mediale Umsetzung räsoniert.

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In diesen Reaktionen (denn daraufhin hab' ich ein wenig quergeforscht, was da so kam) auf das sehr trollend-anonymisierend angelegte und sehr männliche Maschinen-Attentat dominiert eine trotzige Grundhaltung: dass es nicht anstehe die Verfasstheit des Täters zu besprechen, auszuleuchten, gar verstehen zu wollen. Es wäre unfair den Opfern gegenüber.

Das ist gleichzeitig falsch, obszön, dumm und richtig.

2a

Falsch ist es, weil sich auch aus dem Einzelfall eine Menge lernen ließe. Sich darauf zu verlassen, dass das Klischee 'Schläger-Macho-Ehemann, dessen Ego eine offizielle Wegweisung nicht verkraftet' schon hinhauen wird, ist ein wenig dürftig. Und obwohl es wirklich scheißegal ist, welche Religion oder Ideologie, welche Tradition oder Verblendung die Basis für eine solche Denke legt (denn in dieser Hinsicht stehen einander die Muster in Abend- und Morgenland um genau nichts nach) schadet ein wenig Faktenwissen auch hier nicht. Und sei es nur dazu, um dem spekulierenden Ekel-Boulevard eine überziehen zu können.

2b

Obszön ist es, weil eine Verurteilung ohne Hintergrund-Wissen immer auch etwas von Türsteher-Politik hat. Oder mit der Selektion an der Rampe. Wobei die Türsteher durch ihren professionellen Zugang zumindest eine bessere Grundkenntnis haben, als die naiven Empörungs-Amateure, die nach solchen großen öffentlichen Fällen sofort unterwegs sind.

2c

Dumm ist es, weil die Frage nach dem "Warum?", die immer sofort als allererste und flächendeckend auftaucht - auch als allerliebstes Symbolbild, manchmal von den Boulevard-Redakteuren selber hingeschrieben, ohne einen genauen Blick gar nicht beantwortet werden kann. In die Obszönität kippt das, weil die Warum-Frage zu allermeist gar nicht seriös, sondern nur als Lynch-Folklore gestellt wird.

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Richtig ist es, weil Verfasstheit keine Ausrede sein darf. Eine Mordfahrt bleibt eine Mordfahrt. Letztlich ist es egal, was Mengele in seiner Kindheit erlebt hat oder ob der Samen des potentiell Bösen in eine ganze Generation gelegt wurde (Stichwort Bosnien-Krieg): es obliegt immer dem Einzelnen damit verantwortlich umzugehen, sodass am besten eben kein Amoklauf oder kein Massenmord dabei rauskommt. Den allerallermeisten gelingt das ja auch.

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So wird die Frage nach dem "Wie konnte das passieren?" zu einer Angelegenheit, die differenziert zu betrachten ist. Etwas, was die amateurhafte Redaktionsgesellschaft und der im speed kills-Teufelskreis gefangene Journalismus nicht beherrschen; wollen bzw. können. Und auch nie konnten, liebe Früher-war-alles-besser-Op/mis: einzig die erhöhte Sichtbarkeit der social-media-Stammtische macht den Unterschied.

Die Frage stellt sich, weil ihre Beantwortung interessant, weil die Beschäftigung fruchtbar ist.

Eines wird sie aber nicht sein können, egal wie die Antwort lautet: entschuldigend.

Das einzige, was danach hilft ist die Verantwortungs-Übernahme, das Bekenntnis.

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Damit nicht der Eindruck erweckt wird, dass ich hier ausschließlich von Schwerst-Taten spreche: letztlich gilt das für alles. Wenn ich Scheiß baue (und niemand baut keinen Scheiß, also betrifft das alle), ist es - vor allem für mich und meine weitere Entwicklung, aber auch für den Umgang mit der näheren Umgebung - selbstverständlich wichtig auf das Warum draufzukommen. Schon einmal um den hinkünftigen Scheiße-Bau zu verhindern, aber auch um ein Zeichen zu setzen. Und sich so gegen das Beharren auf die Richtigkeit von fortgesetztem Scheiße-Bau, die Schuldzuschreibung an Einflüsse, Hintergründe oder gar "die Gesellschaft" und andere realitätsverweigernde Nicht-Maßnahmen auszusprechen; allesamt Denk-Zustände, die zumindest in Österreich recht tief verankert sind.

Entschuldigen können nur wir Scheiße-Bauer uns selber. Es von jenen zu fordern, die uns verbittert oder in unserem Wohlbefinden so gestört haben, dass es (unserer Analyse nach) dazu kam, ist unzulässig. Für unser Leben und unsere Taten sind wir final selber verantwortlich.

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Der Bereich, in den diese Einsicht nicht und nicht vordringen will, und wo sie sowohl aktiv ("die anderen mögen sich dafür entschuldigen, dass ich so asozial bin wie ich bin!") als auch passiv ("man muss schon verstehen, wie diese Menschen dorthin getrieben werden!") unter einem seltsam-österreichischen Naturschutz stehen, ist der der verbalen Amokfahrer dieser Tage und Wochen. Die eh schon immer und vor allem in den letzten Jahren da waren, sich aber im Rahmen des aktuellen Dammbruchs so schnell vermehren, wie Fans des ÖFB-Teams. Auch die spüren, dass der verstärkte Zulauf, die Zugehörigkeit zu einem zunehmend machtvolleren Kollektiv eine geile Sache ist.

Dem Kollektiv der Hetzer, der Hass-Poster, der Verantwortungs-Outsourcer, derjenigen, die ihre politische Verantwortung schon mit einer Proteststimme erfüllt sehen, schlägt jenseits einer automatisierten Arschloch!-Erstreaktion dann sofort ein Helfersyndrom entgegen, in dem die Opfer/Täter-Strukturen aufgelöst, die Beweislastumkehr eingeführt und der inhaltliche Amoklauf schnell mitentschuldigt wird.

Es seien verirrte Schafe, die wieder in eine Herde zurückgeführt werden müssten, Menschen, deren Sorgen man ernst nehmen müsse.

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Fakt ist: auch in diesen Fällen ist es letztlich völlig egal, warum verbal Amok gelaufen wird. Die Gründe dafür sind interessant; entschuldigen tun sie nichts.

Nicht beim enthemmten Amokfahrer, nicht beim Schreibtisch-Mörder, nicht beim Pensionisten, der den Bettler als Gfrast anschreit, der das Geld hätte, das ihm fehlen würde, nicht bei der Frau in der Warteschlange, die sich vordrängt und den Hinweis auf die Unrechtmäßigkeit ihrer kleinen asozialen Handlung mit dem Hinweis auf das ausländische Aussehen der Hinweisgeberin kontert, nicht beim xenophoben Propagandisten, nicht beim parteipolitischen Kleingeldwechsler und nicht beim Hängt-ihn-Höher Lynchmob-Fan.

Wer Scheiße baut und es nicht in den Weg der Selbsterkenntnis schafft, sondern als Täter in einer Opfer-Pose verharrt, kann keine Vergebung einfordern.
Genau das, eine andauernde Vergebung via Verständnis-Aufbringung bekommt der suderantische Teil des Landes, der alte Leserbrief-Schreiber, der sich jetzt halt auch in andere öffentliche Bereiche traut, und dessen verbalen Aussetzern über kurz oder lang auch physische Übergriffe folgen werden, die dann in Anschläge und aktive Gewalt münden werden.

Diese Fremd-Rechtfertigung tut nichts außer den Opfer-Status und den Realitätsverlust zu stärken.

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Mich interessiert dieses Warum sehr. Beschäftigt mich schon mein ganzes Leben - auch weil ich einen direkten Bezug zur Vergangenheit, des unentrinnbares Nazi-Erbes, aber auch schon der xenophoben Zwischenkriegszeit und gar der diesbezüglich amoralischen Monarchie davor sehe. Ich werde sicher nicht aufhören mich damit auseinanderzusetzen und das, was da kommt, zu erforschen.

Es gilt aber gleiches Recht für alle.

Das Ausforschen der Hintergründe fürs Scheiße bauen ist wichtig auf dem Weg in die Selbsterkenntnis, aber es entschuldigt nichts; und niemanden.