Erstellt am: 3. 7. 2015 - 16:05 Uhr
Kanye haters gonna hate
"People talk so much shit about me at barbershops they forget to get their hair cut"
("Everything I am" Kanye West)
Jedes Mal, wenn Kanye West seinen Mund zum Reden, Rappen oder, am schlimmsten, zum Singen aufmacht, dreht ein Haufen Menschen durch. Die Facebook-Feeds werden mit Artikeln, Memes und den negativsten der negativen Kommentare geflutet. Bestes Beispiel: das schwachsinnige Drama vor, während und nach seinem Glastonbury-Auftritt vom letzten Wochenende.
APA/EPA/HANNAH MCKAY
Früher war es in solchen Zeiten besonders schwer, Kanye-Fan zu sein, aber irgendwann stellt sich dicke Haut ein. Und man ignoriert die Posts auf Facebook, Reddit und an den Wänden von öffentlichen Klos. Man lernt, sich nicht mehr auf Diskussionen mit Betrunkenen einzulassen und meidet Menschen, die auch nur ansatzweise so aussehen, als hätten sie eine "Früher war alles besser"-Attitüde. Aber manchmal wird es auch dem stoischsten Yeezy Militia Soldat zu viel.
Die Reaktionen aufs Glastonbury sind ein solches Beispiel, hier übersteigt der Shitstorm der Shitheads die Schmerzgrenze weiter, als Kanyes Ego groß ist. Anstatt sich dem wichtigen und richtigen Diskurs um Kanyes Person zu widmen, nämlich ihn als Musiker, Tastemaker, Popkultur-Phänomen und zweite Wiederkunft Christi zu diskutieren, betreibt man lieber plumpes Slutshaming mit einem Fähnchen.
Haben die Hater überhaupt jemals einen Auftritt Kanyes gesehen? Oder unterschreiben sie die Petitionen (die es übrigens auch schon als Reaktion zu Jay-Zs Glastonbury Auftritt gab und die es bei jedem Act, der nicht mit einer Gitarre anrückt, geben wird), nur weil er ein großer schwarzer Mann ist, der mal gemein zu einem kleinen weißen Mädchen war? Kanye West hat sich übrigens bei TSwift entschuldigt, die hat ihm verziehen und einen Karriereboost erlebt und er schenkte uns, dem gemeinen Volk, noch My Beautiful Dark Twisted Fantasy zur Wiedergutmachung. Trennt euch von der falschen Betroffenheit rund um die VMAs Geschichte von 2009, so wie es auch Babies irgendwann schaffen, sich vom Schnuller zu entwöhnen.
"Er ist aber nicht der Größte!"
Wenn Kanye sagt, er sei der größte Rockstar unserer Zeit, dann stimmt das auch. Ob man ihn mag oder nicht, ist völlig egal. John Lennon wird für seinen Jesus-Vergleich vergöttert, aber Kanye für "I am a God" gesteinigt. Und wenn Yeezus live beim Benefizmarathon zum Hurricane Katrina Tourette-artig "Bush doesn’t care about black people" von sich gibt, dann ist das sogar noch mehr Rock'n'Roll als ein Hühner snackender Alice Cooper oder Ozzy und seine Fledermäuse.
"Es ist nur Tschimbum"
Anstatt sich an den Vorsatz des frühen Ablebens zu halten, versucht Pete Townshead gegen den Jungspund mit seiner "Tschimbum-Musik" zu wettern. Und so wie er sehen die meisten der anderen Kanye Hasser auch aus, verkleidet als alte (weiße) Männer schütteln sie die Faust und verlangen, dass man ihren (Festival)Rasen sofort räumt. Damn Kids!
Aber wer auf alte Leute hört, ist selbst Schuld und definitiv nicht Rock’n’Roll, sondern eher die Rock’n’Roll Greatest Hits CD, die in den Lagern der Teleshoppingsender verstaubt.
"Er spielt aber keine Instrumente!"
Äußerungen wie "das ist keine Musik" oder "er spielt keine Instrumente" sind schon so jenseitig ignorant, dass man sie eigentlich auch nur ignorieren sollte, aber gut, fangen wir einfach nochmal von ganz vorne an: Wenn ich mit einem Stein auf ein Rohr schlage, dann ist das Musik. Ob du die Single davon kaufst, ist eine andere Sache, aber Musik ist es per definitionem allemal. Und wenn man das "nur auf Knöpfe drücken und Samples übereinanderlegen" mit "Strang mit dem Daumen zum Vibrieren bringen und mit einem Stock auf ein Tierfell hauen" vergleicht, dann sollte klar werden, dass es nicht um das Was sondern das Wie geht.
Ob der Ton aus einem Gegenstand aus Holz oder einem aus Kabel und Aluminium kommt, ist doch egal.
Jedesmal wenn Kanye irgendwas tut - und sei es Gähnen ohne sich die Hand vorzuhalten - bricht ein Scheißemonsun über uns herein und jedesmal auf’s Neue frage ich mich, warum studierte Mittelschicht-Kids auf den Zug mit aufspringen.
Kanye, der Mittelschichts-Rapper
Kanye ist neben Drake der Mittelschichts-Struggle-Rapper schlechthin, sein "College Dropout" sollte jedem Schüler mit der Matura ausgehändigt werden. Kanye Omari West hatte eine Professorenmutter und ein Kunstuni-Studium mit Stipendium, das er abbrach, weil er keinen Bock auf den Nebenjob im Gewandladen hatte und hoch hinaus wollte. Welcher Mitte Zwanzigjährige denkt denn nicht von sich, man sei eine ganz besondere Schneeflocke, einzigartig und talentiert? In Kanyes Fall stimmte das auch und er produzierte unzählige Beats, um die sich alle rissen.
Als er den nächsten Schritt und ein eigenes Album mit eigenen Raps machen wollte, glaubte nicht mal Jay-Z - für den er unter anderem "Izzo (H.O.V.A.)" und "Takeover" produzierte - dass der Junge mit den rosa Polos im von G-G-G-G Unit dominierten HipHop-Markt Erfolg haben könnte. Doch als Kanye damit drohte, seine Beats einzupacken und woanders hinzugehen, klappte es doch mit dem Roc-A-Fella Records-Vertrag. Wem wurde nicht schon mal "Schuster bleib bei deinen Leisten" gesagt und man hätte sich gewünscht, wie Kanye, einfach "nein" zu sagen und sein Ding zu durchzuziehen?
Also warum all der Hass, statt die Sache mit einem "mag ich nicht" abzutun? Ist es, weil sich der innere Spießer in den Hatern nur glattpolierte Musiker wünscht, die nur 'Bitte' und 'Danke' sagen, alle anderen lieb haben und bei jedem Wort, das sie sprechen, im Hinterkopf haben, dass es in fünf Minuten überall auf Twitter verbreitet werden könnte? Oder macht euch der große schwarze Mann im Hosenrock mit großem Selbstvertrauen und Selbstliebe, der versucht, Americana und Mainstream-Kultur für sich neu zu besetzen einfach zu viel Angst?