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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

1. 7. 2015 - 15:36

The daily Blumenau. Wednesday Edition, 01-07-15.

Die neue Normalität im Frauen-Fußball.

#fußballjournal15 #gendermainstreaming

The daily blumenau hat im Oktober 2013 die Journal-Reihe (die es davor auch 2003, '05, '07, 2009 und 2011 gab) abgelöst. Und bietet Einträge zu diesen Themenfeldern.

Das führende Frauen-Fußball-Blog, ballverliebt.eu mit einer Geschichtsaufarbeitung, einer Preview für die WM und einer Zwischenbilanz vor der K.O.-Phase. Und da die Standard-Analyse vor den letzten Vier.

Endlich sagt's eine, endlich gibt es ein Nationalteam zu, wie hier die Norwegerinnen: sie können's einfach nicht, das Fußballspielen. Zu große Plätze und Tore für die kleinen Frauen, zu große und schwere Bälle, zu geringe Fähigkeiten, körperlich und geistig, keine Ahnung von der Abseitsregel und lesbisch auch noch, praktisch eh alle.

Das Frappante an dieser süffisanten Parodie ist die Tatsache, dass all diese Argumente auch schon aus den Mündern der (selbsternannten) wohlmeinendsten männlichen Fußball-Auskenner geflossen sind. Ernstgemeint sowie unbedacht und ignorant, weil auf einem alten Zerrbild von vor zehn oder fünfzehn Jahren fußend.

Das Gute an diesem schönen Stück satten Sarkasmus ist die Tatsache, dass die aktuell laufende Frauen-Fußball-WM alles, aber auch alles widerlegt. Und das nicht nur, wie die letzten Großereignisse, für eine schmale Elite: die Spitze ist in der Breite angekommen beim Woman's Soccer.

1. Die Größenverhältnisse haben sich normalisiert

Wenn das US-Team oder die spielerisch überragenden Französinnen über die kanadischen Kunstrasen-Plätze fegen, dann sind Mitzitter-Ängste vergangener Zeiten passé. Von physisch präsenten Mannschaften wie Deutschland oder England gar nicht erst zu reden. Und selbst körperlich nicht gerade überragende Mannschaften wie Japan (oder Brasilien) haben längst gelernt die Räume zu gestalten.

Wo es früher gängiges Rezept war viel und genau (nicht so sehr scharf) zu schießen, weil die Torhüterinnen bestimmte Zonen ihrer Tore gar nicht verteidigen konnten, dominiert jetzt die herausgespielte Torchance - auch weil die verbesserte Athletik den Schützinnen mittlerweile die Zeit für Ballannahme und Abspiel dramatisch minimiert hat.

2. strategische Finesse überwindet Sicherheitsdenken

Das Aus für Team Deutschland, die personell vielleicht bestbesetzte Mannschaft der Welt, die im ersten Halbfinale dieser WM heute Nacht an klar besseren Amerikanerinnen scheiterte, nachdem sie sich im Viertelfinal gegen ebenfalls klar bessere, aber im Abschluss zu ineffektive Französinnen noch durchsetzen konnten, zeigt eine Grenze auf, deren Level künftig nicht mehr unterschritten werden kann.

Coaching à la Silvia Neid, vorsichtig und altbacken à la Vogts/Ribbeck/Völler, wird nie mehr zum Erfolg führen können - ebenso wie die skandinavischen Sundhage-Zeiten passe sind. Die deutlich hochwertigere taktische Einstellung mit der vor allem Frankreich, aber auch das in seinen Mitteln (recht klassisch) beschränkte England, sowie die auf allen anderen Ebenen noch zu schwachen Kanadierinnen oder die bereits vor vier Jahren zum Titel gekommenen Japanerinnen sich ihre Wege bahnen, setzen die Standards für die Zukunft des Frauen-Fußballs.

Deutschland braucht einen Klinsmann/Löw-Schub - ob der schon mit der Neid nachfolgenden Steffi Jones kommen kann, bleibt dahingestellt: der DFB hat sie wohl aus symbolpolitischen Gründen nominiert; Maren Meinert oder Ralf Kellermann ist sie keine/r.

Der DFB könnte Gefahr laufen gemeinsam mit Schweden und Norwegen, den großen Pionierinnen des Sports, in die zweite Reihe abzutauchen, ein Schicksal, wie es das bei den Frauen im strengen Aufwind befindliche England im Männer-Fußball leidvoll erlebt hat.

3. Hetero-Ikonen überpowern Lesbian Chic

Offensiv-Star bei Team USA (der Mannschaft, die eigentlich den Titel holen müsste; man ist sowohl Japan als auch England eigentlich klar überlegen) ist nicht mehr Abby Wambach, sondern Alex Morgan. Nicht nur weil Wambach nicht hundertpro fit ist/war, sondern auch weil die Rekord-Torschützin einfach nicht mehr dem Mainstream-Ideal der Vermarktbarkeit entspricht. Wambach ist mit einer anderen Frau verheiratet, Morgan mit einem populären Sportler-Mann. Also kommt sie in die Bikini-Ausgabe von Sports Illustrated. Und auch eine kontroverse Figur wie Torhüterin Hope Solo wird vorrangig über ihre Heterosexualität definiert.

Der einst als Lesbensport gelabelte Frauen-Fußball hat auch in dieser Hinsicht den Mainstream erreicht: alles ist möglich, nichts regt mehr auf. Der öffentliche Blick verlagert sich aber in Richtung herkömmlichen Schönheits-Idealen entsprechenden Hetero-Frauen. Insofern ist die DFB-Symbolpolitik um Steffi Jones wiederum ein bewusster Akt.

4. das nächste mal spielt Österreich auch mit

Die zweite bis dritte Reihe in Europa, dem Kontinent mit der dichtesten Niveau-Etablierung des Sports, ist enger zusammengerückt. Zwar zahlten die Schweiz, die Niederlande und vor allem Spanien (die unter einem nachher weggemobten Diktator) einiges an Lehrgeld, aber ebenso wie bei den Teams aus Italien, Dänemark oder Russland ist eine rasante Aufwärtsentwicklung zu beobachten. Die alte Hierarchie mit Deutschland-Schweden-Norwegen wird also nicht nur durch die neue Achse Frankreich-England bedroht.
Und hinter diesen turnierreifen Nationen lauern dann weitere Aufsteiger aus dem Niemandsland; wie Österreich. Das in der WM-Quali Gruppen-Zweiter wurde und sich für die Euro 2017 bereits qualifizieren sollte - man ist immerhin 14. der Setzliste gewesen.

Die Gründe für den Aufschwung sind - hallo Normalität auch hier - die letztlich selben wie bei den Männern: zum einen hat der ÖFB sich konzentriert und ein Gesamt-Konzept entwickelt, zum anderen gibt es mittlerweile sogar zwei Vereine, die international mitspielen können (Achtelfinale der Frauen-Champions League für Neulengbach, heuer muss St. Pölten nachziehen). Außerdem wächst die Anzahl der Legionärinnen stetig. Die sind vor allem in Deutschland vorzufinden. Und es ist auch kein Zufall, dass die stärkste Kolonie österreichischer Kickerinnen beim deutschen Überraschungs-Meister Bayern München lernt, wo der junge Thomas Wörle bahnbrechende Arbeit leistet.

5. Normalität also in allen Bereichen:

... auch in seiner negativen Ausprägung, der anschwellenden Hetero-Normaitivität des Marktes, der aus den kickenden Frauen Gegenstücke zu Cristiano Ronaldo, am besten mit Beachvolleyballerinnen-Bodies machen will. Es würde mich nicht wundern, wenn die Durchschnittsgröße der fußballspielenden Damen in den nächsten Jahren um 5 Zentimeter steigt.

Normal mit einer Stink-Note ist bereits der Duktus der Medienberichterstattung, vor allem im stark involvierten Deutschland, egal ob Print, Netz oder TV. Die Expertinnen Nia Künzer und Kim Kulig schlagen an vermitteltem Wissen und mutigen Worten den dröge nölenden Oliver Kahn und auch den sich selber dauernd in die eigenen Gedanken fallenden Mehmet Scholl um einige Längen.

Dass die medialen Kennzahlen der Frauen-WM die der U21-EM, wo Deutschland ebenso dramatisch im Halbfinale ausschied, klar ausgestochen haben, ist nur die logische Konsequenz.

Und weil neben Europa auch USA/Kanada/Australien die asiatischen Supermächte China, Japan und Korea, in Südamerika neben Brasilien auch Kolumbien gut dabei sind, und mit Kamerun und Nigeria auch Kräfte aus dem bisher hinterherhinkenden Afrika turnierwürdige Auftritte hinlegen konnten, steht einer Glamour-Karriere eines einstmals nur spottanziehenden globalen Feldversuchs nichts mehr im Weg.

Damit sind aber auch die Tage in denen man sich verschwörerisch Geheimwissen über Frauen-Fußball zuraunen konnte, vorbei. Und das Feld als gesellschaftliche Avantgarde für die offensive Inszenierung eines lesbischen Lifestyle wird auch zunehmend eingegrenzt werden; das ist das Wesen einer mainstreamigen Popularität.