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Simon Welebil

Abenteuer im Kopf, drinnen, draußen und im Netz

4. 7. 2015 - 06:00

Scheinwelten

Die Ferienregion Ramsau am Dachstein hat letztes Jahr einen "Klettersteigführerschein" eingeführt. Was touristisch ein Erfolg geworden ist, bietet alpinistisch allerdings große Angriffsflächen.

Einen vierstündigen Crashkurs zum Klettersteiggehen als "Klettersteigführerschein" zu vermarkten hat der Tourismusregion Ramsau am Dachstein letzte Sommersaison einen veritablen Erfolg eingebracht: zahlreiche Medien haben darüber berichtet und die von Bergführern angebotenen Kurse seien nahezu alle ausgebucht gewesen, wie Elias Walser vom Tourismusverband erzählt.

Kletterneuling Chris Cummins hat den Klettersteigführerschein erfolgreich absolviert.

Kein Wunder, dass da andere Tourismusverbände neidisch werden und dieses Projekt nachahmen wollen. Die alpine Community ist darüber allerdings nicht unbedingt erfreut. "Grundsätzlich sind wir über jede Sicherheitsinitiative froh, die von Tourismusverbänden kommt, die die Berge sonst nur in Hochglanzfotos vermarkten", sagt Andreas Würtele vom Kuratorium für Alpine Sicherheit, "aber beim Wort 'Schein' stellt es uns Bergsportlen die Haare auf".

Ramsau warning

Chris Cummins

Name als Angriffsfläche

Der Name "Klettersteigführerschein", der für Touristiker als griffig und leicht merkbar gilt, ist für AlpinistInnen aus zweierlei Gründen problematisch. Erstens suggeriert er, dass man etwas ohne Schein nicht dürfe. Kein Autofahren ohne Führerschein, kein Klettersteig ohne "Klettersteigschein"? So weit dürfe es nicht kommen, meint Würtele, der sich besonders vehement gegen "Scheinwelten" ausspricht und die Bergwelten möglichst ohne Hürden erreichbar halten will. Und gerade beim Klettersteiggehen hielten sich die Unfallzahlen in "homöopatischen Dosen". Bei hunderttausenden Begehungen im Jahr gebe es durchschnittlich nur 6-7 Tote, von denen wiederum ein Teil andere Ursachen haben, Herz-/Kreislaufversagen etwa.

Am Wort "Schein" stoßen sich die Alpinisten aber auch aus einem anderen Grund: Der Name verspreche zu viel. Wer den Klettersteigschein bucht, könnte denken, dass er danach beliebig schwere Klettersteige gehen könne und schnell einmal in eine Situation kommen, die ihn oder sie überfordere.

"Verramschung der Ausbildung"

Bergführer Christian Stangl geht noch einen Schritt weiter. Er kritisiert nicht nur den Namen, sondern die ganze Initiative. "Der Klettersteigführerschein, wie er in der Ramsau angeboten wird, ist schon um 29 Euro zu haben. Da danke ich nur an ein Billigprodukt, an Ramsch." In dieser kurzen Zeit könne man unmöglich die Unfallproblematik beim Klettersteiggehen und die Präventionsmaßnahmen rüberbringen. Eine Grundausbildung Klettersteig müsse viel umfangreicher sein, über mehrere Tage gehen und viele Praxistage beinhalten.

Das Argument, dass ohne kompakte Kursangebote Leute dann überhaupt ohne irgendeine Ausbildung im Klettersteig unterwegs wären, lässt er nicht gelten. Eine billige Kurzeinführung könnte laut Stangl dazu führen, dass ein komplett falsches Publikum angezogen würde, das den Kurs wegen des Preises mache und dann am Berg überfordert sei.

Nicht alles so streng sehen

Friedrich Macher vom Alpenverein stößt sich zwar auch am Namen und plädiert etwa für "Basic-Kurse", wie sie sich im Winter bei der Lawinenprävention durchgesetzt haben, geht aber sonst entspannter mit dem Thema um. Der Idealzustand, dass jeder einen mehrtägigen Kurs absolviert und sich langsam an die höheren Schwierigkeiten im Berg rantastet, sei nicht bei jedem zu erreichen. "Der Klettersteigführerschein kann helfen, das Risikobewusstsein und die wichtige zentrale Bedeutung der Eigenverantwortung beim Bergsteigen zu heben."
Und es sei auf jeden Fall besser, dass jemand einen Crashkurs absolviere, als völlig unbedarft in den Bergen unterwegs zu sein.

Der Ramsauer Tourismusverband, der seine Kritiker an einen Tisch gebracht hat, will sich die Kritik am Klettersteigführerschein zu Herzen nehmen, wie Elias Walser sagt, und überprüfen, ob mit den Namen nicht falsche Bilder in den Köpfen der Gäste wachgerufen würden. Dass sie nach erfolgreichem Kurs nicht die schwersten Klettersteige gehen könnten, würde den Teilnehmern aber ohnehin schon jetzt eingeschärft.