Erstellt am: 10. 7. 2015 - 09:58 Uhr
Hilflos in Europa
Die griechische Regierung befürchtet Hungeraufstände in den zahlreichen Migrantenlagern, vor allem auf den Inseln der Ostägäis. "Die Programme (zur Versorgung mit Essen) sind ausgelaufen. Es könnte zu Revolten kommen", warnte die griechische Vize-Ministerin für Migrationspolitik, Tasia Christofilopoulou, im griechischen Parlament diese Woche. Bereits am Donnerstag gab es einen Aufstand in einem provisorischem Lager auf der Insel Lesbos. Rund . 4.000 Personen haben aufgrund ihrer Bedingungen dort protestiert und forderten ihre schnelle Registrierung, damit sie die Insel verlassen können.
Während in Griechenland das politische Tauziehen rund um die Schuldenkrise weitergeht und erneut um Sparmaßnahmen und Kredite gerungen wird, rückt die Flüchtlingsfrage in den Hintergrund. Dabei sollte eigentlich dringend eine gemeinsame Lösung mit der EU gefunden werden.
Seit Anfang des Jahres sind mehr als 77.000 Schutzsuchende über die Seegrenze gekommen. Die Mehrheit kommt aus Syrien und Afghanistan. Wegen der dramatischen Finanzlage in Griechenland nach der Schließung der Banken am 29. Juni und der Einführung von Kapitalverkehrskontrollen wird die Situation immer schwieriger. Auch für diejenigen Flüchtlinge, die auf finanzielle Unterstützung von Familie und Freunden aus dem Ausland angewiesen sind, aber keinen Zugang zum internationalen Geldverkehr durch Western Union haben, weil die Banken geschlossen sind.
In den Aufnahmelagern ist die Situation besonders schwierig. Auf der Insel Samos wurde das zuständige Catering-Unternehmen für das Auffanglager seit Monaten nicht bezahlt. Anfang der Woche hat das Unternehmen beschlossen, das Lager nicht mehr mit Nahrung zu beliefern. Die Behörden haben dann den Großteil der Insassen befreit. Die restlichen wurden von der Armee versorgt. Die Regierung versucht, den Catering-Unternehmen das Geld zu geben um weiterzumachen, doch wegen den geschlossenen Banken stockt der Prozess. Ähnlich schwierig ist die Situation auch auf der Insel Lesbos, wo täglich hunderte Flüchtlinge ankommen und in die überfüllten Auffanglager gebracht werden oder auf der Straße übernachten müssen. In einen Video, das diese Woche veröffentlicht worden ist, sind Flüchtlinge auf Lesbos zu sehen, die sich auf einen Hilfskonvoi stürzten, um Essen zu bekommen.
APA/EPA/YANNIS KOLESIDIS
Dutzende Flüchtlinge und Migranten kommen auch mit Schlauchbooten auf der Urlaubsinsel Kos an. Dort gibt es kein Aufnahmezentrum und keine staatliche Hilfe für sie. Freiwillige und humanitäre Organisationen sind die einzigen, die ihnen Hilfe leisten.
"Wir sehen hungernde Flüchtlinge", berichtet der Geschäftsführer der Menschenrechtsorganisation Pro Asyl, Günter Burkhardt, von der griechischen Insel Kos. Die Flüchtlinge werden von den Behörden der Insel weder mit Wasser noch mit Nahrung versorgt, weil der griechische Staat kein Geld mehr habe. Ähnliches hat er auch von der Insel Lesbos gehört. Er appellierte sogar an die deutschen Katastrophenhilfe-Organisationen, dort tätig zu werden, und fordert von der deutschen Regierung großzügig die Ausreise von Flüchtlingen in Griechenland nach Deutschland zu erlauben.
Was passiert eigentlich auf der Insel Kos, warum hat der griechische Staat dort versagt und wieviel Verantwortung haben die anderen europäischen Staaten, die tatenlos dieser Tragödie zusehen? Vor der Polizeistation der Insel Kos, nur ein paar Meter vom malerischen Hafen mit den teuren Yachten und den Tourismusgeschäften entfernt, stehen dutzende Flüchtlinge und Migranten. Sie warten darauf, dass sie registriert werden. Anas, ein 46-jähriger Syrer, wartet schon drei Tage. In seiner Heimat war er Universitätsprofessor. Er will jetzt so schnell wie möglich nach Deutschland, dort Asyl beantragen und seine Familie nachholen, die sich noch in der Stadt Homs befindet. Er ist sich über die Situation in Griechenland bewusst. "Wir alle hier haben kein Geld, um länger in Griechenland zu bleiben. Wir brauchen Reisedokumente, weil wir sofort weg gehen müssen", so Anas.
Mehr als 10.000 Schutzsuchende sind seit Anfang des Jahres auf der kleinen Insel angekommen. Letztes Jahr waren es insgesamt 3.000. Die meisten von ihnen kommen aus Syrien. Nicht der Staat, sondern eine Bank hat ein Pleite gegangenes Hotel bereitgestellt, damit sie unterbracht werden. Dort gibt es aber keinen Strom und nur beschränkt Wasser. Ärzte ohne Grenzen und der UN-Flüchtlingsrat sind vor Ort. Eine lokale Freiwilligengruppe versorgt die Flüchtlinge mit Essen, das sie wiederum von Hotels auf der Insel bekommt.
"Dieses ehemalige Hotel, das zu einem echten Flüchtlingslager verwandelt wurde, ist schmutzig, überfüllt und nicht sicher. Die Bedingungen sind völlig inakzeptabel!", betont Ärzte ohne Grenzen. "Nicht die Ärzte ohne Grenzen und lokale Freiwillige sollten diese Hilfe leisten. Der griechische Staat und der Rest Europas sollten sofortige Maßnahmen umsetzen, um ein funktionales Aufnahmesystem zu schaffen, das menschenwürdige Lebensbedingungen gewährleistet und eine schnelle Lösung für diese Notsituation findet", heißt es weiter.
Die Mitarbeiter der Organisation melden, dass wegen der Kapitalverkehrskontrollen sowohl die lokale Freiwilligengruppe als auch die Flüchtlinge selbst sehr schwierig Zugang zu Bargeld haben, was die Versorgung der Schutzsuchenden erschwert. Die Hotels gewährleisten immer noch Nahrung für die Flüchtlinge, doch die Mengen, die benötigt werden, werden wegen der vielen Ankünfte immer größer.
Das Sterben an den Grenzen Europas geht weiter. Ein Segelschiff ist am Dienstag zwischen Farmakonisi und Agathonisi in der östlichen Ägäis gesunken. An Bord befanden sich mindestens 33 Menschen. Fünf von ihnen wurden tot aufgefunden. Vermisst werden mehr als 15 Personen.
Nahe der Polizeistation befindet sich das Rathaus von Kos. Der Vizebürgermeister der Insel, Ilias Sifakis, versucht zu erklären, warum die lokalen Behörden der Insel den Flüchtlingen nicht helfen können: "Wir haben nicht einmal die Möglichkeit, medizinische Versorgung zu leisten, weil wir keine Ärzte einstellen können. Das einzige, was wir machen können, ist, die Regierung über das Problem zu informieren und Druck auszuüben - und dies tun wir seit vier Monaten."
Es ist später Mittag vor der Polizeistation. Immer noch stehen dort Schutzsuchende und warten unter der brennenden Sonne. In den kleinen Gassen daneben tummeln sich Touristen Vor ein paar Wochen haben sich in britischen Medien Urlauber über das Flüchtlingselend beschwert, das sich vor ihren Augen auf der Insel abspielt. Olaf, ein Tourist aus Deutschland, meint, dass der Rest Europas Griechenland mit dem Problem alleine gelassen habe. Die Diskussionen, die geführt werden, was jetzt mit den Flüchtlingen passiere, seien schlimm, findet Olaf. Europa trete zwar als vereintes Europa auf, handle aber nicht so. "Keiner übernimmt wirklich Verantwortung, jeder will sie auf den anderen abschieben, und treffen tut es Griechenland, das wohl nicht zu den wohlsituierten Ländern gehört."