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Chrissi WilkensAthen

Journalistin in Griechenland

30. 6. 2015 - 13:58

Athen vor dem Referendum

Die einen protestieren weiterhin gegen die geforderten Sparmaßnahmen, die anderen haben Angst vor einem "Nein" der Griechen beim kommenden Referendum.

Vor vier Jahren stand Anna schon einmal an dieser Stelle. Es ist Montagnachmittag auf dem Syntagma-Platz vor dem Parlament. Heute wie damals protestieren Tausende gegen die Sparvorlagen der Gläubiger. Nun aber ist die Linke an der Macht. Das gibt der 50-jährigen Frau Hoffnung, dass diesmal die Stimme der Menschen respektiert wird. Und dies, obwohl die Banken geschlossen sind, Kapitalverkehrskontrollen eingeführt wurden und immer mehr EU-Politiker darauf hinweisen, dass am kommenden Sonntag die GriechInnen eigentlich über ihren Verbleib in der Eurozone entscheiden.

Proteste in Athen

APA/EPA/FOTIS PLEGAS G.

"Ich bin begeistert, dass ich an einem Referendum teilnehmen darf, mit der wichtigen Fragestellung, ob wir weiterhin einer ausweglosen Sparpolitik folgen oder uns für eine andere Politik entscheiden." Neben Anna steht ihr Bruder. Er ist seit Jahren arbeitslos. Anna muss ihn und seine Familie finanziell unterstützen, damit sie überleben können. "Es hat lange gedauert, aber jetzt haben die GriechInnen entschieden, dass es so nicht mehr weitergeht. Und es gibt kein Zurück mehr zur alten Politik. Wir werden siegen!", sagt er.

Ein paar Meter weiter steht Petros. Er hält ein rotes Plakat. "100% gegen alle Sparmaßnahmen", steht darauf. Die Menschen sind erschöpft von der Sparpolitik und sie sind verärgert, weil die Gläubiger noch mehr Sparmaßnahmen umsetzen wollen. "Die Menschen haben keine Angst mehr. Denn viele haben alles verloren und wenn man alles verloren hat, hat man keine Angst."

In einem Park, ein paar hundert Meter weiter, sitzt ein älteres Paar. Sie werden am Dienstag bei der Demonstration vor dem Parlament auf dem Syntagma-Platz teilnehmen. Dort werden sich diejenigen versammeln, die für die Sparvorschläge abstimmen möchten. Die 70-jährige Evi hat enorme Angst vor den Entwicklungen in Griechenland und dem Ausgang des Referendums. "Diese Regierung ist skrupellos. Sie sind an der Macht gekommen mit den einzigen Ziel, uns aus dem vereinten Europa rausbringen!"

Ihr 85-jähriger Ehemann Platon ist gelassener. Die EU-Partner werden uns nicht aus der Eurozone fliegen lassen, beruhigt er sie. "Die Wahrheit ist, dass als wir in der EU eingetreten sind, es ein Europa der Gleichheit gab", sagt Evi melancholisch, "Jetzt gibt es den Norden und den Süden. Das ist schlimm. Aber so ist es halt. Wir haben keine andere Wahl." Eigentlich wollte sie zu den Demonstrationen nebenan gehen und die Leute fragen, ob sie sich bewusst sind, was ein Nein zu den Vorschlägen bedeutet. Sie hat sich entschlossen, nicht hin zu gehen - aus Angst, dass es dann Spannungen gibt.

Auf einem kleinen Platz nebenan geht das Leben an diesem Nachmittag ganz normal weiter. Straßenarbeiten finden statt, junge Menschen sitzen in den Cafés, und im kleinen Supermarkt nebenan läuft das Geschäft wie sonst auch. Nur an den Bankautomaten kommen immer wieder Menschen und versuchen, Geld abzuheben. Doch der Bankautomat ist leer, wie die vielen anderen Bankautomaten der Stadt. Die letzten Tage haben viele Griechen aus Angst vor Kapitalverkehrskontrollen und geschlossenen Banken Geld abgehoben und ihre Angst hat sich bestätigt.

Auch Rentner Giorgos und seine Frau wollen Geld aufheben. Obwohl es nicht möglich ist, bleiben sie gelassen. Sie haben Vertrauen in die griechische Regierung, aber kein Vertrauen mehr in Europa. "Mich erschreckt, was aus Europa geworden ist. Es ist das Europa der Banken, nicht das Europa der Völker. Nach dem Zweiten Weltkrieg wünschten sich die Menschen ein Europa der Völker", so Rentner Giorgos. Neben ihm wartet Vicky. Sie ist arbeitslos und wollte ein paar Euro holen, um die die nächsten Tage durchzukommen. Auch sie ist gelassen und hat keine Angst vor dem Referendum und den Folgen davon. "Ich glaube nicht, dass wir aus der Eurozone fliegen werden, zumindest nicht gleich. Es hängt davon ab, was in den nächsten Tagen noch passiert, und von den nächsten Schritten, die beide Seiten machen werden." Medien berichten, dass es am Dienstag oder Mittwoch zu einem Treffen zwischen Griechenlands Premierminister Alexis Tsipras mit führenden Vertretern der EU und der Troika kommen soll, auf der Suche nach einer Einigung der letzen Minute.

Proteste in Griechenland

APA/EPA/YANNIS KOLESIDIS

Ein paar Meter weiter diskutieren zwei Männer die aktuellen Entwicklungen. Giannis ist Schneider und hat drei kleine Kinder. Er fühlt sich unsicher wegen der geschlossenen Banken und macht sich Sorgen über den Tag danach. "Mein Herz sagt nein zu neuen Sparmaßnahmen, mein Verstand aber sagt ja. Es ist eine schwierige Entscheidung. Bis Sonntag werde ich mich eher für ein Nein entscheiden, glaube ich."

Sein Freund Angelos hat sich schon entschlossen, mit Nein zu stimmen. Ihm bereiten die geschlossenen Banken keine Angst: "Ich glaube, dass nur diese Woche die Banken geschlossen bleiben, um den Menschen Panik zu erzeugen damit sie Ja stimmen."

In einer Metzgerei nebenan macht Besitzer Panagiotis mit den Kunden Scherze. Der 66-Jährige ist frustriert und versucht, mit Humor den Stress in den Griff zu bekommen. Er findet ein Referendum überflüssig und glaubt, dass es die griechische Wirtschaft noch mehr belasten wird. Er meint, dass beide Seiten sich anstrengen müssen, um eine tragfähige Lösung zu finden. "Das Beste wäre, eine Lösung zu finden, die auch die Griechen aushalten können. Eine Lösung, die die griechische Wirtschaft aushalten kann."

Es ist kurz vor Mitternacht. Die Demonstration vor dem Parlament geht langsam zu Ende. Anna und ihrer Bruder machen sich auf dem Heimweg. Sie ist euphorisch wegen der vielen Teilnehmer an dieser Demonstration. Doch die nächsten Tage muss sie wie alle anderen mit der Angst kämpfen. "Heute hat uns der Wirtschaftsdirektor der Firma gewarnt, dass wenn wir Nein zu den Vorschlägen beim Referendum sagen, wir bald keine Arbeitsstelle haben werden. Solche Drohungen machen mir zwar Angst. Gleichzeitig aber stärken sie meinen Willen, gegen diese Sparpolitik zu kämpfen."