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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

29. 6. 2015 - 17:41

The daily Blumenau. Monday Edition, 29-06-15.

Wo anfangen und wie weiter? Leben in der Pensionisten-Falle.

#demokratiepolitik

The daily blumenau hat im Oktober 2013 die Journal-Reihe (die es davor auch 2003, '05, '07, 2009 und 2011 gab) abgelöst. Und bietet Einträge zu diesen Themenfeldern.

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Wo anfangen?
Gezielt in die Ecke getriebenes Griechenland, toter Bacher, ewig köchelnde Koalitionskrise, brodelnde Leadership-Diskussion, ein Kanzler, der die von VP-Seite eröffnete Medien-Debatte in der Pressestunde kontert, indem er sie hintenrum aufzäumt, und Fakten in Relation gesetzt sehen will (und so einen eitlen Journalismus an seine ureigensten - aber schnöde vergessenen - Aufgaben erinnern muss), nachträgliche Information über Polit-Interventionen, die die Sichtbarkeit von nicht genehmen Beiträgen beschneiden kann, der jetzt schon absehbar-anstrengende Pseudo-Feminismus-Shitstorm, den eine Springer-Arista bei der Bachmann-Leserei ab Donnerstag lostreten wird, die unsägliche (auch durch den heldenhaften Nazar leider fortgeschriebene) Schuldzuschreibung an ein Medium per se (das wie jedes Medium, wie ein Blatt Papier oder eine Fernseh-Minute, nur genau so gehässig sein kann, wie seine Gestalter es möglich machen) um dadurch erst recht wieder die mediale Empörungs-Spirale anzuziehen und immer und immer wieder das Asyl-Drama und die verhärteten Herzen.

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Am besten bei einer Alltagsdarstellung einer schriftstellernden Pensionistin in der über den Verdacht populistischer Seltsamkeiten erhabenen Wiener Zeitung, die damit eine gemäßigte Version der aktuell in allen Userbrief-Foren und Seiten über die gebrochenen Dämme flutenden Isolationismus-Agenden zur Debatte stellt. Es geht also um das Ernstnehmen der Klageschrift einer Österreicherin, die sich in ihrem Bezirk nicht mehr zu Hause fühlt, quasi solange sie noch nicht hasserfüllte talibanistische Parolen schreit.

Das ist ja ein Diktum der Stunde: die Sorgen der Menschen ernstnehmen; samt dem implizierten "ihnen rechtgebend auf die Schulter klopfen"-Zusatz. Also die gefühlte Bedrohung durch geheucheltes Verständnis noch realer werden lassen - für Realpolitiker, Soziologen und Ökonomen ist das nichts als ein kapitaler Knieschuss.

Wenn sich zu diesem unredlichen, politisch berechnendem Verständnis auch noch die Ehrfurcht vor schneeweißen Haaren gesellt, werden zusammenhanglose Argumentationsketten noch unkritischer hingenommen als etwa die Realitätsverweigerung im offensichtlichen Rassismus-Mantel. Die Alltagsbeobachtung ist da viel unverfänglicher, das Wird-man-ja-noch-sagen-dürfen aus dem Bauch heraus erhöht die Nachvollziehbarkeit enorm.

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Maria Gornikiewicz jedenfalls, die Autorin des selbsternannten Hilferufs in der Wiener Zeitung fühlt sich nicht mehr wohl in Favoriten: Baustellen, Autoraser, viele öffentliche Jugendliche, die auch noch renitent aufmucken oder zu dick sind oder beides, laute Handys, Häuser mit Ausländern und Sozialfällen, schlechtes Deutsch, Grillerei, Skaterei, gegen die Wand geschlagene Fußbälle, Eltern die sich nicht um Kinder kümmern, noch mehr Baustellen und Lärm, stinken tut's auch, geschossen wird viel und kriminell ist es, und die Arztbesuche dauern länger, weil so viele blade Türkinnen herumsitzen.
Conclusio: Seniorenplätze sollen her, abgeschottete Zonen, wo alle Beschäftigungstauglichen Platzverbot haben; und Handyverbot sowieso. Damit a Ruh' ist einmal.

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Ich bin Wiener, und ich kenne alle (und zwar alle) diese Anwürfe wortident aus den 70ern, den 80ern, den 90ern und als größte Hits auch aus diesem Jahrtausend. All das war immer so, und zwar deshalb, weil eine Stadt lebt und sich entwickelt, mit Neubauten und Neuzuzügen und schlechten Manieren und Gestinke und so kriminell war's immer noch nie. Und weil die Zeit dann, wenn man alt wird und nicht mehr so richtig mitkommt, schneller läuft und die langsamer werdenden Alten eben nervöser macht. Immer schon. Die in solchen Suaden unterschwellig transportierte Fremdenangst hat Ewigkeitswert.

Viel interessanter als die Rollator-Beobachtungen ist aber die völlige Blindheit, was den Kreislauf der Ereignisse betrifft: die Vorfahren der Maria Gornikiewicz waren auch einmal solche Zuzügler, mit schlechtem Deutsch und womöglich auch renitent und mit gegen die Wand kickenden Kindern. Und auch sie hatten schwer zu kämpfen mit jenen, die ein paar Jahrzehnte früher zugezogen und sich als heimisch und herrisch zu fühlen bemüßigt sahen.

Dazu kommt, dass die Zusammenrottung rund um eine virtuelle Gemeinsamkeit (im aktuellen Fall Österreichs ist das die simple Tatsache "dass wir da waren; vor den anderen") die einen Außenfeind (die Ausländer, die eben noch nicht da sind oder nicht lange) konstruieren muss.

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Als PS dazu noch vier von vier Leserzuschriften aus der aktuellen Ausgabe des SP-nahen Schau-Magazin:

Und jetzt der Elchtest: jeder, der das, was die vier da sagen, noch nie gesagt oder heimlich gedacht hat, bitte melden; und nicht Schummeln.

Harald B: Wie soll der Einzelne damit fertig werden, wenn die große Politik, und das fast in ganz Europa, mit dem Problem nicht fertig wird?

Maria F: Wir können nicht jeden Heimatlosen aufnehmen.. Ich hoffe, dass nicht eines Tages ein Flüchtling an meine Tür klopft. Denn ich weiß nicht, ob ich mich entsprechende dem Gebot der Nächstenliebe verhalte.

Hermine G: Während der Ungarn und Tschechien-Krisen haben wir zehntausend Flüchtlinge aufgenommen. Aber damals hatte die Bevölkerung noch die Besatzungszeit in Erinnerung. Und viele Vorfahren stammen aus Böhmen, Mähren, der Slowakei und Ungarn. Ein Mensch aus dem Sudan oder Syrien ist uns schon in normalen Zeiten fremd. Als Flüchtling noch viel mehr.

Keiner. Eh.

Peter R: Seien wir doch ehrlich. Die meisten von uns haben selber Angst um die Zukunft, um den Arbeitsplatz, um den Verdienst. Es klingt hart: aber nur wer uns nützt, dem können wir auch zu Nutzen sein. So war es immer, so wird es immer sein.

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Zwei der drei großen Angstmacher, nämlich die Situation der Wirtschaft sowie die internationale Entwicklung, was Krisen und Flüchtlingsströme angeht, kann die Politik de facto kaum beeinflussen, sagt OGM-Chef Wolfgang Bachmayer im heutigen Kurier - der dritte, die künstlich und global hochgepimpte Frage der Sicherheit letztlich auch nicht. Es hilft also nur die Wahrheit: dass die Zuwanderung notwendig fürs Überleben in halbwegs gesichertem Wohlstand ist, dass eine Abschottung, ein Isolationismus, das Gegenteil, nämlich Stillstand und Absterben bringt. Wer sich verschließen will, muss Nordkorea werden. Begriffe wie Nation oder Nationalvolk haben sich in einer globalen Gesellschaft aufgelöst.

Die Kriege in Syrien oder den Krisen in Afrika gehen - weil alles mit allem zu tun hat in dieser globalen Welt - auf unsere Kappe: weil Waffenexporte, eine vernichtende Politik von Konzernen, Banken aber auch EU die Lage erst herbeigeführt haben, weil die alten kolonialen Vorkriegs-Strukturen die Basis dafür gelegt haben und weil die erste Welt, auch Europa auf Kosten der Südhemisphäre lebt, unser Wohlstand auf der Armut von Syrern und Sudanesen gegründet ist.

Niki Glattauer beschreibt das heute in seiner Schul-Kolumne: die weltweit 30 geführten Kriege sind ein Weltkrieg mit globalen Flüchtlingsströmen, er wird nur von uns nicht anerkennt, weil wir davon ausgehen, dass er in Europa stattfinden muss. Dabei können wir uns glücklich schätzen, dass uns nur die Auswirkungen (die Flüchtlinge) erreichen: "Atmen wir also tief durch. Und dann helfen wir ihnen, die in diesem Weltkrieg alles verlieren oder bereits verloren haben, und seien wir stolz darauf, dass wir es können."

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Wie weiter?
Es wird nichts nützen, alle Appelle an die Mitmenschlichkeit werden nicht greifen bzw nur die erreichen, die ohnehin schon bewegt sind. Die Lager haben sich verfestigt, die Fronten sind verfahren.

Da sind die, die sich geistig isolieren und sozial verweigern, und da sind die, die das ablehnen und einander auffordern diese asoziale Haltung aber dennoch ernst zu nehmen und zu tolerieren.

Das bedeutet, dass sich alle an jenen orientieren, die ihre kleingeistigen Sorgen über das große Ganze und auch über das sowohl ökonomisch als auch demokratiepolitisch und humanistisch Wohlbringendere stellen - und der Das-wird-man-ja-noch-sagen-dürfen!-Sorge damit zum Auftritt in der Mitte der Gesellschaft verhilft.

Die Argumentationslinie der vorhin zitierten Pensionistin, die ja noch das am ehesten acceptable face des alltäglichen Xenophobie darstellt, wird damit zum Mainstream, zur Richtschnur. Denn der gemeinsame Nenner unserer kollektiven Haltung zur Asyl/Flüchtlings-Frage ist der eines Rentners, der nichts mehr in sein Leben lassen will. Kein Handy, keine neuen Medien (böses Facebook), keine neuen Nachbarn einer enger zusammengerückten Welt, nix Fremdes.

Wir sind alle Maria Gornikiewicz. Wir sind in der Pensionisten-Falle, als lächerliche absterbende Autochtone, als Wesen ohne soziales Denken, also ohne Zukunft.