Erstellt am: 27. 6. 2015 - 19:48 Uhr
Keine Angst vor dem Grexit?
Athen. Charis schaut sich mit einem zufriedenen Lächeln die Fernsehansprache von Premierminister Alexis Tsipras an, in der er ein Referendum ankündigt, zum ersten Mal nach mehr als 40 Jahren. Im Jahr 1974 waren die Griechen aufgerufen, zwischen Monarchie und Republik als Staatsform zu entscheiden. Mehr als zwei Drittel votierten damals für die Republik. Dieses Mal soll das griechische Volk über die von den Geldgebern verlangten Maßnahmen abstimmen: Die Gläubiger fordern unter anderem höhere Mehrwertsteuern und tiefere Einschnitte bei den Renten.
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Es ist weit nach Mitternacht. Charis ist Verkäufer in einem Minimarkt im Zentrum der Stadt, der bis spät in die Nacht geöffnet hat. Vor ein paar Wochen hatte er Angst vor einem Bruch mit den Gläubigern. Jetzt aber meint er, dass ein Referendum eine demokratische Lösung sei. "Nach all den Erpressungen der letzten Tage bin ich zu dieser Schlussfolgerung gekommen. Neue Sparmaßnahmen bringen nichts. Es wird nur schlimmer. Deswegen sollten wir einen anderen Weg gehen, denn vielleicht gibt es dann bessere Entwicklungen“. Mit der Drachme ging es den meisten Menschen besser, erinnert sich der 50-Jährige. Charis hat keine Angst vor einem Austritt aus der Eurozone. Eine aktuelle Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Bridging Europe besagt, dass mehr als 60 Prozent der Griechen derselben Meinung sind.
Eleftheria, eine 27-jährige Frau, läuft euphorisch durch die Straße, wo der Laden von Charis liegt. Sie hat Politikwissenschaften studiert, muss aber als Kellnerin arbeiten, da sie keine andere Arbeit finden kann. Ihre Zustimmung für neue Maßnahmen wird sie auf keinen Fall geben, sagt sie. Sie will sich aber erst besser über das Referendum informieren. “Wir wissen noch nicht, was für Folgen es haben wird, wenn wir für oder dagegen stimmen. Wahrscheinlich hat es mit dem Verbleib in der Eurozone zu tun, aber bestimmt nicht mit unserer Teilnahme in der Europäischen Union, glaubt sie. Die Drohungen gegen Griechenland seien eine Warnung an andere Krisenländer, sich nicht den Forderungen der Gläubiger zu widersetzen, meint die junge Frau.
Giorgos, ein anderer Passant, ist sehr unzufrieden. Er hat Alexis Tsipras gewählt, ist aber nicht mit der Durchführung eines Referendums einverstanden, denn er meint, dass der Premierminister sich seiner Verantwortung entziehen will und sie auf die BürgerInnen abzuwälzt. “Wir haben ihn gewählt, damit er uns rettet, und nicht damit er die Verantwortung auf uns abschiebt“, so Giorgos. Ein paar Meter weiter hebt Fotis, ein junger Wissenschaftler, bei einem Bankomaten Geld ab. Mehrere Menschen haben Freitagabend und Samstag Geld von ihren Konten geholt, aus Angst vor Kapitalverkehrskontrollen.
Am Samstag verschärfte sich die Krise nochmals dramatisch, als die Euro-Gruppe die Verlängerung des für 30. Juni fälligen Hilfsprogramms für Athen ablehnte. Um darüberhinaus die Kredite bedienen zu können, ist die griechische Regierung auf die Unterstützung der Europäischen Zentralbank angewiesen.
Man müsse nun von Plan A auf Plan B übergehen, sagte der finnische Ressortchef Alexander Stubb am Samstag und meinte damit wahrscheinlich einen Grexit.
Der Druck aus der Opposition und den Massenmedien ist enorm. Immer wieder werden Bilder mit Menschen gezeigt, die Bankautomaten stürmen oder große Mengen von Lebensmitteln kaufen, aus Angst, dass die Regale bald leer sein würden. Oppositionsparteien werfen Tsipras vor, dass er mit seinem Vorgehen das Land spalte, in den Bankrott treibe und aus dem Euro dränge. Sie meinen auch, dass im Referendum das Versagen der Regierung zum Ausdruck komme, mit den Gläubigern ernsthaft zu verhandeln.
Die in politischen Angelegenheiten eher zurückhaltende Kirche Griechenlands hat sich auch in die Debatte eingemischt. Die Heilige Synode richtete einen Appell an die EU-Führer, damit eine für beide Seiten akzeptable Lösung für das griechische Finanzproblem gefunden wird. Die EU-Führer sollen noch einmal „Zurückhaltung, Verständnis und Solidarität“ zeigen, so die Heilige Synode.
Fotis hat sich schon entschieden, keinen neuen Sparmaßnahmen zustimmen, fürchtet aber die Reaktionen aus Brüssel. “Wir haben am Beispiel Zypern gesehen, zu was sie fähig sind, um sicherzustellen, dass sie ihr Geld kriegen und es dann den Banken zu geben. Aber auch diese ganze barbarische Taktik in der letzten Zeit hat gezeigt, was sie bereit sind, zu tun."
Samstag Mitternacht wurde im griechischen Parlament über das Referendum abgestimmt. Laut Medienberichten werden die EU-Institutionen ihren unterbreiteten Vorschlag zurückziehen. Die Griechen werden dann möglicherweise nächsten Sonntag über einen Plan abstimmen, der gar nicht mehr auf dem Tisch liegt, meinen Analytiker. Finanzminister Giannis Varoufakis sagte am Samstag in Brüssel, dass man sich anstrengt, bis Dienstag ein Abkommen mit den Gläubigern zu schließen. Falls dies der Fall ist, wird die Regierung die BürgerInnen aufrufen, beim Referendum für diese Vereinbarung zuzustimmen. "Die Demokratie hatte eine Injektion mit anregender Wirkung nötig. Wir haben sie gerade verabreicht. Lassen wir die Menschen entscheiden.”, twitterte er im Zusammenhang mit dem Referendum.
Democracy deserved a boost in euro-related matters. We just delivered it. Let the people decide. (Funny how radical this concept sounds!)
— Yanis Varoufakis (@yanisvaroufakis) 26. Juni 2015