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Christian Fuchs

Twilight Zone: Film- und Musiknotizen aus den eher schummrigen Gebieten des
Pop.

27. 6. 2015 - 09:48

Kinogesichter

Verbeugungen vor einigen Schauspielerinnen und Schauspielern, an denen man im Kino heuer nicht vorbeikommt.

Als vor einigen Tagen der deutsche Regisseur Sebastian Schipper bei der Wiener Premiere seines Films „Victoria“ das Wort ergriff, hagelte es kluge Statements. Besonders in Erinnerung geblieben ist mir sein Lobgesang auf die Gesichter da oben auf der Leinwand.

Auch wenn die Dramaturgie holprig wirkt, technische Fehler sich nicht übertünchen lassen oder die Anschlüsse nicht immer stimmen, was wirklich zählt, erklärte Schipper, seien eben letztlich die schauspielerischen Leistungen. Die Zuseher, meinte der Filmemacher, der selber oft als Darsteller vor der Kamera steht, fixieren die Augen der Figuren, haben mit ihnen Blickkontakt, leben auch bei schwächeren Streifen mit starken Akteuren mit.

Sebastian Schipper

Filmcasino

Sebastian Schipper im Wiener Filmcasino

Das ist jetzt wahrlich keine neue Weisheit. Aber in Zeiten eines modischen Formalismus-Kults beeindruckte Sebastian Schippers verbales Plädoyer für ein intensives Menschenkino nachhaltig. Mehr sogar als sein vielgefeiertes Filmexperiment „Victoria“. Denn so sehr einen das 140-minütige Werk, das gänzlich ohne einen Schnitt auskommt, auch mit manischer Energie überrollt, mit der Geschichte rund um eine Gruppe Berliner Burschen, die eine junge Spanierin in eine gefährliche Reise durch die Nacht verschleppen, hatte ich Probleme.

Aber selbst wenn mir die übertriebene Männerbündlerei des Films in gewissen Momenten unangenehm aufgestoßen ist, die Titelheldin hat es in sich. Mit einem ganz natürlichen Charme, der in keiner Sekunde an eine Schauspielschule denken lässt, vereinnahmt Laia Costa das Geschehen. Betört zunächst mit Unbefangenheit. Lässt dann gewaltige Energie aufblitzen. Die Wandlung der zierlichen Victoria, von der grinsenden Kellnerin in einem Bobo-Café zur gehetzten Komplizin in einer gefährlichen Aktion, ist das Spannendste an dem zwiespältigen, aber in jedem Fall sehenswerten filmischen Radikalakt.

Laia Costa

Polyfilm

Laia Costa in "Victoria"

Der personifizierte Outsider

Überhaupt sind es bestimmte Schauspieler, die manche nicht rundum fesselnden Filme oder Serien dann doch zum Pflichterlebnis werden lassen. Siehe zum Beispiel den Australier Ben Mendelsohn, dessen Auftritte sich auch in mittelmäßigen Streifen in die Netzhaut einbrennen. Der ehemalige Teenagestar in seinem Heimatland schaffte erst im reiferen Alter den Sprung nach Hollywood. Spätestens seit dem grimmigen Arthouse-Thriller „Killing Them Softly“ möchte man seine eindringliche Präsenz aber nicht mehr vermissen.

Mendelsohn hat sich auf Typen am Rande der Gesellschaft, des Nervenzusammenbruchs oder jenseits moralischer Richtlinien spezialisiert, auf Männer, die sich freiwillig aus der Gesellschaft wegbeamen oder denen unfreiwillig die Sicherungen durchbrennen. Dabei haben seine Figuren, denen man gewisse Verwüstungen durch Drogen, Sex oder das Leben an sich durchaus ansieht, immer eine lakonische Souveränität, die einen an Tom Waits und Keith Richards denken lassen.

Ben Mendelsohns Szenen in „The Place Beyond the Pines“ oder zuletzt „Lost River“ sind unvergesslich, in der sonnendurchfluteten Noir-Serie „Bloodline“ ist er überhaupt zentraler Schauwert. Man darf sich auf wilde Parts in dem pittoreskem Cowboy-Drama „Slow West“ ebenso freuen wie auf seinen Eintritt ins Universum der „Star Wars Anthology: Rogue One“ anno 2017.

Ben Mendelsohn

Netflix

Ben Mendelsohn in "Bloodline"

Der fragile Grenzgänger

Ein bisschen auf durchgeknallte Figuren ist auch der entschieden jüngere Dane Dehaan abonniert. Wer sich an den Found-Footage-Sci-Fi-Thriller „Chronicle“ erinnert, wird wohl seine Rolle als schüchterner Nerd noch im Kopf haben, der schleichend zum rasenden Superbösewicht mutiert. Auf angepasstere Weise durfe Dehaan auch den verwandten Harry Osbourne in „The Amazing Spider-Man 2“ verkörpern, eine Figur die zuvor mit James Franco identifiziert wurde.

Irgendwo an der Grenze von schusselig, verhuscht und durchaus gefährlich taumeln die meisten faszinierenden Charaktere herum, die Dehaan spielt. Einem etwas breiteren Publikum dürfte der 29-jährige Amerikaner aber erst heuer vertraut werden, wenn er in Anton Corbijns Quasi-Biopic „Life“ als James Dean vor die Kamera tritt.

In das Drama über den legendären Jungstar und dessen Lieblingsfotografen (Robert Pattinson gibt sich als Kontrapart weiterhin seriös) dürfte Dane Dehaan sein ganzes sensibles, fragiles Talent einbringen, wenn man ersten Ausschnitten glaubt. Next Stop dann für den Shootingstar: Die Hauptrollen in knalligen Genrefilmen von Gore Verbinski und Luc Besson.

Dane Dehaan

Koch Media

Dane Dehaan in "Kill Your Darlings"

Die Scream Queen mit Rock’n’Roll-Attitude

Man kann nicht leugnen, dass Maika Monroe über ein Aussehen verfügt, mit dem eine Karriere im Modelbusiness ebenso locker möglich wäre wie bestimmte Klischeeparts in romantischen Komödien. Blonde Schönheiten gibt es in Hollywood aber mehr als die Casting-Agenturen aufnehmen können. Die ehemalige Freestyle-Kitesurfing-Meisterin verstrahlt dafür ein ganz besonderes Charisma.

Auch wenn ihre Hauptrollen in den zurecht gehypten Indie-Schockern „It Follows“ und „The Guest“ ihr den Status einer Scream-Queen einbrachten, verliert selbst die schreiende, rasende, gehetzte Maika Monroe nie eine gewisse Aura der Lässigkeit. Und immer wieder kommt eine Toughness zum Vorschein, die an Rock’n’Rollerinnen wie Alison Mosshart oder gar Debbie Harry denken lässt.

Vielleicht setzten ihre bisherigen Regisseure auch genau auf diese Qualitäten der 22-Jährigen und es bleibt zu hoffen, dass sie nie als passiver Opfertyp auf der Leinwand auftaucht. Zum Beispiel in Roland Emmerichs „Independence Day: Resurgence “, in dem Monroe als Tochter des US-Präsidenten zu sehen sein wird. Dem Genrekino bleibt die supere Darstellerin jedenfalls auch mit ambitioniert klingenden Sci-Fi-Thrillern wie „Bokeh“ oder „The 5th Wave“ erhalten. Das Gänsehaut-Meisterwerk „It Follows“ kann man übrigens beim Sommerkino in der Wiener Arena am 11. August nachholen.

Maika Monroe

Splendid Films

Maika Monroe in "The Guest"

Der Slacker-Posterboy meint es ernst

Adam Driver ist der Beweis, dass man(n) es als US-Darsteller auch mit einer ansatzweise exzentrischen Physiognomie in Bereiche schaffen kann, die früher nur aalglatten Feschaks vorbehalten waren. Wohl nicht nur mir ist der Kalifornier zum ersten Mal in der HBO-Serie „Girls“ aufgefallen, wo er als Teilzeit-Boyfriend von Lena Dunham zum Posterboy für verkorksten Sex und eine gewisse Slacker-Attitude wurde.

Nicht weit davon entfernt waren seine Auftritte als Williamsburg-Hipster in „Frances Ha“ oder als schrulliger Countrysänger in „Inside Llewyn Davis“. Dabei scheint der reale Adam Driver, der einst freiwillig den Marines beigetreten ist, weit entfernt von den schlacksigen Buben-Karikaturen zu sein, die er schauspielerisch so auf den Punkt bringt. Martin Scorsese hat das ernstere Potential ebenso gesehen wie Wunderwuzzi J.J. Abrams. Letzterer machte ausgerechnet Driver zur Verköperung der finsteren Seite der Macht in „ Star Wars: Episode VII - The Force Awakens“.

Vor dem Mainstream-Durchbruch und einem Schicksal als Actionfigur im Spielzeugladen darf man sich aber noch an dem großen Komödianten Adam Driver delektieren. Die bitterböse Generationensatire „While We're Young“ (demnächst im Kino) zeigt ihn als jungen Dokumentarfilmer, der seinen älteren Kollegen Ben Stiller gleichermaßen anbetet wie ausbeutet.

Adam Driver

Studio Canal

Adam Driver in „Inside Llewyn Davis“

Ich könnte jetzt natürlich noch ewig Namen droppen und hier Actricen und Akteure lobpreisen, denen wir essentielle Film- und Serienmomente verdanken (und ihr merkt natürlich, dass es einmal nicht um die omnipräsenten Größen wie Theron, Hardy oder Fassbender geht).

Vielleicht folgen demnächst an dieser Stelle Hymnen auf Paul Dano, der in „Love & Mercy“ als Brian Wilson brilliert, Verbeugungen vor dem besessenen Trommler Miles Teller („Whiplash“), der demnächst mit den „Fantastic Four“ in fremde Dimensionen aufbricht, Liebesgedichte für die umwerfende Christina Hendricks, die nach dem „Mad Men“ Finale jetzt zur Noir-Schlüsselfigur im Kino werden könnte oder für Rachel McAdams, die mit Härte und Verletztlichkeit gleichermaßen aus dem Ensemble der zweiten „True Detective“ Staffel hervorsticht.

Rachel McAdams

HBO

Rachel McAdams in "True Detective"

Das Kino ist eben, wie Regisseur Sebastian Schipper es so glühend formulierte, ein Ort, wo man in erster Linie von Gesichtern mitgerissen wird und erst dann von den dahinterliegenden Erzählungen, wo wir Blickkontakt halten mit fremden Menschen, die uns im besten Fall nach zwei Stunden sehr nahe stehen. Schwärmt ihr nur von geilen Effekten, cleveren Twists und plakativen Pointen, I’m in love with the actors, baby.