Erstellt am: 27. 6. 2015 - 11:52 Uhr
"Wir sind Gemüseladen"
Tipp
Bizizim-Kiez: Für den Erhalt der Nachbarschaft der Wrangelkiez
Die "Karte der Verdrängung" zeigt die Veränderungen und Verdrängungen im Bereich der ehemaligen Postleitzahl "SO36" auf.
Bizim Kiez
Wer dieser Tage etwas über Gentrifizierung und die berühmte Kreuzberger Protestfreudigkeit, den "Spirit of Kreuzberg" erfahren will, der sollte Mittwoch abends in die Kreuzberger Wrangelstraße zum Gemüseladen "Bizim Bakkal" kommen. Der ist leicht zu finden, es hängen Transparente über der Straße und aus den Fenstern der Wohnhäuser. In den Schaufenstern der benachbarten Geschäften hängen Poster mit der Aufschrift: "Je suis Bizim Bakkal", "Wir sind Gemüseladen" oder einfach nur "Wir sind Bizim-Kiez". Und vor dem Gemüseladen " Bizim Bakkal" (heißt soviel wie "Unser Laden") versammeln sich jeden Mittwoch mehrere Hundert Menschen um für dessen Erhalt zu kämpfen.
Bizim Kiez
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Seit 28 Jahren betreibt Ahmet Caliskan den Laden als Familienbetrieb, nun wurde der unbefristete Gewerbemietvertrag zum September gekündigt. Ein Investor hat das Haus gekauft, den Mietern im Haus wurden Abfindungen angeboten, das Haus soll möglichst schnell entmietet werden. Danach soll luxussaniert werden, um die Wohnungen an eine neue solvente Zielgruppe zu verkaufen.
Caliskan hat angeboten, mehr Miete zu zahlen, hat einen neuen Vertrag vorgeschlagen, einen Nachmieter benannt - ohne Erfolg. Die Investoren wollen den Laden leer haben. 1974 ist Caliskan als 14-jähriger mit seinen Eltern und seiner Schwester aus der Türkei nach Westberlin gekommen, 1987 hat sein Vater den Laden eröffnet.
Bizim Bakkal ist der letzte familiengeführte Obst- und Gemüseladen auf der Wrangelstraße, aber nicht nur deshalb engagiert sich die ganze Nachbarschaft für seinen Erhalt. Denn was mit dem Laden passiert, droht früher oder später allen Alteingesessenen im Bezirk - sie werden von den Einkommensstärkeren, meist von zugezogenen Akademikerpärchen oder glücklichen Jungerben mit dem Faible für Kreuzberger Patina verdrängt.
Bizim Kiez
Hier war mal das Ende der Welt
Vor dem Mauerfall lag die Wrangelstraße im einkommensschwächsten Gebiet der Stadt. Es gab viel Leerstand, Säuferkneipen und Discounter bestimmten das Straßenbild. Im Sommer lagerten die Obdachlosen und Trinker auf den aufgeplatzten Möbeln und kaputten Fernsehern, die man der Einfachheit halber auf der Straße entsorgt hatte, Alkoholikerinnen brüllten sich von Fenster zu Fenster charmante Floskeln zu. Studenten wohnten dort, Berliner Rentnerinnen und türkische Familien, die in den Siebzigern als Gastarbeiter angeworben wurden. "Klein- Istanbul" nannte man diesen letzten Zipfel Westberlin, eingeklemmt zwischen Mauer und Kanal.
Nach dem Mauerfall 1989 lag Kreuzberg plötzlich nicht mehr am Ende der Welt, sondern so ziemlich in der Mitte Berlins. Alles lief erst einmal so weiter, Berlin wurde Techno-Capital, dann kam Easy Jet und die ganze Gegend um das nahe Schlesische Tor, mit den vielen Clubs und Kneipen, wurde ein Abenteuerspielplatz für die Feier-Jugend dieser Welt. In den umliegenden Straßen spezialisierte man sich auf Touristenbedarf: Getränke und Fast Food. (Gemütlich und niedlich hingegen wurde es in anderen Stadtteilen. Im Prenzlauer Berg zum Beispiel machten die zugezogenen Besserverdienenden ein Bullerbü aus dem ehemaligen Arbeiterbezirk).
Die Wrangelstraße blieb als letzte Straße Kreuzbergs noch ein wenig "authentisch": Türkische Gemüseläden, Zeitungsläden, alte Kneipen, Second Hand-Läden. Die Alkoholiker treffen sich dort immer noch und vor der katholischen Kirche bildet sich jeden Mittag eine lange Schlange vor der Essensausgabe für Bedürftige. Dazwischen italienische Kaffeebars, Gemüsedöner und vegane Cafés als Vorboten der Verdrängung. Und nun wehren sich die Anwohner, weil ihr Kiez rund um die Wrangelstraße zum Investitionsgebiet wird, dessen Existenz der Bereicherung von Immobilienfirmen dienen soll.
Bizim Kiez
Kreuzberg lässt sich nicht alles gefallen
Mit all seinen Problemen ist der Bezirk Kreuzberg in den letzten 40 Jahren umgegangen, hier hat sich eine einmalige Kultur des Zusammenlebens entwickelt. Wenn die Gegend langsam prosperierte, dann entstand dieser Wertzuwachs durch das Zusammenleben der grundverschiedenen Bewohner. Sie alle haben ihren Kiez aktiv gestaltet und damit den Mehrwert geschaffen, der jetzt die Investoren anzieht.
Aber in Kreuzberg lässt man sich nicht alles gefallen, sondern wird aktiv. Ob der Kreuzberger Protest wirklich etwas bringt, ist natürlich fraglich. Auch der Kreuzberger Baustadtrat (Grüne) hat der Verwaltung des Hauses einen Brief geschickt. Darin soll der Bezirk klar gemacht haben, dass man gar nichts davon halte, einen alteingesessenen Kiezladen zu vertreiben. Mehr als eine solche Unterstützung sei aber nicht möglich, denn rein rechtlich ist gegen die Kündigung nichts zu machen, sagt der Bezirk.
Aber bereits letztes Jahr konnte durch den Protest der Anwohner die Schließung einer Wäscherei in der gleichen Gegend verhindert werden, die Biomarktkette "Bio Company" wollte dort einen Markt und ein Café einrichten. Die ganze Nachbarschaft setzte sich für die chemische Reinigung ein (umso bemerkenswerter, weil doch im Weltbild vieler Anwohner Bio gut und Chemie böse ist), und siehe da, plötzlich ging es doch: Der Biomarkt gab sich, um weiteren Imageschaden zu vermeiden, mit einer kleineren Ladenfläche zufrieden. Die Reinigung konnte bleiben.
Bizim Kiez
Der Imageschaden wird der Immobilienfirma die das Bizim-Haus gekauft hat, wohl egal sein. Zumindest zeigt sich aber in diesen Tagen, dass der alte "Spirit of Kreuzberg" noch lebt, und dass hier eben nicht nur blöde Hipster, hirnlose Selbstdarsteller und egoistische Biospießer leben. Die Idee vom "solidarischen Kreuzberg" ist noch da - inzwischen fordert man einen "sozialen Denkmalschutz" für die Alteingesessenen und Läden wie Bizim Bakkal.