Erstellt am: 24. 6. 2015 - 10:21 Uhr
Wer ist betroffen?
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"Grundsätzlich sind wir für alle da. Die Schuldfrage ist für uns nicht relevant, das müssen dann andere klären", antwortet Cornelia Forstner auf die Frage, ob auch Angehörige des Amokfahrers vom vergangenen Samstag in Graz vom KIT betreut würden. Das KIT ist die Krisenintervention und Interkonfessionelle Akutbetreuung und damit eine Organisation, die mit Ehrenamtlichen ausrückt, wenn wo etwas Tragisches vorgefallen ist.
„Alltagsnahe Einsätze“ sind das Arbeitsgebiet des Kriseninterventionsteams. Sie hätten leider noch kein besseres Wort dafür gefunden, erklärt Forstner, die alle Einsätze koordiniert. Bei Katastrophen, die sich im familiären Bereich ereignen, wie tödlichen Verkehrsunfällen ist die KIT gefragt. Das Grubenunglück im obersteirischen Lassing gab den Anlass zur Gründung, beim Chemieunfall mit drei Toten in der Lederfabrik Wollsdorf war die KIT im Einsatz und auch, als 2004 die Meldung über den Tsunami Österreich erreichte. In der Hälfte der Fälle kontaktiert die Polizei die KIT, um sich auf die eigene Arbeit konzentrieren zu können.
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Sechzig Ehrenamtliche sind jetzt für Angehörige der Opfer des Amokfahrers durch die Grazer Innenstadt am vergangenen Samstag da. Aber auch für andere Betroffene. Die ehrenamtlichen MitarbeiterInnen des KIT stellen sich neben PassantInnen, die bei einer der Kerzeninseln in der Herrengasse innehalten, und regen das Erzählen an. "Wir fragen nicht, wie es jemandem geht", sagt Cornelia Forstner. Die Menschen sollen die Möglichkeit haben, ihre Geschichte zu erzählen.
Weder Beratung noch Therapie sind jetzt gefragt, sondern eine Menschlichkeit und da zu sein. In der Akutsituation sei jemand wichtig, der das Gefühl nehme, allein zu sein, sagt die Sozialarbeiterin Forstner.
Wer ist betroffen?
Betroffen sei jede und jeder, der von der Tat erfährt, wie die unmittelbaren AugenzeugInnen, findet Friedrich Ferstl. Menschen kommen heute auf ihn zu, wenn er wie die KollegInnen vor dem Rathaus in Graz an seiner Einsatzweste leicht erkennbar ist, und sie sagen ihm, sie könnten "damit" nicht umgehen. Manche sind sich nicht sicher, ob sie den Tagesablauf noch bewältigen. Andere fangen an sich zuhause zu verschließen, weil sie nicht wüssten, was noch alles passiere. Wiederum andere bekommen Angst beim Motorgeräusch eines beschleunigenden Autos oder beim Klingeln einer Bim. Eltern eines Kindes, das den getöteten vierjährigen Buben in der Herrengasse sah, meldeten sich.
"Eine Krise ist, wenn man mit etwas nicht rechnet und das einen derart in einen Ausnahmezustand versetzt, dass man gar nicht richtig handeln kann. Dass du vergisst zu trinken oder zu essen oder darauf, wen du anrufen kannst", erklärt Friedrich Ferstl, einer der 405 KIT-Freiwilligen.
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Akutkrise dauert an
Will man mitarbeiten, muss man mindestens 25 Jahre alt sein und entweder einen psychosozialen Grundberuf und darin zwei Jahre Erfahrung haben oder ein/e bewährte/r MitarbeiterIn einer Einsatzorganisation sein.
Die Ehrenamtlichen übernehmen die Einsätze in Eigenverantwortung nicht allein in Graz, sondern in der gesamten Steiermark.
"Sehr viele kamen in eine Akutkrise, weil das ein Einbruch in Graz, in eine idyllische, nette Stadt war", sagt Ferstl. Hat jemand in der Vergangenheit einen Überfall oder einen plötzlichen Todesfall erlebt, verstärkt das die Belastung. Informationen darüber, was passiert ist, helfen, ruhiger zu werden.
Es wird nicht nur Trauer bekundet, es gibt auch Wut und Ärger. "Es ist natürlich immer eine Frage der Art und Weise, aber das loszuwerden und nach außen zu tragen ist wichtig, damit die Leute ihre Aggressionen auch abbauen können", so Cornelia Forstner, "und es sicher besser, das im Gespräch zu tun als anders".
In diesem Fall ist es so, dass viele Menschen erstmal Schutz und Sicherheit gesucht haben. Sie gingen nach Hause. Das KIT wirkt jetzt in der Übergangsphase. Vorläufig bis Sonntag sind im Grazer Rathaus Räume für Gespräche reserviert. Das Angebot ist kostenfrei und unbürokratisch.