Erstellt am: 23. 6. 2015 - 21:29 Uhr
The daily Blumenau. Tuesday Edition, 23-06-15.
#demokratiepolitik #machtpolitik
The daily blumenau hat im Oktober 2013 die Journal-Reihe (die es davor auch 2003, '05, '07, 2009 und 2011 gab) abgelöst. Und bietet Einträge zu diesen Themenfeldern.
Siehe auch Monday Edition, 22-06-15. Wenn die Dämme brechen. Wir müssen alle bekennen.
Die Dämme sind also gebrochen - nur mit der Bekenntnis hapert es noch.
Der, die so bitter Not täte.
Woran das liegt, zeigt der Widerstand, der dem Facebook-Posting meines Freundes David Schalko entgegengebracht wurde, einem Text, in dem er einen Bernhard'schen Wortschwall losließ, dessen (durchaus vorsichtig relativierender) Einleitungssatz ein Land adressierte, "das von jeher zu einem Großteil aus Debilen und Nazis bestand".
Alle, wirklich alle, fühlen sich angegriffen - schließlich reicht es dank unseres aktuellen Selbstverständnisses aus, wenn wir die FP-Gedanken in uns allen durch verbal entschieden empörte Distanzierungen bekämpfen. Diese intellektuelle Kurzatmigkeit als debil zu bezeichnen, ist allerdings nur ein klein wenig dichterisch zugespitzt.
Täter, Mitläufer, Empörer und Schweiger
Die Täter sind - und das zieht sich durch die österreichische Geschichte der letzten 110 Jahre wie ein zäher Schleimfaden - nicht nur diejenigen, die sich aktiv einbringen im aktuellen Entmenschlichungs-Diskurs, der die alt- und neunationale Rechtsradikalität immer stärker in die Mitte der Gesellschaft platziert, sondern zum Großteil die Mitläufer, deren bequem über neue Medien gestreute, in ihrer Beredsamkeit induktive Empörung die Aufgabe erfüllt, die früher der sogenannten schweigenden Mehrheit zukam. Dabei ist es mittlerweile egal, ob man sich feixend am Unglück anderer delektiert und sie in geschlossenen Flugräumen schreien lassen will, oder ob man sich mit der Abarbeitung an solchen Symptomen genügt und die ihren Menschenhass offen Auslebenden attackiert, ohne sich die gedankliche Kumpanei oder die Folgenlosigkeit der Inkonsequenz des eigenen Wenig-Handelns einzugestehen.
Der aggressive Teil der schweigenden Mehrheit, der, der das konkrete Bild eines Schuldigen am eigenen Schicksal braucht, um sich über andere erheben zu können, sourct seinen ganzen Unmut an dunkle Engel, an esoterisch sowie neurolinguistisch geschulte Traumfänger aus und interessiert sich nicht für die Folgen der Umsetzung; hofft darauf, im Nachhinein nichts gewusst haben zu müssen. Der passive Teil der schweigenden Mehrheit genügt sich in der rituellen Wiederholung von Abwehrbeschwörungen, ohne dabei an die Substanz zu gehen. Lieber vergleicht man (und das ist keine Erfindung, sondern ein aktuell aufgepoppter Twitteria-Fall) die Schicksale heutiger Flüchtlinge mit dem des Kriegsheimkehrer-Opas, scheinbar unmündigen, einen Angriffskrieg Führenden. Lieber erklärt man, tränendrückend (und auch das ist unlängst sehr seriösen Kollegen entfahren), den Staatsvertrag zur wehmutumflorten Befreiung, während das Kriegsende immer noch als bitteres Bekennen des Scheiterns von in die Irre Geführten, auch wieder Unmündigen eingeordnet wird.
Zukurzgekommene und Gedemütigte
Genau diese Geschichts-Sicht dominiert das österreichische Denken. Man erklärt seine Vorfahren und somit auch sich selber für unmündig - und glaubt deshalb auch keine Verantwortung für vergangene reale und heutige nur gedankliche Greueltaten übernehmen zu müssen.
Es handelt sich nicht um irgendwelche Irrläufer, sondern um die Grundverfasstheit einer Masse, der weder vom Wirtschaftswunder, noch von der Kreisky-Aufbruchszeit noch vom Aufschwung nach dem Mauerfall oder dem EU-Beitritt beizukommen war. Man sieht sich als Zukurzgekommene, als gedemütigte Nachfahren einer von Erbschuld gepackten Generation von Mitäufern, Blockwarten und Klein- wie Großtätern.
Die zweite und dritte Generation trägt sowohl Schuld als auch Verletztheit noch in sich; und zwar flächendeckend. Die Nicht-Aufarbeitung von Schuldhaftigkeit einerseits und die schlechte Behandlung der Wunden und des Narbengewebes andererseits sind Träger einer Perspektivlosigkeit in beide Richtungen. Die Aussichtslosigkeit ist allumfassend: einerseits wird jede Notwendigkeit der Kenntnisnahme der eigenen Untiefen geleugnet, andererseits wissen wir, dass es (auch deshalb) keine Hoffnung auf Vergebung geben kann. Und suhlen uns in diesem Sumpf aus Schuld, Sühnelosigkeit und Selbstmitleid.
Die FPÖ repräsentiert diese Brüchigkeit, und von Haiders Papa bis hin zu Burgers Schwiegersohn verfügt sie über tragische Träger dieser fehlenden Perspektive, dieser Eingesperrtheit der Seele, dieser emotionalen Verengung. In jedem stammhirngetriebenen Mundwinkel-Zucken der Tribune, das den leisen Ekel vor dem Fremden spiegelt, sind wir alle, die Nachfahren jener politisch bewusstlosen Generationen, sicht- und spürbar.
Und erst dann, wenn wir uns diesen Untiefen stellen, wenn die Dammbrüche der letzten Tage nicht zu weiteren verzerrten Fratzen der Unmenschlichkeit werden, sondern zu psychohygienischen Selbstanzeigen führen, erst wenn wir uns im Klaren sind, dass der Umgang mit der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft unseres Menschenbildes uns ausschließlich etwas über uns selber (und nichts über das Fremde, das nur in Zuschreibungen existiert) erzählen, ist eine Überwindung möglich. Erst wenn ein Land, das großteils aus Debilen und Nazis besteht, sich das auch eingestehen kann, gibt es Hoffnung.