Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Das notwendige Queerfilmfestival"

Sophie Strohmeier Philadelphia

Film, Film, Film

22. 6. 2015 - 15:45

Das notwendige Queerfilmfestival

Identities 2015: Rückblick auf ein Filmfest, das eigentlich ein Volksfest sein sollte.

Ab ins Kino

Filmempfehlungen und Kritiken auf

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Ist das Ziel der queeren Bewegung gar - die Nichtexistenz? Wenn Identities-Leiterin Barbara Reumüller bei der Eröffnungsrede von einer utopischen Zukunft redet, in der das Festival "nicht mehr notwendig" ist, dann hat der_die Zuschauer_in den Eindruck, das Festival hätte die Hauptfunktion eines Pflasters. Das ist kein so schöner Gedanke; mir würde es viel mehr taugen, wenn sich die LGBTQI-Bewegung für immer als Gegenbewegung zur Norm versteht und es somit immer ein Festival für diese Gegenbewegung geben muss.

Jedenfalls, zurück zu Reumüllers Aufgabe: es muss wirklich unglaublich schwierig sein, dieses Festival zu kuratieren. Die queere Filmlandschaft ist so heterogen und ausgefranst, wie es die queere Bewegung selbst ist. Gewisse Filme verkaufen sich besser als andere. Dafür werden bestimmt andere übersehen.

Junge Frauen stellen Annemarie Schwarzenbach nach

Paraïso Productions

"Je suis Annermarie Schwarzenbach" von Véronique Aubouy

Der_die Zuschauer_in kann niemals ganz zufrieden sein. Zwar gibt es genügend Teenage-Eye-Candy (der brasilianische The Way He Looks, z.B., oder der niederländische Jongens), und hübsche Historiendramen, aber der einzige Horrorfilm (El día trajo la oscuridad) erwies sich als substanzlos. Dafür dann ein paar wirklich queere Filme, wie die Filme von Bruce LaBruce, die sentimentale Ode an die Filmgeschichte Royal Road oder Je Suis Annemarie Schwarzenbach, in der verschiedene junge Menschen den androgynen Glamour der kosmopolitischen Schriftstellerin einfangen.

Als queere Festivalbesucherin, z.B., fühle ich mich ständig nimmersatt lechzend nach Notgeilheit, Emotion und Provokation: wenn ich noch einmal eine zache Nacherzähl-Doku über diese Lieblingsschriftstellerinnen und Rock Bands sehen muss, dann, so denke ich mir, schreie ich! Aber gleichzeitig schau ich die dann trotzdem, weil eine Doku anschauen ist doch irgendwie besser als Wikipedia durch-scrollen, und ärger mich danach immer. Genau so, wie ich mich über die allerzachsten der zachen psychologischen Haneke-Imitationsfilme wie Sarah préfère la course und Respire ärgere, weil mir wieder einmal dämmert, welch eine Bedrohung das Wichtige-Themen-Kunst-Kino für den internationalen Filmbetrieb darstellt. Wo bleibt mein Duke of Burgundy Teil 2? Aber jetzt ganz im Ernst - wieso ist eigentlich Femme Brutal (2015), der Film über Club Burlesque Brutal von Liesa Kovacs und FtWTF-Protagonist Nick Prokesch nicht im Programm vertreten?

Tatsächlich schafft die Überschneidung von Fiktion und den persönlichen Leben der Festivalbesucher_innen - eine unvermeidliche Kreuzung zweier Welten, die sich wie ein mise-en-abyme als Schatten, Spiegel und Gegenspiegel ins Ewige begleiten - eine Stimmung, die Identities zu dem wohl emotionalsten, verwirrendsten und eigenartigsten Filmfestivals überhaupt macht.
Hier begibt sich einmal alle zwei Jahre eine Gruppe ins Kino, deren Protagonisten und Helden das Leben der Zuschauer_innen vor- und nachspielen und auf der Leinwand immer und immer wieder ihre (teils sehr bewusst gewählte) Unzugehörigkeit betonen.

Dorian Bonelli in FtWTF

AFC

Die städtische Peripherie als visual einer Transbiographie in FtWTF

Zwei sehr unterschiedliche Filme spannen diese innere Spaltung und Ungewissheit, die im_in der Zuschauer_in schlummert, besonders fein ein: einerseits der Eröffnungs- und Abschlussfilm Appropriate Behavior und andererseits das sofort ausverkaufte Festivialhighlight FtWTF.

Female to What the Fuck

Katharina Lampert und Cordula Thym bieten mit FtWTF ein rares Portrait mehrerer Trans-Leben, sowie deren biographischer Reisen, Wahrnehmung und Gestaltung. Verführerisch und einzigartig an dieser Doku ist ihr Angebot der Anknüpfung mit dem Zuschauer, die zu einer poetischen, bestärkenden Selbstreflexion führt. Außerdem ist der Film schlichtweg schön - man tut sich bei FtWTF schwer, sich nicht in die Protagonist_innen und ihre komplett verschiedenen Einschätzungen, Einstellungen, Landschaften und Kunstwerke zu verlieben. Dabei wird sympathischerweise nicht an Diskussionen und Unsicherheiten unter den Protagonist_innen gespart und kein gemeinsamer Nenner vorgegeben.

"Oh, I thought you were straight!"

Appropriate Behaviors bisexuelle Protagonistin Shirin (Regisseurin und Drehbuchautorin Desiree Akhavan) wirkt verknüpft mit Barbara Reumüllers Wunsch nach jenem Tag, an dem ein Identities Festival "nicht mehr notwendig" sein wird. Und Shirin ist genau so hilflos wie diese Frage, die eigentlich nirgendwohin führt: Ist es denn beleidigender, dargestellt zu werden, oder ist es beleidigender, unsichtbar zu bleiben?
Darauf gibt es freilich keine Antwort, und genau deswegen kommt an diesem Punkt jegliches politisches Streben zu einem quietschenden Stillstand. Was bleibt: was wir brauchen, sind gute queere Filme; nicht Filme, die als "gut" gelten, nur weil sie sich einer unterrepräsentieren Zielgruppe erbarmen.

Desiree Akhavan in Appropriate Behavior

Gravitas Ventures

Shirin (Desiree Akhavan) und das herumrutschen auf der Kinsey-Scala

Appropriate Behaviors Shirin macht sich eigentlich über das Ganze lustig. Ihren persischen Eltern und Verwandten gegenüber verschweigt sie die Beziehung zur Freundin, die aber eh eindeutig, wenn auch nicht ausgesprochen ist: "They know. I know they know!" - da ist zwar eine Bitterkeit dabei, die für Shirin aber auch okay ist. Gleichzeitig schwebt in ihren Beziehungen ständig die Bemerkung im Raum, sie mache das mit der Repräsentation ihrer Sexualität irgendwie falsch und gehöre somit nicht zu der "Queer Community" dazu, weil sie eben zu "straight" wirke; ein Unbehagen, welches auf seine Art den Protagonist_innen FtWTFs und dem queeren Zuschauer nicht fremd ist.

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Identities 2015. Endlich wieder queere Filme!

Und dann passiert eben das, was ein Filmfestival zu so einem netten Fest macht: die Protagonist_innen wandern plötzlich von der Leinwand ab und im Publikum umher; Anekdoten werden ausgetauscht, Emotionen geteilt, Kunst und Leben vereint. Das ist eine schöne Sache, und kann nur noch besser werden.