Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "The daily Blumenau. Monday Edition, 22-06-15."

Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

22. 6. 2015 - 14:43

The daily Blumenau. Monday Edition, 22-06-15.

Wenn die Dämme brechen. Wir müssen alle bekennen.

#demokratiepolitik #machtpolitik

Der sogenannte Tabubruch hat jetzt schon bedeutend mehr losgetreten als nur interne SP-Zerreißproben, verwirrte Medien-Reaktionen und eine zunehmend psychotische Rezeptionskultur: diese Aus- und Zurschaustellung einer österreichischen Realverfasstheit, die Symptome klassischer politischer Wohlstandverwahrlosung zeigt, hat es geschafft, dass die Dämme brechen.

Dort, wo davor noch die dünne Maske der Zivilisiertheit freundliche Nasenlöcher machte, poltert jetzt das, was man sich wirklich denkt und was-man-ja-noch-wird-sagen-dürfen hervor wie Durchfall nach einer langen Phase der Verstopfung, es fließt hemmungslose braune Pampe.

Die Regierenden überbieten einander darin, die offenbar wahlgewinnenden Befindlichkeiten, die angewandte Unmenschlichkeit der wohlhabenden Wegweisenden, mit noch dramatischeren Aktionen wieder einzufangen, oder - im Fall der verantwortungslosen Opposition - an Würdelosigkeit zu überbieten.

Bis auf die wenigen ohnehin beständigen Ausnahmen, bis auf jene, die ihre Bewegungen durch Neujustierung retten wollen und bis auf die rudimentären Reste einer Zivilgesellschaft, die nicht auf die Mythen reinfallen möchten, mit der ein mittlerweile flächendeckendes Negativ-Campaining die Köpfe Bewohner des drittfriedlichsten Landes überhaupt und des zweitreichsten EU-Landes verkleistern, ist es nämlich auch die Anteilnahmslosigkeit, die die Dammbrecher unterstützt; schweigend und mehrheitlich. In guter alter österreichischer Tradition.

Wenn die Dämme brechen, wenn mittlerweile alles was gesagt werden kann, auch gesagt wird, wenn der Extremismus allumfassend in der gesellschaftlichen Mitte angekommen ist und dort - recht widerstandslos - ein permanentes Zeltlager errichtet, dann ist es Zeit für ein Aufbrechen der schlichten Empörungs-Kultur, die auf Dreckgewerfe mit Retour-Gemaule und auf Verbal-Hetze mit Defensiv-Entsetzen reagiert.

Und es ist Zeit für eine bittere Selbsterkenntnis. Dass es nämlich nicht genügt den Faymann zu machen, sich also ausschließlich über ein "Nie mit der FPÖ" zu definieren. Und die Psychologie zu akzeptieren, dass eine ausschließliche Negativ-Definierung letztlich bedeutet, dass man eigentlich mit dem Abgelehntem übereinstimmt, und sich nur formal dagegen wehrt.

Es ist wie beim Alkoholismus: auch der betrifft wahrscheinlich die Mehrheit der österreichischen Bevölkerung. Und nur ein Bruchteil steht dazu.

Es ist Zeit aufzustehen und zu sagen: Ja, auch ich bin die FPÖ. Auch ich denke provinziell, handle kulturkonservativ, suche stets den eigenen Vorteil, schimpfe immer über jene, die von (m)einer Peer-Group als Bösewichte ausgemacht wurden, kriege den Arsch nicht hoch, wenn es gilt, der sozialen Gemeinschaft zu helfen und schaffe es genauso wenig, meine Lage dort zu verbessern, wo ich könnte. Wenn ich mich interessieren würde, was ich nicht tue, weil ich lieber in den Chor der Suderanten einstimme.

Wer sich jetzt nicht betroffen fühlt (und ich zähle mich da dazu, aber hallo), gehört entweder zu den von-mir-aus fünf Prozent Heiligen, die in diesem Land leben oder lügt sich in den Sack. Und zwar ordentlich.

Es ist wie bei den Anonymen Alkoholikern (die ich zugegebenermaßen nur aus amerikanischen Sitcoms kenne): der erste Schritt ist der des Bekennens. Solange sich Österreich nicht bekennt, wird es FPÖ wählen müssen - um die Schuld damit aufzulagern, heimlich und an der Wahlurne. Dabei sind wir alle FPÖ, und nicht nur ein bisschen.

Die Strategie der anderen (die von SP und VP) jetzt auch FPÖ sein zu wollen, ist oberflächlich nachvollziehbar, aber nach der Schmid/Schmidl-Rechnung ein Rohrkrepierer mit Ansage. Es wird den Regierungsparteien nichts bringen, sich als die noch wilderen Sicherheits-Schreier, die noch schärferen Abschieber, die noch geileren Sozialbeutelschneider in Szene zu setzen.

Morgen im daily: Teil 2 zu Wenn die Dämme brechen. Wir müssen alle bekennen. Der Versuch einer historischen Einordnung unserer nationalen Erkrankung. Denn von ungefähr kommt das alles nicht.

Solange der Rausch-Zustand, in dem sich eine aufgeheizt populistische Schein-Debatten nachplappernde Bevölkerung suhlt, nicht als solcher ausgemacht und dargestellt wird, solange diese österreichische Verfasstheit nicht als das, was sie ist - eine flächendeckende, alle bis auf die fünf Prozent Engel umfassende Wohlstandsverwahrlosung, eine besoffene Entmenschlichung - dargestellt wird, solange dieses Elend, die Krankheit nicht erörtert und ausgeleuchtet wird, kann es nicht behandelt werden. Und solange werden Fieberwahnkurven als Diskurs-Beiträge missverstanden werden.