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Natalie Brunner

Appetite for distraction. Moderiert La Boum de Luxe und mehr.

22. 6. 2015 - 14:19

Verbrechen der Dualität

Flimmern, der assoziative Wochenrückblick.

Flimmern

Ein assoziativer Wochenrückblick von Natalie Brunner

Letzte Woche habe ich wieder etwas über das Gefängnissystem in Österreich gelernt. Jeder und jede, egal ob Firma oder Privatperson, darf um die Arbeitsdienste eines Häftlings ansuchen. Besonders oft nehmen diese Möglichkeit Beamte der Justizwache in Anspruch, vielleicht um ihre Waschmaschinen reparieren zu lassen oder ihre Baumwollplantagen zu bewirtschaften. Beamte der Justizwache bezahlen für die Arbeitskraft fünf Euro pro Stunde. Jede andere Person oder Institution muss den Kollektivvertragslohn bezahlen, der mindestens das Doppelte beträgt. Dem Häftling bleiben nach Abzug des Vollzugskostenbeitrags und der Arbeitslosenversicherung zwischen 1,50 und 1,80 Euro übrig. Gefängnisarbeit gilt in Österreich nicht für die Berechnung des Pensionsanspruchs.

Gefangenentrakt

FM4

Von der Masseninhaftierung profitiert nicht nur die Privatindustrie durch die zur Verfügung stehenden Billigstarbeitskräfte, sondern auch die private Gefängnisindustrie. Diese hat sich in den letzten dreißig Jahren von den USA ausgehend entwickelt. Auch nicht auf den Markt spezialisierte Dienstleistungsunternehmen wie die in Frankreich basierte Firma Sodexo - die auch unsere Kantine im Funkhaus betreibt - sind in das große Geschäft mit der Verwahrung der Delinquenten eingestiegen. Zur Zeit gibt es private Gefängnisse in Großbritannien, Kanada, Australien, Chile und Südafrika.

Die USA haben die höchste Inhaftierungsrate der Welt. Mehr als zwei Millionen Menschen befinden sich in US-Haftanstalten. Die überwiegende Mehrheit der Gefangenen in den USA ist afroamerikanischer und lateinamerikanischer Herkunft, obwohl sie nur 20 Prozent der Bevölkerung ausmachen. Zwischen 1987 und 2007 sank die Kriminalitätsrate um 25 Prozent, während sich die Inhaftierungsrate verdreifachte.

Rachel Dolezal mag den Ausdruck Afro-Amerikanerin nicht. Sie bevorzugt oder bevorzugte für ihre Person den Ausdruck "Black". Seit ihren Teenager-Jahren beschäftigt sie sich mit "afro-amerikanischer" Kultur. Im Zuge ihrer Arbeit begann sie sich als Schwarze zu identifizieren. Diesen Monat brach ein mediales Armageddeon über sie herein, nachdem ihre hellhäutigen Eltern mit einem Geburtszertifikat im Fernsehen auftauchten. Dieser Shitstorm ist das Symptom einer Gesellschaft, die sich pathologisch weigert, "Race" als Spektrum anzusehen, in derselben blinden Art und Weise wie sie sich weigert, Sexualität und Gender als Kategorien jenseits von Dualität, als soziales Konstrukt anzuerkennen.

Die Zwillinge Lucy und Maria Aylmer

barcroft

Letzte Woche ist ein großer Krieger gegen Dualitäten verstorben. Der Free Jazz-Musiker Ornette Coleman. Aus diesem traurigen Anlass wurde ein sehr spannendes Gespräch wieder veröffentlicht, das Coleman Ende der 90er Jahre mit dem Psychoanalytiker und Philosophen Jacques Derrida geführt hat. Sie unterhalten sich über die Überwindung von Grenzen und Limitierungen, sowohl kognitiver und sprachlicher Art, als auch sozialer Natur. Coleman sagt den wunderschönen Satz, dass Sound einen viel demokratischeren Bezug zu Information hat als Sprache, weil um Sound zu verstehen, braucht man kein Alphabet zu beherrschen.

"Sound has no parents", gibt uns der von uns gegangene Coleman mit auf den Weg in eine Welt jenseits von Schwarz und Weiß, Mann und Frau.