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Philipp L'heritier

Ocean of Sound: Rauschen im Rechner, konkrete Beats, Kraut- und Rübenfolk, von Computerwelt nach Funky Town.

21. 6. 2015 - 13:48

Einmal Schmalzhupe, bitte!

Der dritte und letzte Tag beim Urban Art Forms Festival in Wiesen. Schwer gemischte Gefühle.

Niemand hat im Vorfeld vom Urban Art Forms Festival verlangt, sich vollmundig die Losung "No EDM" auf die Fahnen zu schreiben. Möglicherweise ist der Spagat ein schwieriger oder auch sinnloser, zu versuchen, auf einem Festival, sagen wir einmal, eher undergroundigere, kredible, coole Connaisseur-Elektronik und prallgeilen Vergnügungspark-Dance, der zwischen Ibiza, Praterdome und Autodrom keinen Unterschied mehr macht, unter einen Hut zu bringen.

So funktionierten auch am letzten Tag in der schönen Wiesen Arena und bei feinstem Vibe hinsichtlich Publikumszuspruch jene Acts am besten, die ihre Musik als Materialschlacht verstehen, ein Hupen ohne Morgen, als blinkendes Versprechen von Charts und Glam, das immer mit klar nachvollziehbaren süßlichen Popmomenten das System am Leben erhalten muss. Musik, die sich zu Techno so verhält, wie Linkin Park zu Punk. Nennen wir diese Musik sicherheitshalber "EDM".

Der größte Name im Programm war am Samstagabend der kanadische Produzent Deadmau5, der sich schlauerweise gleich selbst als überdimensionierte Cartoon-Maus inszeniert, damit es auch jeder versteht, dass es hier um Überzeichnung, Übertreibung und ein Schießen aus allen Rohren gehen muss.

Deadmau5, 2raumwohnung, The Glitch Mob

Im Bühnenhintergrund sind bei einem Auftritt von Deadmau5 unter anderem Visuals zu sehen, die im Dienste der ach so selbstverständlichen ironischen Selbstbespiegelung gefakte Werbeeinschaltungen im Stile der Sechziger-Jahre zeigen. Für Zigaretten, für Kurse, die einen das Herumkriegen von Frauen lehren, oder auch: "How To Be An Artist". Es ist also alles keine Kunst mehr, sondern bloßer Finanztransfer. Deadmau5 zeigt uns, dass er das weiß, er hat sich clever zur eigenen Marke modelliert und wähnt sich durch dieses Eingeständnis in trockenen Tüchern.

In musikalischer Hinsicht möchte er dabei der Auteur unter den EDM-Blendern sein. Prog-House und Zuckerwatte-Trance, Verzerrer-Orgien, blanke Justice- und Daft-Punk-Rip-Offs, Schluckaufgeräusche, Quietschen und Stottern verbindet er mit melancholischen, beatfreien Interludes, nachdenklicher Plinker-Plonker-Musik, die wohl Radiohead sein will, aber bestenfalls quirky Autocommercials untermalen wird. Es gab Großraumpop mit Stimmen, die die tolle Erfindung des Autotune nicht etwa zur Herstellung seltsamer, hinterfragungswürdiger Momente nutzte, sondern bloß zur Vorgaukelung von Makellosigkeit und Euphorie.

Auf der Red Bull Stage war wie schon am Tag davor weit Erbaulicheres zu erfahren - das Publikum des Festivals wollte davon wiederum nur wenig wissen. Der österreichische Produzent und DJ Motsa, die ebenfalls österreichische Produzentin und DJ Clara Moto - eine der, man muss es immer wieder dazusagen, ganz wenigen Frauen im Programm - und der ursprünglich aus Detroit stammende Sex-Elektroniker Jimmy Edgar überzeugten mit unaufgeregten Sets, die einen daran erinnerten, dass es bei Techno auch einmal um so etwas wie ein Sich-Einlullen-Lassen, ein Verschwinden im Groove und in der Trance gegangen sein könnte. Und nicht um die konstante Strobo-Druckbetankung durch immer neue Signale. Viele wissen das gar nicht.

Motsa, Clara Moto, Jimmy Edgar

Wunderbar, deep, rural, eisig und nadelwaldweihevoll war das Live-Set des deutschen Produzenten Recondite, richtig erfrischend, damit man das auch einmal gesagt hat, und schön merkwürdig auf die Mainstage gebucht das DJ-Set des deutschen Duos 2raumwohnung. Ein DJ-Set von 2raumwohnung. Warum jemand so etwas im Jahr 2015 in sein Festivalprogramm hievt, ist ein Rätsel im Booking-Labyrinth, eventuell ein Zugeständnis an die Retromania - tatsächlich aber war es eine glückliche Entscheidung.

Urban Art Forms Festival auf FM4

Was die beiden hochsympathischen Lifestyle-Magazin-Elektropopper Inga Humpe und Tommi Eckart da aus dem Laptop kitzelten, hatte mit dem restlichen Planeten Urban Art Forms auf erfreuliche Weise gar wenig zu tun: Es gab Früh-Nuller-Jahre-Berlin-Mitte-Elektronik, Synth-Pop, Disco, Jeans-Team-haftes ohne jetzt wirklich Jeans Team sein zu müssen, Indie-Techno, alles ohne Druck und Zwang, es knallen lassen zu müssen. Höhepunkt: "I Feel Love" von Summer/Moroder, geht bekanntlich immer, verliert nie an Glanz.

Es folgte die leerste Musik. Das kalifonische Trio The Glitch Mob schaffte den Brückenschlag von schäbigstem Neunziger-Eurodance über Krach, Radau und Ballern zu hookgeladener Bon-Jovi-Elektronik samt lederbejackter großer Geste und schicker Frisur. Vorschlag zur Güte: Douchebag-Electro.

Mit dem letzten Act auf der Mainstage, dem hocherfolgreichen belgischen Produzenten Netsky, wurde allen Vorurteilen von Engdenkern, die elektronische Tanzmusik an sich für stumpfen Unsinn halten, neuer Treibstoff gegeben. Man ahnt es: Sowohl The Glitch Mob als auch Netsky wurden gefeiert. Musik als einziges Missverständnis, eine Ästhetik, gegen die sich abzugrenzen Techno einst angetreten war. Wir sind die, vor denen uns unsere Eltern immer gewarnt haben.