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Christiane Rösinger Berlin

Ist Musikerin (Lassie Singers, Britta) und Autorin. Sie schreibt aus dem Leben der Lo-Fi Boheme.

20. 6. 2015 - 11:43

Was für einen Feminismus brauchen wir?

Die Autorin, Bloggerin und Feministin Laurie Penny war im Rahmen ihrer Lesetour in Berlin zu Gast.

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Wenn an einem Mittwochabend in der Kreuzberger Oranienstraße eine lange Menschenschlange sich um mehrere Häuserblocks windet, kann man davon ausgehen, dass eine berühmte Band zu Gast im Konzertclub S0 36 ist. Diesen Mittwoch aber stellten sich dort Hunderte von Leuten an, um noch Karten für die Lesung der britischen Autorin, Bloggerin und Feministin Laurie Penny zu ergattern.

Schlange vor dem Lokal

Rösinger

Laurie Penny gilt als eine der wichtigsten Stimmen des jungen Feminismus in Großbritannien und Deutschland, in Berlin wurde sie wie ein Popstar gefeiert.

Laurie Penny wurde 1986 in London geboren, hat englische Literaturwissenschaft in Oxford studiert, ihr Blog "Penny Red" wurde 2010 für den George Orwell-Award für politisches Schreiben nominiert. 2011 erschien ihr Buch "Meat Market. Female Flesh under Capitalism" ("Fleischmarkt. Weibliche Körper im Kapitalismus"). Nun ist sie mit ihrem neuen Buch "Unspeakable Things" ("Unsagbare Dinge. Sex, Lügen und Revolution") auf Lesetour in Deutschland.

Gegen Mainstream-Feminismus

In ihrem neuen Buch geht es um den "Mainstream-Feminismus" - ein Feminismus, der die 'Karrierefrau' zum neuen Idealbild für junge Mädchen macht. Aber Feminismus kann nicht nur bedeuten, mehr Frauen in die Vorstände zu bekommen, wenn rund um den Erdball die Staaten Leistungen und Hilfen für arme Frauen kürzen. Penny will einen anderen Feminismus. Einen, der sich nicht ausschließlich für das Idealbild der Karrierefrau einsetzt. Einen Feminismus für Homosexuelle, Hässliche, Arme, Schwarze, Männer.

Für sie ist der Backlash gegen sexuelle Freiheit für Männer und Frauen und gegen soziale Gerechtigkeit unübersehbar. Deshalb, meint sie, muss Feminismus mutiger werden. Laurie Penny spricht sich für einen Feminismus aus, dem es um Gerechtigkeit und Gleichheit geht, aber auch um Freiheit für alle. Um die Freiheit zu sein, wer wir sind, zu lieben, wen wir wollen, neue Genderrollen zu erfinden und stolz gegenüber jenen aufzutreten, die uns diese Rechte verweigern wollen.

Laurie Penny

© Jon Cartwright

Laurie Penny

Und diese Botschaft wollten am Mittwochabend in Kreuzberg dann auch viele hören. 500 Leute wurden schließlich zur Lesung eingelassen und saßen dicht gedrängt auf den schmalen Bänken. Hunderte bekamen keine Karten mehr, sodass eine Zusatzlesung vereinbart wurde - die Autorin selbst war überrascht von ihrem großen Publikum.

Junges Publikum

Bei ihrem ersten Buch, erzählt sie lachend, wären zur Release-Party in einer Buchhandlung in London fünfzehn Leute erschienen, einschließlich ihrer Mutter. Beim zweiten Buch etwa Hundert und generell sage sie sich, dass zehn Zuhörer doch eine gute Anzahl für eine nachfolgende Diskussion wären.

Ihr Publikum im S0 36 ist jung - Anfang/Mitte zwanzig und zu 90 Prozent weiblich. Vielleicht liegt Pennys Beliebtheit hierzulande an der speziellen deutschen Situation, dass Feminismus hier immer noch mit zweifelhaften Figuren wie Alice Schwarzer gleichgesetzt wird und es an jüngeren Vorbildern und Galionsfiguren fehlt.

Das Besondere an Laurie Penny ist, dass sie Feminismus, Antirassismus und Kapitalismuskritik an den richtigen Stellen zusammendenkt und die Früchte ihres Denkens auch noch mit Humor und einer erfrischenden Punk-Attitude serviert.

Und sie weiß, dass Feminismus nicht darin bestehen kann, Frauen noch mehr Regeln für ihr Verhalten und Aussehen zu geben: "Mir ist eure Körperbehaarung scheißegal!" wird sie an diesem Abend ihrem Publikum zurufen. Denn sie ist nicht nur schlau, lustig und charmant, sondern auch noch eine sehr gute Alleinunterhalterin.

Feminismus, erweitert

Buchcover mit Schrift

Nautilus

"Unsagbare Dinge. Sex Lügen und Revolution" von Laurie Penny ist bei Nautilus Flugschriften erschienen.

Dabei schreibt sie in ihrem Buch aber auch, die jungen Frauen von heute wüssten sehr gut, wie viel Arbeit noch vor uns liege, wenn wir über Macht, soziale Klasse, Arbeit, Liebe, Hautfarbe, Armut und Genderidentität reden wollen. Und sie erweitert den Begriff des Feminismus - der doch bei vielen über Frauenquoten in Aufsichtsräten und Vereinbarkeit von Familie und Beruf nicht hinausgeht:

Die Art Feminismus, die seit Jahren in den Medien eine Rolle spielt und die Schlagzeilen beherrscht, nützt in erster Linie den heterosexuellen, gut verdienenden weißen Frauen der Mittelschicht und der oberen Mittelschicht. Öffentliche 'Karrierefeministinnen' sind damit beschäftigt, 'mehr Frauen in die Vorstände' zu bringen, dabei besteht das Hauptproblem darin, dass es schon viel zu viele Vorstandszimmer gibt und keins von ihnen brennt.

Angesichts weiblicher Lebensläufe, die sich daran abmühen, sowohl in der Karriere als auch in der eigenen Familie perfekt zu sein, spricht Penny von einer "Work-Work-Balance" und plädiert für Faulheit als Lebensentwurf.

Laurie Penny auf der Bühne mit Stefanie Lohaus

Rösinger

Laurie Penny auf der Bühne mit Stefanie Lohaus

Nach dem Gespräch mit Stefanie Lohaus, der Herausgeberin des Missy Magazines, beantwortet die Autorin Fragen aus dem Publikum - es geht um Abtreibung, Viagra für Frauen, Body-Hacking und Science Fiction, um Mad Max, Faulheit, alte und junge Feministinnen, über Romantik und übers Heiraten ("Ich liebe Hochzeiten ! Solange es nicht meine eigene ist") und die so gennante "Homo-Ehe" ("Selbstverständlich sollen Schwule und Lesben auch das Recht haben ihr Leben zu ruinieren!").

Man nennt es auch Backlash

Das ist natürlich Balsam für die Seele vieler Zuhörerinnen und wird mit viel Gelächter und begeisterten Zwischenrufen kommentiert. Für die wenigen älteren und altgedienten Feministinnen im Publikum ist vieles, was in Pennys Buch steht und was an diesem Abend verhandelt und besprochen wird, nichts Neues. Das "Schlampen-Kapitel" in ihrem Buch, in dem sie fordert, sich das Schimpfwort Schlampe/Slut zurück zu holen, die Wutrede gegen die romantische Liebe, die sie als Unterdrückungsinstrument des Patriarchats dekonstruiert und die Erkenntnis, dass das neoliberale Patriarchat "uns" dazu bringt, uns selbst zu hassen, "wenn wir jung oder arm, anders oder eine Frau sind" - das hat man und frau natürlich schon oft woanders gelesen.

Flyer Laurie Penny

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Aber es ist ja auch ein trauriges Merkmal der Frauenbewegung, dass jede neue Generation dieselben, eigentlich selbstverständlichen Dinge immer wieder aufs Neue erkämpfen muss. Man nennt es auch Backlash. Aber Laurie Penny ist zuversichtlich und fast neidisch auf die Menschen, die jetzt Teenies sind. Überall in England werden feministische Gruppen an Schulen oder Unis gegründet, sagt sie. Feminismus habe zwar viel mit rechtlichen Forderungen zu tun, aber eben auch mit kulturellen Mustern, die wir durch Handlungen ändern können - und das passiere gerade.

Und so ist der ganze Abend eine Feel-Good-Veranstaltung für Gleichgesinnte - aber deshalb auch besonders wertvoll und erholsam. Vor allem wenn man die Debatte der letzten Wochen verfolgt hat, bei der ja immer wieder die unsinnige Frage "Feminismus - Ja oder Nein?" gestellt wurde, als gäbe es den "einen" Feminismus.

Fragten wir hingegen "Was für einen Feminismus brauchen wir?" dann könnte die Antwort lauten: Wir brauchen einen Feminismus mit dem anarchisch-hedonistischen Touch der Laurie Penny. "Die Revolution beginnt an einer Bar!" ruft sie am Ende der Lesung ihren Fans zu.