Erstellt am: 19. 6. 2015 - 21:23 Uhr
Hirnfasching im Sommerkino
Ich persönlich habe ja nichts gegen Gelsen und andere blutsaugende Insekten. Ohne sie wäre Michael Crichton vielleicht nie auf die Idee zu Jurassic Park gekommen, ergo hätte es auch den Film nicht gegeben, was meine Kindheit vielleicht nicht zerstört, aber massiv beeinträchtigt hätte. Dennoch juckt es mich immer noch, wenn ich an einen Abend beim Kino wie noch nie zurück denke: Das vielleicht, vermutlich, ziemlich sicher am idyllischstem gelegene Freiluftkino Wiens ist nämlich gleichzeitig eine beliebte Brutstätte für Stechinsekten jeglicher Provenienz, was mich bereits etliche Male früher aus den Filmen getrieben hat. Dennoch, dort, unter Bäumen, zwischen Büschen und Sträuchern tut sich auch heuer wieder einiges. Wie in ganz Österreich.
Narkotica
22.07. Kino wie noch nie
In den 1920er-Jahren schwang sich der sozialhygienische Aufklärungsfilm im österreichischen Kino zum populären Erzählgenre auf und bescherte den Besuchern für gewöhnlich von melodramatisch aufbereiteten Geschichten umrahmte oder servierte Handlungsempfehlungen oder -anleitungen. All das war schon damals natürlich nur ein Vorwand um leicht bekleidete Damen und Bürger im Drogenrausch zu zeigen. Die Staatliche Bundesfilmhauptstelle (toller Name!) ließ 1924 Narkotica produzieren: Der Sittenfilm sollte auf die system- und hirnzersetzenden Wirkungen von bewusstseinsverändernden Substanzen hinweisen. Beim Kino wie noch nie vertonen ihn jetzt die Sofa Surfers live. Rauschzustand garantiert.
Kino wie noch nie
The Cheat
30.06. Leslie Open (Graz)
Der cholerische Megalomane Cecil B. DeMille gilt gemeinhin als Großmeister des exzessiven Ausstattungsfilms, hat aber früher in seiner Karriere auch Kammerspiele wie The Cheat gedreht. Das Eifersuchtsdrama aus dem Jahr 1915 ist nicht nur technisch beeindruckend, sondern auch hinsichtlich der damals noch salonfähigen Rassismen und Sexismen äußerst lehrreich. Sessue Hayakawa, in den Zehner-Jahren ein Superstar im US-Kino, zementiert den Stereotyp des hinterfotzigen, perversen, sadistischen Asiaten, der einer armen Weißen den Kopf verdreht. Auch dieser Stummfilm wird live vertont.
Night of the Living Dead
17.07. Kino wie noch nie
Rammbock
03.07. Kino unter Sternen
Das Ding aus der Mur Zero
20.08. Arena Sommerkino
Deutlich spürbar bei der heurigen Sommerkino-Selektion ist eine Schlagseite in Richtung Horrorkino. Das liegt vielleicht darin begründet, dass sich das B-Movie kulturhistorisch betrachtet immer schon hervorragend unter freiem Himmel gemacht hat: George A. Romeros zentraler Zombiefilm Night of the Living Dead läuft beim Kino wie noch nie. Und das immer sehr intelligent kuratierte Kino unter Sternen am Karlsplatz zeigt Marvin Krens Rammbock. Noch österreichischer wird der Schrecken nur im Arena Sommerkino: Dort feiert die steirische Produktion Das Ding aus der Mur Zero Premiere.
dasdingausdermur.weebly.com
Bronson
27.08. Volxkino (Arena)
Eternal Sunshine of the Spotless Mind
24.07. Volxkino (Dornerplatz)
The man who wasn't there
27.06. Volxkino (Jodok-Fink-Platz)
Große Ereignisse werfen ihre Schatten voraus. Große Filmemacher ebenso. Das Volxkino zeigt zum Beispiel Nicolas Winding Refns Bronson, eine einnehmend wüste Gewaltstudie, bis zum Erbrechen stilisiert, aber gerade deshalb auch so großartig. Eine Gelegenheit für alle, die Refn erst seit Drive kennen, sich tiefer ins berauschende Film-Werk des exzentrischsten Dänen seit Lars von Trier zu graben. Das wandernde Volxkino lässt sich aber auch sonst nicht lumpen und lockt mit einer lässigen Mischung aus Klassikern, Arthouse- und Indie-Darlings: Ein wenig Eternal Sunshine of the Spotless Mind direkt aufs schütter werdende Haupthaar oder eine (Wieder-)Begegnung mit The man who wasn’t there.
intratecal.wordpress.com
She's funny that way
14.08. Kino wie noch nie
Monty Python's Life of Brian
21.06. Kino am Dach
Apropos Coens: den Stilikonen des US-Indiekinos widmet das Kino wie noch nie ein Special. Spannender ist aber das Tribute an Peter Bogdanovich, dessen vergnügte Screwball-Comedy She’s funny that way auch zum ersten Mal in Österreich gezeigt wird. Sachen zum Lachen kredenzt auch das Kino am Dach der Wiener Hauptbücherei, darunter Monty Python’s Life of Brian. Immer wieder gut.
oneperfectshot.wordpress.com
I'm ugly but trendy
09.07. Zur schreienden Nachtigall (Salzburg)
Der Preis für das spannendste Open Air-Kino, zumindest unter den neu Hinzugekommenen, geht aber definitiv nach Salzburg. Zur schreienden Nachtigall situiert sich irgendwo zwischen niederschwelligem Erlebnisraum, kulturellem Experimentierfeld und kulinarischer Wohlfühlzone (an einem Tag gibt’s Zuckerwatte, Slushies und freie Liebe, an einem anderen diese genialen portugiesischen Vanille-Dinger). Eröffnet wird am 9. Juli mit einem Film, von dem ich noch nie gehört habe, den ich aber unbedingt sehen möchte. Und das nicht nur, weil er I’m ugly but trendy heißt, sondern weil er von brasilianischen Durchschnittsfrauen handelt, die nächtens auf den so genannten "Funk Bailes" zu Rapperinnen werden. An insgesamt vier Sommernächten kann man die schreiende Nachtigall besuchen und wäre ich etwas näher an Salzburg dran, ich würde hingehen.
Zur schreienden Nachtigall
Zur schreienden Nachtigall hat noch kaum Facebook-Likes. Im Gegensatz zu einer Veranstaltung, von der noch nicht einmal jemand weiß, ob sie überhaupt stattfindet. Wenn über 30.000 Menschen zu einem Event namens Film im Park zusagen, obwohl sie noch gar nicht wissen, welche Filme überhaupt gezeigt werden, dann wird der Zyniker in mir wieder unruhig und möchte eigentlich sagen, dass ICH MENSCHEN HASSE DIE ZU FREILUFTKINOS GEHEN, DEN FILM DANN ABER NUR ALS HINTERGRUNDTAPETE WAHRNEHMEN UND LIEBER REDEN UND SAUFEN. Also, bitte unterstützt kleine, feine, gut kuratierte Veranstaltungen. Und bitte geht hin, um Filme zu sehen. Gastgärten gibt’s genug.
Zum Schluss noch einige ungeordnete Empfehlungen:
- 29. Juni: Die totale Therapie (Kino unter Sternen, Wien)
- 14. Juli: Total Recall (Kino unter Sternen, Wien)
- 17. Juli: Slow West (Open Air-Kino beim Kesselhaus, Krems)
- 20. Juli: Citizen Four (Poolbar Festival, Feldkirch)
- 6. August: Pan's Labyrinth (Kino am Dach, Wien)
- 23. August: German Angst (Arena Sommerkino, Wien)
- 31. August: Possession (Arena Sommerkino, Wien)
Sommerkino in Listenform
Für die, die's gern übersichtlich haben: Hier die Sommerkinos, chronologisch geordnet!
- Volxkino, Wien, 27. Mai - 18. September 2015
- Leslie Open, Graz, 2. Juni - 30. Juli 2015
- Kino am Dach, Wien, 18. Juni - 13. September 2015
- Kino unter Sternen, Wien, 26. Juni - 18. Juli 2015
- Open Air Kino beim Kesselhaus, Krems, 1. Juli - 18. Juli 2015
- Kino wie noch nie, Wien, 2. Juli - 23. August 2015
- Zur schreienden Nachtigall, Salzburg, 9. Juli bis 4. August 2015
- Cinema Paradiso, St. Pölten, 9. Juli bis 30. August 2015
- Frame Out, Wien, 10. Juli - 29. September 2015
- dotdotdot, Wien, 11. Juli - 5. September 2015
- Poolbar Sommerkino, Feldkirch, 12. + 29. + 30. Juli 2015
- Volkskino Klagenfurt, Klagenfurt, 22. Juli - 25. August 2015
- Arena Sommerkino, Wien, 11. bis 31. August 2015
- Street Food Cinema auf der Hohen Warte, Wien, 2. August bis 30. August 2015 (immer Sonntags)