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Philipp L'heritier

Ocean of Sound: Rauschen im Rechner, konkrete Beats, Kraut- und Rübenfolk, von Computerwelt nach Funky Town.

18. 6. 2015 - 18:30

Die Hitze der Nacht

Im Morast aus Alkohol, Gewalt und Sex. Kaputte Seelen. Ein Blick auf die ersten drei Episoden der zweiten Staffel der HBO-Show "True Detective".

In einer Szene der zweiten Staffel von "True Detective" bekommt Colin Farrells Figur nach einer Untersuchung, die wenig überraschend recht ungünstige Ergebnisse hinsichtlich seiner körperlichen Verfassung zutage fördert, von seinem Arzt die Frage gestellt, ob er denn eigentlich überhaupt noch leben wolle.

Auch wenn Season 2 des Serienereignisses des letzten Jahres anders als die erste sein muss, erzählt Autor Nic Pizzolatto nach Matthew McConaugheys und Woody Harrelsons quasiphilophischen Exkursen in den Nihilismus und Bohrungen im Unglück auch diesmal wieder von den Tänzern am Abgrund, den Untergehern, den Selbstzerstörern.

Colin Farrell

© Lacey Terrell / 2015, Home Box Office,

Colin Farrell

Colin Farrell ist als Detective Ray Velcoro ein beiger Mann von teigiger Konsistenz, Tag ein, Tag aus muss Whiskey nachgefüllt werden, muss Zigarettenrauch in die Lunge. Auch sonst pflegt er nicht gerade seine Gesundheit oder das Gemüt, mit tranigem Blick schaut er in sein Glas. Sein übergewichtiger Sohn, der in der Schule verlässlich gehänselt wird, ist höchstwahrscheinlich nicht sein eigener, sondern das Resultat einer Vergewaltigung.

"Man is the cruelest animal" – so lautete der Slogan der ersten Staffel von "True Detective", heute heißt es ähnlich moralisierend: "We get the world we deserve". Ray Velcoro neigt zu übermäßiger Gewalt, wenn er einen zu viel gehoben hat, setzt seinen Sohn wenig zimperlich unter Druck - längst schon will ihm seine Ex-Frau das Besuchsrecht empfindlich beschneiden.

Während das magnetische Duo Rust Cohle und Marty Hart im schwülen Louisiana einem mörderischen Kult und sich selbst auf der Spur war, taumeln die Kaputten heute durch ein sonnendurchflutetes Los Angeles und das dürre Umland. Man kann das Flirren in der Luft sehen. Das okkulte Mysterienspiel in Staffel 1 hat sich ein wenig als Scheinmanöver entpuppt, das der Charakterstudie zweier verbeulter Typen die Kulisse liefert, die zweite Staffel scheint jetzt die Geschichte von hinten aufzuzäumen.

Rachel McAdams

© Lacey Terrell / 2015, Home Box Office,

Rachel McAdams

Kein symbolhafter Schockmoment und kein mystisch aufgeladener Mordfall stehen am Anfang, langsam nur entspinnen sich die Ereignisse rund um ein Verbrechen, das sich erst mal wenig sensationell Richtung Landschaftsspekulation, Politik und Korruption bewegt. Vielmehr folgt "True Detective" in den ersten drei Episoden seiner zweiten Staffel den frustrierenden Tagesabläufen seiner vier Hauptfiguren, die schließlich durch das Verschwinden eines City Managers zu Zwangsverbündeten werden.

Die zweite Staffel von "True Detective" ist ab dem 21. Juni, in der Nacht auf 22. Juni, parallel zur US-Ausstrahlung im Original auf Sky Go, Sky Online und Sky Anytime zu sehen.

Deutsche Synchronfassung: ab dem 17.09.2015, donnerstags, 21.00 Uhr, auf Sky Atlantic HD, sowie abrufbar über Sky Go, Sky Anytime und Sky Online.

Vince Vaughn gibt überraschend zurückhaltend einen verblassenden Crime Boss, der den Weg ins seriöse Geschäft sucht und mit wohl stressbedingter Impotenz zu kämpfen hat. Er hat Detective Velcoro aufgrund eines in der Vergangenheit liegenden Gefallens in der Tasche. Schönling Taylor Kitsch ist als moralisch zerknautschter Kriegsveteran und Autobahn-Polizist bloß auf seiner Maschine so richtig glücklich und frei, wenn er sich des Nachts ohne Helm einem ungebremsten Speed-Rausch hingeben kann. Auch in der Beziehung zu seiner wunderhübschen Freundin ächzt und quietscht es, um im Bett zu funktionieren, muss er sich mit Viagra hochpumpen, hier scheint jemand seine Homosexualität zu unterdrücken.

Führend im Ensemble ist bislang Rachel McAdams als supertoughe Sheriff's Detective: Für Beziehungen hat sie keine Zeit, gerne und oft sagt sie "Fuck", hangelt sich ungerührt durch One-Night-Stands. Ihr Vater (David Morse mit wallendem Haar) ist Leiter einer Art Sekte, das Verhältnis zwischen den beiden nicht bestens. Auch sie ist dem Alkohol zugetan, ebenso dem Glücksspiel.

Die Geschichten von Sexualität und Körper, Family Issues, Gewalt und Versagen sind intim, aufwühlend zwar, aber unaufgeregt inszeniert, "True Detective" atmet den bitter-trockenen Hardboiled-Charme. Wir blicken auf die traurigen Lichter der nächtlichen Großstadt, sehen den Qualm in muffigen Bars stehen, kalter Neon. Endlose Highways weisen ins Nirgendwo, weite Landschaftsaufnahmen in Sepia, die Raffinerien und Fabriken arbeiten und dampfen giftig, zwischendrin sind immer wieder monströse Autobahnknoten imposant ins Bild gesetzt.

Stadt

© Lacey Terrell / 2015, Home Box Office,

Die Fetischisierung von Metropole, Gebäuden, Verkehr, Infrastruktur gleicht oft den prunkvoll-tristen Inszenierungen von Michael Mann, der spröden Bodennähe des Noir-Krimis stehen Szenen gegenüber, die dann doch leise ins Metaphysische, Skurrile, gar Surreale deuten: Eine Leiche mit weggeätzten Augen, Tiermasken, ausgestopfte Tierköpfe, eine versteckte Videokammer zur Herstellung wohl illegaler Filme, eine lynch-eske Nahtod/Traum-Erfahrung, in der ein (nur scheinbarer) Elvis-Impersonator in einer menschenleeren Kneipe den schmierigen Alleinunterhalter gibt.

Die Suchtwirkung der ersten Staffel entwickelt "True Detective" in Season 2 bislang nicht, wohlwissend will hier nicht zu viel versprochen werden. Die Staffel ist eine schleichende Droge, möglicherweise wird sie länger wirken. Das Titellied dazu singt Leonard Cohen: "Nevermind". Langsam, langsam sinken wir ins Leere, die Hölle – das sind auch wir selbst.