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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

18. 6. 2015 - 14:22

The daily Blumenau. Thursday Edition, 18-06-15.

Wenn ganz normale Recherche schon als investigativ durchgeht, dann ist eine unmerkliche Bewusstseinsverschiebung passiert.

#journalismus #medienpolitik

The daily blumenau hat im Oktober 2013 die Journal-Reihe (die es davor auch 2003, '05, '07, 2009 und 2011 gab) abgelöst. Und bietet Einträge zu diesen Themenfeldern.

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Gestern war Georg Mascolo für eine kurze Lecture/Q&A in Wien. Mascolo leitet die aktuell bedeutendste Investigativ-Unit im deutschsprachigen Raum, den Rechercheverbund von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung. Mascolo war davor fünf Jahre Spiegel-Chefredakteur und in dieser Eigenschaft gefühlt allwöchentlicher Talkshow-Gast im deutschen Fernsehen. Seine Telegenität hängt wohl mit seinem willemsenhaften, aristokratisch wirkenden und Philantrophie versprühenden Wesen zusammen, und helfen auch seiner neue Rolle als Organisator jener Kräfte, die via Datenjournalismus, Investigation und langatmiger Recherche den relevantesten Beitrag zum deutschsprachigen Journalismus leisten.

Der Verbund arbeitet eng mit dem wichtigsten internationalen Verband investigativer Journalisten, dem International Consortium of Investigative Journalists zusammen, zu dem auch die Handvoll österreichischer Investigativer Kontakt hält.

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Mascolos Erzählungen waren - wohl bewusst - unspektakulär. Einzelne Top-Geschichten seien mit einer Bahnfahrt, einem Gespräch und dem Studium eines Dokuments entstanden. Andere, die auf Massen an geleakten Informationen aufbauen, würden wiederum nur mit dem Faktor Zeit bearbeitbar.

Letztlich deckten sich sowohl die Inhalte als auch die atmosphärische Tonalität des Mascolo'schen Praxis-Einblicks sehr stark mit dem, was sein österreichischer Kollege Florian Klenk unlängst zu erzählen wusste.

Nun ist der investigative Journalismus per definitionem nichts als rechercheintensiver, hartnäckiger, aufklärerisch befeuerter Journalismus und nicht das, was vielerorts drunter verstanden wird, nämlich "Enthüllungsjournalismus" im boulevardesken Sinn, also eine Spielart des kurzatmigen Empörungs-Journalismus. Die Verwechslung dieser beiden Genres war Ursache für eine der absurdesten Medien-Debatten der letzten Jahre.

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Nicht zuletzt wegen dieser Begriffs-Verwirrung hat sich ein neues Wertesystem eingeschliffen. Das, was heute als Investigativ-Recherche gilt, also der scheinbare Luxus sich mit einem Thema intensiv auseinanderzusetzen, über längere Zeit Spuren zu folgen um dann ein Stück an Aufklärung und Erhellungs-Journalismus zusammenzusetzen, das war zu der Zeit, in der ich das Handwerk lernen durfte, die Anforderung für ganz normalen Journalismus. Klar war immer schon auch die Tagesaktualität prägend: aber nebenher hatte jede/r eine mittel- oder langfristige Geschichte, die entsprechende Intensität voraussetzte, am Laufen.

Letztlich ist diese Unterschiedlichkeit der Anforderungen eine journalistische Unabdingbarkeit. Wer immer nur tagesaktuelle Einspalter ohne Eigendenkleistung verfasst, findet ebenso nicht aus dem Hamsterrad im Bergwerk heraus wie jede/r, die/der sich mit der Wiederholung einer einzelnen auf die Dauer die Ganglien verödenden Form begnügt. Und das konnte und wollte niemand.

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Mittlerweile hat sich genau diese scheinbare Spezialisierung aber durchgesetzt; das hat mit der Medienkrise zu tun, mit der zunehmenden Machtfülle von Medienmanagern, die den Unterschied zur normalen Schraubenfabrik nicht verstehen, mit einem überfüllten Arbeitsmarkt und immer besserer, aber immer gefügigermachender Ausbildung des Nachwuchses.

Und so kam es zu dieser gefährlichen Begriffsverschiebung. Dass nämlich nicht mehr der umfassend ausgebildete und einsetzbare Journalist, der den Schnellschuss auf Agenturbasis, die flotte Außen-Reportage ebenso drauf hat wie die Analyse nach einem Tag innerer Einkehr oder eben die Langfrist-Recherche, die dann, wenn sonst nix ansteht, angegangen werden kann. Weil der Druck der aktuellen Medienwelt dafür sorgt, dass immer was ansteht. Und sich viele diesen Druck auch selber fabrizieren, mit der Schere im Kopf oder übertriebener social-media-Präsenz oder anderem mehr.

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Mittlerweile wird derjenige, der sich als jemand outen kann, der mehr als einen Tag Zeit hat um einer Spur nachzugehen, einen Geschichten-Zugang auszubaldowern, Hintergrund-Gespräche zu führen oder sich gar per Fachliteratur intensiv einzulesen, wie ein Fabeltier mit zwei Köpfen beäugt. Was einmal Normalität war, gilt als unverschämter Luxus.

Deshalb gilt auch das was letztlich stinknormale Recherche ist, heute als investigativ. Und selbst wenn Mascolo oder Klenk von einem nur ein paar Stunden betragenden Aufwand berichten, erkennen wir diese neuen, über die Hintertür reingeschlichenen Parameter nicht mehr als das was sie sind, nämlich Hochstapler, sondern beäugen sie wie ein Wunder.

Dass letztlich jede/r diese Wunder auch selber, im kleinen, im ureigenen Fachbereich, leisten könnte - sich wieder einmal die Dokumente herholen und kurz durchackern, oder die zitierten Studien einsehen, ehe man die vorportionierte Konfektionsware der Agenturen übernimmt - gilt als absurde Idee, als gewagter Ansatz, der die Balance des Zeitbudgets oder die eingeforderten Akkord-Leistungen gefährdet. Anforderungen, die in recht vielen Fällen aber nicht fremd- sondern selbstbestimmt sind und deshalb leicht knackbar wären.

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Weil der Alltag, der vormals, in prädigitalen Zeiten, zumindest aus Routine-Anrufen bei wissenden Stellen, im besseren Fall aber dem ständigen aktiven Absaugen von Wissenden bestand, mittlerweile vom eingestandenen Konsumismus ersetzt wurde, der Geschichten großteils im Guttenberg'schen Sinn entstehen lässt, verschiebt sich das alte Gut der Ausfindigmachung zunehmend in einen einstmals als illustres Feld angesehenen Teilbereich: schon die normale Recherche geht als Investigation durch.

Das soll die immer noch existenten wahrhaft aufwendigen oder gefährlichen Investigativ-Recherchen, die auch unter Lebensgefahr oder zumindest karrieregefährdend passieren, nicht schmälern: die existieren weiterhin; im Ausnahmefall.

Wenn aber auch die ganz normale Recherche, die aus einer Zugfahrt, einem Gespräch und einem durchgeackerten Dokument besteht, bereits ins Feld der Investigation verschoben wird (und wir uns mit dem leisen Grusel sie nachher von den entsprechenden Helden erzählt zu bekommen, begnügen), dann lügt sich der Journalismus in die eigenen Hosentaschen. Diese Art von Geschichten müssen nämlich dringend raus aus den Rechercheverbünden, hinein in die Redaktionen, zumindest die öffentlich-rechtlichen oder die politmagazinigen, in die publizistische Normalität.