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Conny Lee

Prokrastinative Hinterstübchen des Alltags

18. 6. 2015 - 15:10

Das echte Game of Thrones

Intrigen, Verrat und jede Menge Enthauptungen - die Familiengeschichte der Tudors, aus Perspektive der kleinwüchsigen Lady Mary Grey.

Cover Wie ihr wollt

Berlin Verlag

"Wie ihr wollt" von Inger-Maria Mahlke, erschienen beim Berlin Verlag

Tudors, England, 16. Jahrhundert - darüber habe ich bevor ich dieses Buch gelesen habe nichts gewusst. Dementsprechend verwirrend war es für mich am Beginn meiner Lektüre, wenn die Erzählerin von ihrem gewichtigen Onkel, Heinrich VIII, erzählt, oder von ihrer schottischen Cousine, Maria Stuart. Ja, ich weiß schon, der eine hatte viele Frauen und ließ die meisten davon hinrichten, und Letztere war inhaftiert, aber das waren alles Einzelheiten für mich, deren Zusammenhang sich mir nicht erschloss. Und von dieser Lady Mary Grey hatte ich überhaupt noch nie etwas gehört.

Wie ihr wollt

Die Erzählerin in Wie ihr Wollt ist Lady Mary Grey. Die gab es wirklich. Sie war eine von drei Schwestern, die aufgrund ihrer Abstammung ein Anrecht auf die Thronfolge hatten. Nur war Mary Grey kleinwüchsig und daher waren ihre Chancen viel unwahrscheinlicher als die ihrer Schwestern. Der Roman setzt an einem Zeitpunkt an, als Mary Grey 26 Jahre alt ist. Sie lebt bereits seit einigen Jahren in Hausarrest, weil sie ohne Zustimmung ihrer Cousine, der Königin, geheiratet hat. Daraufhin kam ihr Mann ins Gefängnis und sie in Hausarrest. Ihre Gastgeber sehen sie als Belastung und versorgen sie nur, weil das die königliche Anweisung ist. Ihre einzige Gesellschaft ist ihre Dienstbotin Ellen, und an ihr lässt sie all ihren Frust ab. In ihrem Verhältnis zu Ellen kommt ihre Herkunft immer wieder ans Licht; dass sie aus einer adeligen Familie kommt, die ihr von klein auf beigebracht hat, sie alle hätten es einfach verdient, besser behandelt zu werden als andere Menschen. Und gleichzeitig ist Mary Grey von Ellen abhängig, da sie ihr einzig wirklicher sozialer Kontakt ist.

Mary fristet ihre Tage damit, in ihr Journal zu schreiben, einerseits über ihren Alltag im Hausarrest, und andererseits lässt sie die Geschichte ihrer Familie Revue passieren. Der gewichtige Onkel, Heinrich VIII, und dessen fünf Ehen zum Beispiel:

Porträt Lady Mary Grey

Hans Eworth

Lady Mary Grey

Es war einmal ein König, der zweite aus der Familie Tudor. Er verliebte sich in ein Mädchen namens Anne, aber die katholische Kirche verweigerte ihm die Scheidung von seiner Königin, die ihm nur eine Mary geboren hatte und sonst nichts, was länger lebte. Also gründete er eine eigene Kirche, löste die Klöster auf, zug deren Vermögen ein, wurde reich und heiratete sein Mädchen.

Es war einmal ein Mädchen namens Anne, das hatte dem König einen Sohn versprochen. Sie gebar eine Elizabeth und sonst nur Totes und starb auf dem Schafott. Die nächste Ehefrau war artig, gebar einen Sohn und starb im Kindbett. Die nächste gebar nichts, ließ sich aber artig scheiden. Die nächste gebar auch nichts, verliebte sich in den Kammerdiener und starb auf dem Schafott. Die nächste gebar wieder nichts, und dann starb endlich der König.

Mary Grey verfasst einen Bericht, wie sie die Geschichte der Tudors miterlebt hat, als eine von ihnen, die gleichzeitig privilegiert war aufgrund ihrer Herkunft, und doch immer benachteiligt wurde, aufgrund ihrer Kleinwüchsigkeit. Die Autorin Inger-Maria Mahlke zeichnet Lady Mary Grey als starke Frau, die sich viel gefallen lassen muss, und trotzdem nie ihren Kampfgeist verliert.

Die Sprache ist lebendig und fühlt sich nicht gekünstelt historisch an. Am Anfang ist es etwas schwierig hineinzufinden: viele Namen, geschichtliche Anspielungen und Zusammenhänge. Allerdings enthält das Buch dankenswerter Weise einen Stammbaum der Tudors.

Tudors Stammbaum

Berlin Verlag

Zwischendurch, wenn man das Gefühl hat eine Anspielung nicht zu verstehen oder einfach mehr über eine der Figuren wissen will, kann man einfach Wikipedia bemühen und kurz nachlesen, was es mit dieser Verschwörung oder jener Hinrichtung denn auf sich hatte. Es ist aber nicht notwendig, um der Geschichte von "Wie ihr wollt" folgen zu können.

Die Autorin selbst schreibt, sie sei keine Historikerin und es handle sich nicht um einen historischen Roman, sondern um die literarische Aneignung eines historischen Stoffes. Und dass die Geschichte auf wahren Personen und Begebenheiten basiert, macht sie so spannend wie Game of Thrones, auch ohne Drachen oder Zombies. Man bekommt nebenbei auch einen Eindruck davon, wie es sich im England des 16. Jahrhunderts wohl gelebt hat. Nebenbei erwähnt Mahlke diverse Details, die zum Beispiel die damalige Art der Kleidung oder Speisen betreffen.

Queen Elizabeth, an der sich schon so viele Künstler, Autoren und Filmemacher abgearbeitet haben, kommt zwar häufig vor (immerhin ist sie der Grund für Mary Greys Gefangenschaft), bleibt allerdings immer eine schemenhafte Figur in der Ferne, die auch lediglich als "SIE" bezeichnet wird.

Ich bin ein Hamster, ich bin gefangen-gefangen. Weder durch die Zimmertür noch durch den Flur, die Treppe, egal, welchen Ausgang, welches Tor ich nehme, ich kann hindruchgehen, sooft ich will, ich werde hier nicht rauskommen. Der einzige Weg liegt in IHREM Kopf, dort muss ich hinein, durch Damast und Edelsteine, durch Haare und Schädelknochen, und wenn ich dort bin, so lange arbeiten, bis SIE mich entlässt. Durch IHREN Mund, über die Feder eines Sekräters, den Abdruck eines Siegels.

"Wie ihr wollt" ist, wenn man mal hineingefunden hat, spannend und mitreißend. Wenn man fertig gelesen hat, hat man ein Bild von den Tudors, will noch mehr wissen über das Was war davor? und das Was kam danach? Eine gute Alternative zu Game of Thrones, auch wenn mindestens genausoviele Figuren sterben.